"selbstreplikation ist nicht notwendig"
Interview mit Eric Drexler, von Niels Boeing, September 2004

Eric Drexler ist eine der umstrittensten Figuren der Nanotechnikszene. Auf ihn geht das Konzept eines molekularen Assemblers zurück, der beliebige Gegenstände aus Atomen und Molekülen zusammenbauen kann. Diese Vision, von ihm erstmals 1986 in seinem Manifest "Engines of Creation" dargelegt, hat seitdem Studenten inspiriert und noch mehr Laien zu schlimmsten Befürchtungen über einen Nano-GAU angeregt. Auf diesem beruht auch Michael Crichtons Bestseller "Beute". Drexler selbst hat sein Konzept aber in den letzten Jahren weiterentwickelt. In diesem Interview, dem ersten seit längerer Zeit, nimmt er zur "Assembler-Frage" Stellung

km 21.0 In Nanosystems haben Sie 1992 das Konzept einer molekularen Nanotechnik und ihres wichtigsten Werkzeugs, des Assemblers, detailliert ausgearbeitet. Eine NASA-Studie stellte kürzlich fest, dass Assembler prinzipiell machbar seien. Was müssten die nächsten Entwicklungsschritte sein, vorausgesetzt, man will einen Assembler bauen?

Eric Drexler Wir haben heute noch nicht die Werkzeuge, die nötig sind, um einen Assembler zu bauen. Die gegenwärtige Forschung verbessert aber unser Verständnis davon, wie man Strukturen mit atomarer Präzision abtastet, manipuliert und designt. Dadurch werden unsere Werkzeuge ausgefeilter.
Letzlich wird der Bau eines molekularen Assemblers das Ergebnis einer konzertierten Anstrengung des Systems Engineering sein. Angesichts der strategischen und ökonomischen Wettbewerbsvorteile, die sich aus dieser Technologie ergeben, wird es interessant, wer sich an solch einem Programm beteiligt.

Ein vielversprechender Schritt ist, Bausteine mit atomarer Genauigkeit zu entwerfen und zu synthetisieren, die sich per Self-Assembly zusammenfügen. Das könnten Proteine sein. Diese nutzt man dann, um molekulare Apparate zu bauen, die wiederum helfen, Strukturen der nächsten Generation zu synthetisieren.

km 21.0 Ist der Assembler nur eine Vision oder eine innere Notwendigkeit in der Evolution der Technik?

Drexler Richard Feynman hat in seiner Rede von 1959, “There’s Plenty of Room at the Bottom“, angedeutet, dass er diese Entwicklung für „unvermeidbar“ halte. Ich teile diese Ansicht. Unsere derzeitigen Forschungsanstrengungen schaffen die Grundlagen für eine künftige Molekulare Nanotechnik, und das Gebiet scheint sich rasch zu entwickeln.

km 21.0 Das Assembler-Konzept hat ja vielen Menschen Angst gemacht. Sie stellen sich darunter häufig künstliche Lebewesen vor, die in Schwärmen durch riesige Fabrikhallen schwirren, sich unkontrolliert vervielfältigen und in alles eindringen können. Was sagen Sie dazu? Wie wird denn Ihrer Meinung nach eine assembler-basierte Produktion in 30 Jahren aussehen?

Drexler Ich habe Anfang Juni im Wissenschaftsjournal Nanotechnology zusammen mit Chris Phoenix, dem Direktor des Center for Responsible Nanotechnology, eine Neubewertung des Konzepts molekularer Maschinen veröffentlicht. Darin haben wir die Forschungsergebnisse der vergangenen zehn Jahre berücksichtigt. Es zeigt sich, dass im Gegensatz zu früheren Überlegungen Selbst-Replikation NICHT notwendig für eine molekulare Nanotechnik ist. Mehr noch, Produktionsverfahren, die darauf basieren, können vollkommen nicht-biologisch sein.

Eine gute Vorstellung, wie das aussehen könnte, gibt eine Illustration von John Burch. Danach haben wir es mit einem Produktionsgerät zu tun, das problemlos auf einen Schreibtisch passt und eine große Vielfalt an Gegenständen herstellen kann, zum Beispiel einen Computer mit einer Milliarde Prozessoren.
Solche Produktionssysteme aus winzigen, selbst-replizierenden Maschinen herzustellen, wäre unnötig kompliziert und ineffizient. Der einfachere und ganz offensichtlich auch sicherere Weg ist, nanoskalige Werkzeuge in kleinen Fabriken einzusetzen, die gerade noch groß genug sind, um das zu produzieren, was man haben will. In der Geschichte haben die Menschen Werkzeuge immer auch dazu gebraucht, weitere und bessere Werkzeuge zu bauen. Auf diese Weise sind wir von Hammer und Amboss eines Schmieds zu den vollautomatisierten Produktionsanlagen der heutigen Industrie gekommen.

km 21.0 Die entscheidende Schwierigkeit scheint mir, überhaupt erst mal einen voll funktionsfähigen Assembler zu bauen, der ja immer noch aus Millionen Atomen bestehen würde. Wie könnte das gehen?

Drexler Es gibt viele verschiedene Wege dorthin. Den Weg, der ganz offensichtlich am gangbarsten ist, habe ich bereits 1981 in meinem PNAS Paper beschrieben: Er beginnt mit maßgeschneiderten Proteinen als Bausteinen, die einige tausend Atome haben. Wir wissen von biologischen Beispielen, dass protein-basierte Maschinen zur Synthese komplexer Strukturen in der Lage sind. Die Idee ist also, mit bereits existierenden molekularen Werkzeugen bessere Werkzeuge und so Schritt für Schritt immer größere, komplexere und leistungsfähigere Systeme zu bauen.

km 21.0 Im „21st Century Nanotechnology Research und Development Act“, den George W. Bush im Dezember unterschrieb, spielt der Ansatz der Molekularen Nanotechnik keine Rolle. Sie haben das auch kritisiert. Wie erklären Sie sich den Widerstand in großen Teilen der Scientific Community, sich überhaupt damit auseinanderzusetzen?

Drexler Ich glaube, dass eine offene Diskussion, ja ein Fortschritt auf diesem Gebiet behindert worden sind, weil einige Forscher doch sehr viel Aufwand betrieben haben, ihre Arbeit von den Befürchtungen eines „Gray-Goo“-artigen Szenarios abzugrenzen. In einem Paper vom Februar 2004 habe ich umrissen, worum es bei diesem Streit eigentlich geht. Ein Punkt ist die Furcht, die Industrie könnte überreguliert werden. Interessanterweise sind es Physiker, Informatiker und Ingenieure, die der Idee einer Molekularen Nanotechnik den geringsten Widerstand entgegenbringen. Die größte Herausforderung ist jedenfalls der Mangel an Forschungsförderung seitens der Regierung.

km 21.0 Als Sie 1986 das Foresight Institut gegründet haben, war ein Grund dafür, dass Sie Sicherheitsrichtlinien für den Umgang mit Molekularer Nanotechnik erarbeiten wollten, bevor diese kommt. Wie sehen Sie sich selbst: als Entdecker einer leuchtenden Zukunft oder als jemand, der das ultimative Damoklesschwert der technischen Evolution entdeckt hat?

Drexler Ich bin zu verschiedenen Zeitpunkten mal als Verfechter, mal als Gegner dieser Technologie beschrieben worden. Als ich das Foresight Institute gründete und Engines of Creation schrieb, wollte ich helfen, die Gesellschaft auf die Umbrüche vorzubereiten, die die Molekulare Nanotechnik nach sich ziehen wird. Die Macht, mit der sie Wirtschaft, Medizin, Militär und Umwelt verändern wird, stellt alles in den Schatten, was wir aus der Geschichte des Menschen kennen. Wenn wir die Molekulare Nanotechnik richtig verstehen wollen, müssen wir sowohl die Annehmlichkeiten als auch die Risiken untersuchen.


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