"macht sich der mensch überflüssig?"
Interview mit Gerd Binnig, von Niels Boeing, August 2004

Der Frankfurter Physiker Gerd Binnig (Jahrgang 1947) erfand 1981 mit dem Schweizer Heinrich Rohrer das Rastertunnelmikroskop, das erste echte Werkzeug der Nanotechnik. Dafür bekamen sie fünf Jahre später der Physiknobelpreis. Seitdem hat die Nanotechnik rasante Fortschritte gemacht, die eines Tages auch die Künstliche-Intelligenz-Forschung beflügeln könnte. Über langfristige Auswirkungen und potenziellen Gefahren dieser Entwicklung äußerte sich Binnig, ein kreativer und kritischer Kopf, im IBM-Labor Rüschlikon, wo er neben der Arbeit in seiner Münchner Firma Definiens noch forscht.

km 21.0 Auf welches Gebiet wird sich die weitere Entwicklung der Nanotechnik besonders stark auswirken?

Gerd Binnig Ich sehe hauptsächlich in der Computertechnik ein ganz großes Potenzial, für intelligentere Chips, die Fähigkeiten haben, die man heute nur Menschen zuschreibt. Das sehe ich zwar eher in zwanzig Jahren, es wird aber die Menschheit durchrütteln.

km 21.0 Inwiefern?

Binnig Künftige Rechner werden eine Kombination sein aus einer Turingmaschine...

km 21.0 ...also dem Prinzip heutiger Computer...

Binnig ...und einem Gerät, das eher unserem Gehirn gleicht. Heute muss ein Resultat exakt sein. Wenn es nicht exakt ist, ist es falsch.
In komplexen Zusammenhaengen gibt es oft kein exaktes Resultat mehr. Dann wird der Aspekt wichtig: Ist es ein gutes Ergebnis? Was gut ist, hängt aber vom Kontext ab. Wenn ich den Kontext verändere, muss 1. ein anderes Ergebnis herauskommen und 2. habe ich andere Ansprüche an die Qualität des Ergebnisses. Es kommt eine ganz neue Art von Mathematik ins Spiel, eine, die nicht das optimale Ergebnis berechnet, sondern ein gutes Ergebnis liefert.

km 21.0 Wie sieht es mit der Nanomedizin aus? Es wird ja durchaus über Nanoroboter nachgedacht, die Zellen reparieren können.

Binnig Man hat hier viel bessere biologische Verfahren, die Zellen reparieren können. Da verwendet man nur das, was in der Natur schon angelegt ist und greift dann ein, indem man Proteine kontrolliert, gezielt ein- oder ausschaltet. Es werden eher biologische Verfahren sein, weil die schon extrem weit entwickelt sind. Damit habe ich einen viel größeren und schnelleren Erfolg. Ich kann doch nicht jetzt von heute auf morgen noch mal die ganze Biologie neu erfinden. Wir können aber mit künstlichen Objekten natürliche Prozesse unterstützen.

km 21.0 Vor vier Jahren brach ja der Informatiker Bill Joy eine Debatte über die Risiken von Künstlicher Intelligenz, Robotik und Nanotechnik vom Zaun. Welche Risiken sehen Sie denn?

Binnig Wenn wir von toxischen Wirkungen von Nanopartikeln reden, finde ich das etwas banal. Die kennen wir ja schon ewig. Die chemische und die Pharma-Industrie beschäftigen sich damit seit langem. Da gibt es etablierte Kontrollmechanismen: Man muss neue Materialien auf toxische Nebenwirkungen abklopfen. Das gilt natürlich auch für "Nano-Materialien".

Es gibt aber eine Frage: Macht sich der Mensch überflüssig? Ich habe ja die intelligenten Maschinen erwähnt: Durch die Vernetzung dieser intelligenten Maschinen mit dem Mensch entsteht ein großes Netzwerkhirn, in dem Maschinen miteinander kommunizieren oder Menschen mit Maschinen. Das wird irgendwann die Intelligenz des Menschen auf ein höheres Niveau heben. Technisch gefährlich wird's dann, wenn die Maschine ein tiefgründigeres Gedicht schreiben oder ein Gedicht tiefgründiger interpretieren kann als ein Mensch. Wird das je geschehen? Dann müssten sich die Menschen allerdings fragen: Welche Rolle spielen wir noch?

km 21.0 Das ist aber doch durchaus eine Variante von Bill Joys Befürchtungen?

Binnig Ja. Natürlich schreien die Physiker auf, wenn einer so etwas zusammenschreibt: „Das ist doch totaler Blödsinn.“ Aber man muss die Botschaft abstrakter anschauen, dann ist es gar nicht mehr so ein völliger Blödsinn. Man setzt etwas in die Welt, dass man nicht mehr kontrollieren kann. Das ist mit der Nanotechnologie denkbar. In diesem Sinne würde ich Leuten wie Joy recht geben. Was aber immer vergessen wird, ist die Risiken eines Technologie-freezes zu diskutieren. Die Welt ist nämlich auch ohne Technik voller Gefahren.

Aber um eine solche neue Technologie einzuführen, bedarf eines Investments, und das ist nicht gerade klein. Da reden wir über ein paar Jahrhunderte, vielleicht sogar Jahrtausende.

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