das perfekte klo
oder: "use space, time and gravity"

Niels Boeing, Hamburg, März 2003

Der "europäische Porzellanstandard" in unseren Toiletten gilt den meisten von uns als Ausweis für die Höhe der westlichen Zivilisation. Bullshit, meinen Kloforscher aus dem walisischen Machynlleth dazu. Sie wissen es besser.

Wenn umweltbewusste Menschen sich so richtig gruseln wollen, sprechen sie über China. Genauer über "die Chinesen". Was wird aus unserer Erde, wenn alle Chinesen einen Kühlschrank, einen Elektroherd, einen PC und ein Auto haben wollen, fragen sie? Sicher, das könnte schlimme Folgen haben. Eine ökologisch nicht unerhebliche Frage wird dabei einfach übergangen: Was passiert, wenn alle Chinesen, ja auch alle Inder, ein modernes WC mit 8-Liter-Spülung haben wollen?

Nicht allen ist dieser Teil des Fortschritts peinlich. Louise Halestrap und Peter Harper vom Center for Alternative Technology (CAT), in den verregneten Hügeln von Mittelwales, reden gerne und ausführlich darüber. Auch wenn es diese Disziplin nicht gibt, könnte man die beiden durchaus als Kloforscher bezeichnen. "Have you read the Scheiss Buch?" fragt Peter Harper augenzwinkernd den gerade eingetroffenen Gast aus Deutschland beim vegetarischen Curry am Mittag. Das Buch rund um den Abort, 1988 im Verlag Grüne Kraft erschienen, ist nun eher ein Schenkelklopfer inmitten der Aktenordner und Fachbücher, die in Louise Halestraps Büroregal stehen. Denn ihr und Harper geht es, bei allem Flachs, um die Verbesserung des westlichen "Porzellan-Standards".

"Die weiße Kloschüssel hat natürlich eine enorme psychologische Bedeutung. Sie wirkt so sauber und glänzend, und mit einem Wasserschwall sind wir unsere Exkremente auch mental los", sagt die Mikrobiologin. "Das ist wichtig, denn im Westen empfinden wir Fäkalien besonders als kulturelle Verunreinigung. Wir tun ja dauernd so, als gäbe es das Thema gar nicht." Bei ihr ist es ziemlich präsent: Über dem Schreibtisch befindet sich eine hübsche Sammlung von Haufen-Imitaten. Kleine Aufmerksamkeiten von Londoner Studenten, die am CAT Umwelttechnik-Kurse belegen. "Fühlt der sich nicht fies an?" fragt sie und drückt mir ein klebriges Plastikpräparat in die Hand.

Dann erklärt sie die Haken des Porzellan-Standards. Nicht nur, dass sauberes Trinkwasser dafür herhalten muss, etwa ein Drittel all dessen, was westliche Haushalte im Durchschnitt verbrauchen. Beim Abziehen spritzen mikrobengeschwängerte Tröpfchen in den Raum. "Nicht gerade hygienisch", findet Halestrap. Und wertvolle Mineralien und Nährstoffe werden einfach verschwendet, wenn der Mist – immerhin 50 Gramm Feststoffe am Tag bei einem Erwachsenen – in der Kanalisation verschwindet.

Das muss doch nicht sein. "Use space, time and gravity", hält sie mit der manchmal unvergleichlichen Prägnanz der englischen Sprache dagegen, als wir uns fünf Minuten später über eine wasserlose Alternativtoilette beugen – sozusagen das Prunkstück des CAT. Sie hebt den Deckel und lässt mich einen Blick ins schwarze Loch werfen. Das Dämmerlicht verschleiert gnädig, was da in der Tiefe vor sich hin modert. Erstaunlich ist nur: Man riecht überhaupt nichts. Raum, Zeit, Gravitation?

Raum: Unter dem Klo befinden sich zwei geräumige Kammern, aus denen die Abluft über einen Ventilator zum Dach hinausgeleitet wird. Zeit: Wenn eine Kammer voll ist, wird sie versiegelt und ein Jahr sich selbst überlassen. Danach hat sich ihr Inhalt in erstklassigen Humus verwandelt, der auf die Blumenrabatte gestreut werden kann. Währenddessen wird die Klobrille über der zweiten Kammer postiert. Gravitation: Sie bewirkt, dass es prinzipiell ohne Wasser geht. "Trockentoiletten sind hygienischer als eine Wasserspülung", versichert Halestrap und fügt hinzu: "Das hier ist übrigens wie eine Toilette in China vor 1000 Jahren." So viel zum Thema Chinesen und Klofortschritt.

Im Prinzip lassen sich solche Trockentoiletten in vielen Häusern installieren, sogar nachträglich. Die entscheidende Schwierigkeit liegt in der Beschaffenheit des angehenden Komposthaufens. Obwohl biologisch prinzipiell klar ist, was im Innern vor sich geht, gleicht kein Haufen dem anderen. Kompostieren ist noch keine exakte Technologie. Damit die Mikroorganismen sich über ihre "Paté de foie gras" (O-Ton Harper) hermachen, muss etwa dreißigmal soviel Kohlenstoff wie Stickstoff vorhanden sein. Weil Kot ein C/N-Verhältnis von nur 8:1 hat, müssen auf jeden Fall pflanzliche, also kohlenstoffhaltige Reste zugesetzt werden. Sägemehl, Toilettenpapier sowieso, oder Zeitungspapier. "Das gibt nebenbei einen wunderschönen Glanz auf dem Porzellan, wenn man damit vorher die Kloschüssel säubert", sagt Peter Harper mit jenem feinen britischen Humor, der hiesigen Umweltbewegten mitunter abgeht. Denn eine Porzellanschüssel über dem schwarzen Loch macht natürlich jedes Kompostklo gleich akzeptabler.

Allerdings sollte sichergestellt sein, dass Urin mit seinem schlimmen C/N-Wert von 1:2 separat aufgefangen wird. Sonst dauert es nicht lange, bis ammoniakhaltiger Gülle-Geruch das Ökobewusstsein zur Tortur macht, es sei denn man schüttet den Abgrund reichlich mit Sägemehl zu. Um Urin zu trennen, nutzt man am besten die Adhäsionskraft von Flüssigkeiten an Oberflächen aus. Im CAT-Doppelkammerklo ist hierfür ein gebogene Membran an der Innenseite der Kammer angebracht, an der entlang der Strahl in eine eigene Auffanganlage umgelenkt wird. Demselben Zweck dient das schwedische "Aquatron" hinter dem Besucherzentrum des CAT. Das ist eine große Plastikschnecke am Ende eines langen Rohres, an deren Spiralwänden Flüssigkeiten entlangzischen, während die festen Bestandteile durch die Mitte in die Tiefe plumpsen. Raum, Zeit und Gravitation eben.

Immer wieder stößt man auf dem weitläufigen CAT-Campus auf Klohäuschen, Komposthaufen und Klärbeete. Insgesamt 15 verschiedene Toilettensysteme sind hier derzeit im Einsatz. Im "Pooh-Temple" unter einem ausladenden Baum befinden sich ein wasserloses Urinal sowie ein Kompostklo mit nur einer Kammer und einem Behälter voll Holzstreu daneben. In den Bürohäusern vertraut man dann aber doch lieber auf Spülungen mit Wasserspartaste. Hinter dem Pooh-Temple kann man den Verfallsprozess von Kompostmischungen in verschiedenen Holzkästen begutachten. Egal, ob Klopapier, Holzabfälle oder – hinter durchlöchertem Plexiglas – echter Mist, das Ergebnis sieht immer wie Blumenerde vom Gärtner aus. Geruch gleich null.

Ist das Gesundheitsrisiko auch gleich null? In manchen Weltgegenden wird ja direkt aus der Sickergrube gedüngt. Immer wieder gelangen so Bakterien auf die Felder, die dann über Feldfrüchte Krankheiten verbreiten. Bei richtiger Kompostierung werden die Krankheitserreger, die Kot anfänglich enthält, aber abgetötet. Jedenfalls dann, wenn der Haufen sich weit genug aufheizt während der Zersetzung (etwa 70 Grad) und dem ganzen genug Zeit gegeben wird. Die richtige Arbeitstemperatur des Haufens hängt aber wiederum vom Klima und der umgebenden Feuchtigkeit ab. In südlichen Breiten funktionieren Trockenklos besser als in Wales, sagen die CATler.

"Wir installieren hier ständig neue Toiletten und spielen dann mit ihnen herum", beschreibt Louise Halestrap ihre Arbeit als Kloforscherin. Vor allem aus Skandinavien kommen immer wieder neue Modelle zum Testen, die für die kanalisationslosen Weiten der dortigen Seenlandschaften konzipiert sind. Daneben beraten sie, Harper und einige Kollegen Architekten, Behörden oder Firmen beim Einsatz umweltgerechter WC-Systeme. "Wir waren zum Beispiel die Kloberater für die Reality-Show 'Castaway'", erzählt Halestrap grinsend. Bei dieser Big-Brother-Variante wurden die Kandidaten auf einer Insel ausgesetzt. "Der TV-Sender hat dann aber nicht alles so umgesetzt, wie wir es empfohlen hatten. Die wollten es den Leuten wohl nicht so einfach machen."

Um skeptischen bis peinlich berührten Beamten gegenüber souveräner auftreten zu können, haben die beiden die WC-Technik ordentlich systematisiert. In ihrer Klokunde "Lifting the Lid" (frei übersetzt etwa: Den Klodeckel lüften) unterscheiden sie acht verschiedene Toilettenklassen: Klassischer Porzellan-Standard (also WC plus Kanalisation), WC mit Sickergrube, WC mit septischem Tank, WC mit septischem Tank und Klärbeet für flüssige Fäkalien, WC mit Feststoffkompostierung und Urintrennung, echtes Kompostklo, Kübelklo und Donnerbalken. Dazu kommen Varianten mit verschieden Spülsystemen, Flüssigchemikalien oder Heizstäben sowie Hybridtypen. Das Klo muss schließlich zum Ort passen.

Eine Ideologie machen Halestrap und Harper aus ihren alternativen Systemen denn auch nicht. Entscheidend sei, ob sich die Investition der nicht ganz so billigen Trockentoiletten rechne, wenn es etwa nur ums Wassersparen ginge. Denn da kann man im Haushalt auch auf andere Weise viel rausholen, und sei es nur durch Spülkästen mit Stopptaste. Eine Technik, die im Unterschied zu Deutschland in Großbritannien leider noch nicht sehr verbreitet sei. Die benutzt Louise Halestrap auch bei sich zuhause, "obwohl mein Favorit das Doppelkammerkompostklo ist." Dass in absehbarer Zeit der Porzellan-Standard verschwindet, erwarten die Kloforscher vom CAT nicht. Denn bei aller Ökologie führt an einer Maxime kein Weg vorbei: "Man muss seine Toilette lieben."

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