atoms at your fingertips
Niels Boeing, Hamburg, März 2004

Aus dem Mainframe-Tempel auf den Schreibtisch: Mit dem PC ist die Datenverarbeitung in den letzten 25 Jahren demokratisiert worden. Neil Gershenfeld will nun auch die Fabrikproduktion in die Wohnungen holen - mit dem PF, dem "Personal Fabricator".

"Information at your fingertips", dieser Microsoft-Slogan aus den frühen 90ern ist heute Alltag. Ob Texte, Filme, Spiele, ja Bibliotheken: Innerhalb von Sekunden können wir mit einem Tastendruck aus Bits eine zweite Welt, den Cyberspace, zusammenfügen. Ganz ohne ins Schwitzen zu kommen, denn wir erledigen das dank PC oder Laptop am Schreibtisch. Wollen wir uns dagegen am Reich der Materie zu schaffen machen, kommen wir nicht sehr weit. Sägen, schrauben, löten, vielleicht noch in der Garage schweißen – viel mehr ist nicht drin. "Wären Computer imstande, Atome so bequem zu manipulieren wie sie Daten verarbeiten, könnten wir auch unseren sonstigen Alltag personalisieren", sagt Neil Gershenfeld vom Massachussetts Institute of Technology.

Zwar lassen sich heute Autoteile oder Turnschuhsohlen mit computergesteuerten Maschinen in wenigen Minuten produzieren. "Aber für den durchschnittlichen Betrachter sind die ungefähr so spannend wie Zentralrechner", so Gershenfeld. Tatsächlich erinnern Werkzeugmaschinen in Preis und Ausmaßen eher an die schrankgroßen Computer der frühen 70er. Geht es nach dem US-Physiker, ist es nun Zeit für "atoms at your fingertips". Und zwar mit Hilfe eines so genannten Personal Fabricators, kurz PF. Dass das so ähnlich klingt wie PC, ist kein Zufall. So wie die PC-Revolution die Informationsverarbeitung auf dem Schreibtisch ermöglichte, soll der PF nichts Geringeres als die ganze Palette des Maschinenbaus in die eigenen vier Wände holen.

Das mag noch vor vier Jahren, als Gershenfeld diese Vision in seinem Buch "Wenn die Dinge denken lernen" (die englische Version gibt es kostenlos unter www.kurzweilai.net/meme/frame.html?m=22) vorstellte, wie Science-Fiction geklungen haben. Angesichts rasanter Fortschritte in der Technologie des Rapid Prototyping sieht es aus, als müssten wir nicht mehr allzu lange auf erste PFs warten. Rapid Prototyping war ursprünglich dazu gedacht, schnell und billig Modelle für industrielle Bauteile herzustellen, die man dann in Ruhe untersuchen konnte. Dabei verwandeln Laserstrahlen einen formlosen Rohstoff wie flüssiges Kunstharz in Minuten in einen funktionsfähigen Gegenstand. Dessen Form kommt als Datensatz aus einem an den Laser angeschlossenen Rechner, in dem sie mit einem 3D-Zeichenprogramm am Bildschirm kreiert wurde.

Dank neuer Werkstoffe und präziserer Verfahren erreicht das Rapid Prototyping inzwischen eine solche Qualität, dass damit bereits eine Endproduktion möglich wird. Selbst Stahlpulver lässt sich zu massiven Teilen aufschichten. Ehemals aufwändige Maßanfertigungen werden nun schnell und billig hergestellt. So vermisst die Firma Phonak Hearing Systems mittels 3D-Scanner das Innenohr, dessen Form bei jedem Menschen ebenso einzigartig wie sein Fingerabdruck, gibt es als Datenmodell in einen Rechner ein und erstellt dann per Rapid Prototyping ein maßgefertigtes Gehäuse für ein Hörgerät. Experten sprechen denn auch schon lieber von "Rapid Manufacturing" als von Prototyping.

Hierfür sind noch industrielle Spezialgeräte erforderlich. Doch nun gibt es ein erstes Serienprodukt, mit dem sich in jedem Büro am Rechner konstruierte Gegenstände in bisher nicht gekannter Qualität "ausdrucken" lassen: den Quadra Tempo der israelischen Firma Objet Technologies (www.2objet.com). "Damit haben wir den Tintenstrahldruck in die 3D-Welt gebracht", sagt Europa-Chef Haim Levi stolz. Über 5000 Düsen in dem Inkjet-Kopf spritzen zwei lichtempfindliche Kunstharze in Mikroliter-Tröpfchen auf eine Unterlage, auf der dann schichtweise das Modell aufwächst. Ein Kunststoff dient als das eigentliche Fertigungsmaterial, der andere füllt zunächst als Stützmaterial Hohlräume und wird später mit Wasser ausgewaschen. Jede Schicht wir mittels UV-Licht ausgehärtet, bevor die nächste aufgetragen wird. Dabei errreicht der 3D-Drucker eine Auflösung, die immerhin halb so hoch ist wie eines durchschnittlichen Farbdruckers. "Wir machen quasi Drop-on-Demand", so Levi. Die Tropfen sind allerdings nicht billig: ein Liter Fertigungsmaterial kostet derzeit 200 €, ein Liter Stützmaterial 120 €, das tiefkühltruhengroße Gerät selbst rund 90.000 €.

Welche Möglichkeiten diese Technik eröffnet, zeigte ein spektakulärer Einsatz im August 2002, als ein 20-köpfiges Chirurgenteam aus Los Angeles die Trennung siamesischer Zwillinge aus Guatemala vorbereitete. Die Schädeldecken der Mädchen waren seit Geburt miteinander verbunden gewesen. Obwohl sie zwei Gehirne hatten, waren ihre Kopfvenen miteinander verbunden. Mit einem Quadra-Tempo-Printer konnte aus den Daten einer Computertomografie ein Plastikmodell des Schädels gefertigt werden, das sogar den Verlauf der Blutgefäße wiedergab (www.newslettersonline.com/user/user.fas/
s=63/fp=3/tp=47?T=open_article,484858&P=article
). Noch vor einem Jahr hätte eine derart filigrane Struktur nicht mit Rapid-Prototyping-Methoden erreicht werden können. Damit bereiteten sich die Chirurgen auf die Operation vor, die dann auch gelang. "Egal wie gut eine 3D-Grafik ist, sie ist nichts im Vergleich zu einem Modell, das man in die Hand nehmen kann", sagt Henry Kawamoto von der UCLA, der die Operation leitete.

Dem Visionär Gershenfeld geht das allerdings nicht weit genug: "3D-Printing ist nur ein kleiner Teil des PF-Konzepts. Wir wollen eine Maschine bauen, die sich letztlich selbst reproduzieren kann." Motoren, Sensoren, auch Schaltkreise sollen aus einem PF kommen. Am MIT-Center for Bits and Atoms, das Gershenfeld leitet, lernen Studenten, "how to make (almost) anything". Laserschneiden, 3D-Drucken, Konstruktionsdesign am Rechner oder der Einsatz numerisch gesteuerter Werkzeugmaschinen stehen auf dem Programm des Kurses (www.media.mit.edu/physics/pedagogy/fab), der jetzt im fünften Jahr angeboten wird und sich vor Zulauf kaum retten kann. "Wir waren verblüfft, dass uns so viele Studenten aus Nicht-Ingenieur-Disziplinen das Haus einrennen. Die zweite Überraschung war: Es geht ihnen beim PF nicht um die Lösung technischer Probleme, sondern um ein ganz neues, persönliches Ausdrucksmedium."

Die Vision eines umfassenden PFs nimmt Gestalt an. Das am Center for Bits and Atoms vorhandende Maschinenensemble passt inzwischen auf einen größeren Tisch und ist in der Lage, zwei Drittel seiner Bestandteile selbst herzustellen. Und das für nur 10.000 Dollar. Damit habe es jetzt schon ein enormes Potenzial für ganz neue Produktionsstätten in der Dritten Welt, sagt Gershenfeld. "Denn wir haben nicht nur eine digitale Spaltung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, es gibt auch eine Fabrikationsspaltung." Am MIT-Media-Lab-Ableger in Indien haben Ingenieure mit dieser Ausstattung bereits einen kleinen Dieselmotor für ländliche Regionen gebaut, an dessen Entwicklung bislang kein kommerzieller Hersteller Interesse hatte.

Diese Anwendung zeigt für Gershenfeld denn auch, worin sich eine kommende PF-Revolution vom Siegeszug des PCs unterscheiden wird: Sie hängt nicht von einer einflussreichen Firma wie Microsoft ab, deren Betriebssystem dem neuen Computertyp als Massenprodukt zum Durchbruch verhalf. "Der PF wird mehr wie Linux entstehen", verweist er auf die populäre Software, die in den vergangenen 12 Jahren aus der lockeren Zusammenarbeit von Tausenden von Programmierern hervorgegangen ist. "Es gibt für den PF kein Business Modell. Er wird in vielen lokalen Initiativen entstehen."

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