top oder flop: geschichten vom scheitern
Reinhold Bauer, Hamburg, 2003

2004 ist in der Bundesrepublik offiziell das "Jahr der Technik", inoffiziell das Jahr der Innovation. Monat für Monat beschwören Politik und Wirtschaft ihre Kraft für die Genesung des "Standorts". Dumm nur, dass Innovation kein Zaubertrank ist, der ruckzuck stark macht. In Wirklichkeit ist sie ein abenteuerliches Gebräu, in dem vor allem eine Zutat reichlich enthalten ist: das unvermeidliche Scheitern, über das in den Sonntagsreden kein Wort verloren wird.

Von der Unterdruck-Eisenbahn haben Sie nie gehört? Hydrobergbau ist Ihnen ebenso wenig ein Begriff wie die Kohlenstaub-Lokomotive? Selbst beim „Itera“-Plastikfahrrad oder beim Elektropflug glimmt kein Erinnerungsfunken auf? Kein Grund zur Sorge: Fast niemand erinnert sich mehr an diese Dinge, es sind „Gescheiterte Innovationen“, deren Existenz über kurz oder lang von der Welt vergessen wurde. In Erinnerung sind bestenfalls die angesichts verlorener Subventionsmillionen spektakuläreren oder aktuelleren Fälle, etwa das in den 1980er Jahren aufsehenerregende Riesenwindrad „Growian“ oder der erst jüngst gescheiterte Frachtzeppelin „Cargolifter“.

Gemeinsam ist diesen Vorhaben, dass es sich keinesfalls um völlig phantastische Projekte handelt, deren Misserfolg gleichsam vorprogrammiert war. Nicht von raketengetriebenen Erdsehnenbahnen, rollenden Bürgersteigen, Mittelmeerdämmen oder vom „Perpetuum Mobile“ ist hier die Rede. Nein, gescheiterte Innovationen sind Erfindungen, die grundsätzlich funktionierten und im Vergleich zur existierenden Technologie Vorteile boten, die sich aber dennoch nicht haben durchsetzen können. Ein notwendiges Merkmal der gescheiterten Innovation ist, dass sie es bis in die Wirklichkeit geschafft hat, ein zweites, dass sie diese wieder verlassen hat, ohne das investierte Kapital hereinzuspielen.

Werfen wir einen Blick auf das erwähnte Plastikfahrrad: Das 1982 unter dem Namen „Itera“ auf den Markt gebrachte Rad ging auf Freizeitbasteleien einiger Volvo-Ingenieure zurück, die ein preiswertes, leichtes und dabei haltbares Rad entwickeln wollten. Tatsächlich erwies sich das Plastikrad als robust und bequem, bot zudem den Vorteil, aus nur wenigen Einzelteilen zusammengesetzt zu sein. Um aber seinem Rahmen die erforderliche Steifheit zu verleihen, musste das Kunststoff-Spritzgussteil ungewöhnlich dick ausfallen. Herstellungsbedingt waren zudem alle Verstrebungen deutlich zu sehen. Potentielle Käufer empfanden das zukunftsweisende Rad als altmodisch und klobig. Seinem Plastikmaterial haftete das Image des billigen Ersatzes an und das sportliche Design, das der Käufer in den frühen 1980er Jahren von einem futuristischen Rad erwartete, konnte unser Kunststoffmodell nicht bieten. Last but not least verlangte die Nutzung des auffälligen Plastikesels „Sozialen Mut“, da er seinen Besitzer der Lächerlichkeit preiszugeben drohte. Das Ende des Innovationsversuchs liegt auf der Hand: Niemand wollte das hässliche Rad haben, so modern es auch sein mochte. Offenbar hatte man am Nutzer vorbei konstruiert.

Eine etwas andere Geschichte erzählt das vom Bundesforschungsministerium getragene Prestigeprojekt „Growian“. Mit der festen Überzeugung „Größer ist besser“ betrieb man seit Mitte der 1970er Jahre den Bau eines Riesenwindrads, das mit einer Turmhöhe von 100 Metern und einer Nennleistung von 3 MW – etwa das 60-Fache des damals technisch sicher beherrschten – zum Symbol des Aufbruchs in eine neues Zeitalter regenerativer Energien werden sollte. Schon in der Bauphase entwickelte sich das Projekt aber zum Sorgenkind: Die Kosten stiegen auf das Doppelte des ursprünglich kalkulierten Wertes und auch die Bauzeit verdoppelte sich nahezu. Schon kurz nachdem die Anlage 1983 den Betrieb aufnehmen konnte, zeigten sich die ersten Überlast-Schäden. Die weitere Erprobung bis zur vorzeitigen Stillegung 1987 verlief entsprechend desaströs: In den vier Betriebsjahren war die „Growian“ gerade mal 420 Stunden in Betrieb. Getragen vom Machbarkeitsglauben der beteiligten Ingenieure hatte man nach dem einen „großen Wurf“ gestrebt, wollte zu früh zu hoch hinaus. An ähnlichen Symptomen der Hybris scheiterte im Bereich der Kernenergie auch die Brütertechnologie oder, ein aktuelles Beispiel, der schon oben erwähnte Cargolifter. Erfolgreich waren bei der Windenergienutzung übrigens die vielen dezentral arbeitenden Bastler und Tüftler, die auf Betriebssicherheit und Alltagstauglichkeit setzten und ihre vergleichsweise kleinen Windkraftanlagen langsam optimierten.

Schauen wir etwas weiter zurück, so stoßen wir in der Zwischenkriegszeit auf das damals revolutionäre Binnenschiffs-Transportsystem des „Lastrohrfloßes“. Dessen Grundgedanke war zweifellos bestechend: Genormte „Laströhren“ konnten zu nahezu beliebig langen und mehrere Einheiten breiten floßartigen Schlangen zusammengesetzt werden. Mit Hilfe einer motorisierten Schubeinheit hinten und einer ebensolchen Zugeinheit vorn ließ sich diese Transportschlange dann über die Wasserstraßen bugsieren. Die einzelnen Laströhren waren nicht nur frei kombinierbar, Spezialkräne konnten sie auch komplett aus dem Wasser heben, entladen oder auf andere Verkehrsträger umsetzen. Das Lastrohrfloß nahm also Eigenschaften der späteren Schubschiffeinheiten vorweg und bot darüber hinaus eine Flexibilität, wie sie erst der Containerverkehr wieder erreichte. Trotzdem setze sich das Transportsystem nach eingehender Erprobung nicht durch. Schuld daran war einerseits der Widerstand der Binnenschifffahrts-Organisationen und des Reichsschleppdienstes, die Einnahmeverluste befürchteten. Entscheidender war aber wohl, dass nicht alle Komponenten der „Systemerfindung Lastrohrfloß“ rechtzeitig fertig geworden waren. Die erforderlichen Spezialkräne standen bei Aufnahme der Versuchsfahrten noch nicht bereit, womit das System sein volles Rationalisierungspotential nicht annähernd hat entfalten können. Insgesamt schien der erforderliche Anpassungsaufwand für den Hafenbetrieb zu groß, so dass das Lastrohrfloß trotz seiner Vorteile dauerhaft in der Versenkung verschwand.

Dass nicht jede gescheiterte Innovation zwangsläufig für immer und ewig von der Bildfläche verschwindet, mag das Beispiel der Mikrowelle belegen. Der erste Versuch diesen neuzeitlichen Speisenwärmer in die Familienküche zu integrieren schlug Ende der 1940er Jahre fehl. Kaum jemand konnte sich für den damals immens teuren, kühlschrankgroßen Apparat erwärmen, der in mysteriöser Weise Essen mit Hilfe eines elektromagnetischen Feldes erhitzte. Zu deutlich war dem neuen Gerät der Rüstungsfirma Rytheon seine militärische Herkunft noch anzumerken. Erst nachdem die Japaner das Gerät seit den 1960er Jahren wesentlich verkleinert hatten, gelang ihm mit neuem, zivilen Image der Einzug in die Privathaushalte. Freilich musste sich dafür auch die Welt erst ändern: Die Mikrowelle trat ihren Siegeszug in einer veränderten Gesellschaft voller Singlehaushalte und Doppelverdiener mit Kindern an, die es in den 1940er und 50er Jahren noch kaum gegeben hat.

Schließlich sei noch erwähnt, dass sich die Mikrowelle zwar in den USA, in Deutschland oder Großbritannien sehr gut verkauft, in Ländern mit anspruchsvollerer Esskultur wie Frankreich oder Italien aber nach wie vor Akzeptanzprobleme hat. Ganz offenbar muss also bei der Frage nach Erfolg oder Misserfolg einer neuen Technologie auch das jeweils spezifische kulturelle Umfeld in den Blick genommen werden. Das Beispiel Mikrowelle vermag zudem zu verdeutlichen, dass Aussagen über das Scheitern einer Innovation immer nur Aussagen mit „begrenzter Reichweite“ sind: Scheitern kann stets nur für einen bestimmten Zeitraum und einen bestimmten geographischen bzw. kulturellen Raum eindeutig diagnostiziert werden.

Der letzte „Flop“, der hier vorgestellt werden soll, ist der bisher gescheiterte Versuch, Stirling-Motoren als Antrieb in Automobilen einzusetzen. Zur Funktion dieser Motoren sei nur soviel gesagt: Es handelt sich um Verbrennungskraftmaschinen, bei denen ein gasförmiges Arbeitsmedium periodisch erhitzt und wieder abgekühlt wird. Die damit einhergehende Druckänderung kann über Kolben in mechanische Arbeit umgesetzt werden. Anders als beim Otto- oder Dieselmotor wird die erforderliche Prozesswärme durch eine kontinuierliche äußere Verbrennung erzeugt. Stirling-Motoren arbeiten daher leise und sehr emissionsarm. 1989 präsentierte die Firma Mechanical Technology Incorporated in den USA einen serienreifen Pkw-Stirling-Motor, dessen Schadstoffemission die geltenden Grenzwerte bei weitem unterbot. Beim Verbrauch schlug der Pkw-Stirling konventionelle Otto-Motoren zwar um etwa 1/3, schluckte aber nicht wesentlich weniger als hochentwickelte Dieselmotoren. Hinzu kam, dass die geltenden Abgasgrenzwerte auch mit der etablierten Technik immer noch problemlos eingehalten werden konnten. Der Umstand, dass diese Werte vom Stirling-Motor bei weitem unterboten wurden, bedeutete keinen substantiellen Vorteil.

Die Automobilkonzerne zeigten wenig Interesse an einer Maschine, deren risikobehaftete Serieneinführung gewaltige Investitionen verursacht und die Aufgabe des seit Jahrzehnten bewährten Motorenkonzepts verlangt hätte. Die geringe Verbrauchseinsparung gegenüber dem Dieselmotor rechtfertigte einen solchen Schritt ebenso wenig wie das wesentlich bessere Emissionsverhalten. Der Pkw-Stirling ist ein gutes Beispiel dafür, dass auch ein technisch gelungenes Produkt nicht zwangsläufig Zugang zum Markt erhält. Ähnlich wie die frühe Mikrowelle wird er allerdings unter veränderten Rahmenbedingungen in Zukunft möglicherweise eine zweite Chance erhalten.

Unser kurzer Einstieg in die Welt der gescheiterten Innovationen könnte im Grunde fast beliebig fortgesetzt werden, der Friedhof fehlgeschlagener Entwicklungen ist schließlich zum bersten voll. Bereits Untersuchungen für die 1960er Jahre haben gezeigt, dass in der Industrie etwa 85 Prozent der Entwicklungszeit auf Produkte verwandt wird, die nie auf den Markt gelangen. Es spricht wenig für die Vermutung, dass dieser Anteil sich inzwischen verringert habe. Scheitern, nicht Erfolg, ist also der Regelfall.

Trotzdem interessiert sich bis heute kaum jemand für die Geschichte des Scheiterns. Einerseits hängt das sicherlich damit zusammen, das Innovation immer noch gedankenlos mit Erfolg gleichgesetzt wird. Unter dem Einfluss dieses Denkens droht aber die Forderung nach steigender Innovationsfähigkeit zur Leerformel zu verkommen. Die tatsächlichen Bedingungen für innovatives Handeln, die stets vorhandenen Risiken des Scheiterns, geraten aus dem Blick. Der zweite weit trivialere Grund für die unzureichende Aufmerksamkeit, die gescheiterten Innovationen bisher geschenkt wurde, ist rein praktischer Natur: Unternehmen haben wenig Interesse daran, ihre Archive für die Untersuchung von Fehlschlägen zu öffnen. Über Misserfolge spricht man einfach nicht gern.

Dass sich die Beschäftigung mit dem Scheitern aber lohnen kann, zeigt, so hoffe ich, schon unser kleiner Überblick. Er verdeutlicht, dass Innovationsversuche häufig an ganzen Problembündeln scheitern. Bestimmte Ursachen spielen dabei erwartungsgemäß eine große Rolle, etwa innertechnische Schwierigkeiten, wirtschaftliche Faktoren wie Anschaffungs- und Nutzungskosten oder die spezifische Konkurrenzsituation. Deutlich wird aber auch, dass sich die Ursachen des Scheiterns nicht ausschließlich auf diese „harten“ Faktoren reduzieren lassen. Zu erkennen sind Problemstränge, die sich aus dem jeweiligen Innovationszeitpunkt, Fehlprognosen der Marktentwicklung, einer Fehleinschätzung von Nutzerbedürfnissen, zu hohen Anpassungserfordernissen an das Nutzungsumfeld oder - genereller - mangelndem Verständnis für die „Verwendungskultur“ ergeben können.

Die Analyse von Fehlschlägen bietet dem historischen Technikforscher die Chance, den Charakter technischen Wandels deutlicher zu akzentuieren. Die Entwicklung neuer Technologien – ob letztlich erfolgreich oder nicht – beruht immer auf einer Art Handeln unter Informationsmangel, unter unklaren Bedingungen. Unsicherheiten sind angesichts dieser unklaren Bedingungen „endemisch“, das Risiko des Scheiterns ist immer gegeben. Bei erfolgreichen Innovationen droht der Erfolg selbst den Blick auf diese unvermeidbaren Entstehungsbedingungen zu verstellen.

Eine Technikgeschichtsschreibung, die sich ganz überwiegend mit der erfolgreichen Verwertung und Umsetzung technischer Ideen beschäftigt, entwirft zwangsläufig ein verzerrtes Bild des historischen Prozesses. Der Eindruck entsteht, die technische Entwicklung sei einem geraden, rationalen Pfad aus der Vergangenheit in die Gegenwart gefolgt. Tatsächlich zeigt schon ein oberflächlicher Blick auf praktisch jeden beliebigen Teilbereich der Technik, dass es diesen unterstellten geraden Entwicklungsweg nicht gegeben hat. Die Vorstellung, vermeintlich objektive technikwissenschaftliche Kriterien, ökonomische Rationalität und die „Weisheit des Marktes“ würden im Sinne einer „darwinistischen Selektion“ garantieren, dass sich immer die jeweils „beste“ Technik durchsetzt, muss jedenfalls als reiner Mythos zurückgewiesen werden.


Reinhold Bauer ist Professor für Technikgeschichte an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg (ehemals Bundeswehruniversität). Er hat aus seinen Forschungsergebnissen inzwischen eine "Typologie des Scheiterns".
Wir danken ihm für die Überlassung des Textes.

[zurück zum Anfang]



© 2004 Reinhold Bauer - diese Seite ist Bestandteil von www.km21.org