eine prise cyberpunk,
ein spritzer kurzweil

Stefan Krempl, Berlin, August 2001

Reengineering des Menschen zwischen Hightech und Hype: Die Transhumanisten sind mit Hilfe der Künstlichen Intelligenz auf der Suche nach dem ewigen Leben. Auf ihrer Konferenz "Transvision 2001" in Berlin lagen schier unbegrenzter Fortschrittsglaube und Hirngespinste eng nebeneinander.

Steven Spielbergs jüngster Film kommt erst im September in die europäischen Kinos. Doch schon jetzt wird ihm in den Feuilletons grosser deutschsprachiger Zeitungen viel Platz eingeräumt. Das Medienecho ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass einer der erfolgreichsten Regisseure eine Kurzgeschichte verfilmt, für die ihm niemand Geringerer als Stanley "2001" Kubrick die Rechte übertragen hat; neben dieser einmaligen Konstellation ist es auch das Thema, das die Menschheit seit Jahrtausenden beschäftigt: "A. I. - Artificial Intelligence" lautet der Titel des im Internet über ein verzweigtes Puzzlespiel beworbenen Films [aimovie.warnerbros.com].

Der Mensch als Auslaufmodell

Die Suche nach nichtmenschlicher Intelligenz hat Magier, Astrologen und Mystiker genauso wie Science-Fiction-Autoren seit je fasziniert. Seit Alan Turing in den fünfziger Jahren seinen "Intelligenztest" für Computer präsentierte, hat sich die Künstliche Intelligenz (KI) auch in der Wissenschaft einen Platz erobert. Die Prognose, das menschliche Gehirn mit Hilfe der Maschine schon bald zu simulieren und seine Fähigkeiten bei weitem zu übertreffen, erwies sich allerdings als falsch, was einzelne Forscher aus den Bereichen KI und Robotik wie Ray Kurzweil oderHans Moravec allerdings nicht davon abhält, weiterhin den Menschen als Auslaufprodukt zudeklarieren, der durch den Cyborg, den künstlichen Organismus, abgelöst werde.

Dieser naive Zukunftsoptimismus, der wenn nicht eine Geringschätzung der Menschlichkeit, so doch eine der Körperlichkeit enthält, hat im vergangenen Jahr Kritiker wie den Software-Designer Bill Joy aus der Reserve gelockt. Der Mitgründer von Sun Microsystems vergleicht die Gen- und Nanotechnologie sowie die Robotik mit den Massenvernichtungswaffen des 20. Jahrhunderts. Auch Spielberg verspürt bei dem in "A. I." aufgegriffenen Gedanken, dass "Computer eines Tages den Menschen vergleichbare Emotionen oder gar ein Bewusstsein entwickeln könnten", ein "Unbehagen".

Ganz im Gegensatz zu den Skeptikern kann einer in den USA geborenen, seit einem knappen Jahrzehnt auch in Europa langsam Anhänger findenden Bewegung die Selbstüberschreitung des Menschen, seine "Aufhebung" in der Maschine, nicht schnell genug gehen. Kernanliegen der nach dem kalifornischen Extropy Institute [www.extropy.org] benannten "Extropianer" oder "Transhumanisten" ist es, mit den sich ständig erweiternden Mitteln der Technik den Menschen zwar vielleicht nicht gleich vollständig abzuschaffen, aber ihn zumindest zu "perfektionieren". Im Prinzip, erklärtNick Boström, ein inzwischen in die USA ausgewanderter schwedischer Wissenschaftsphilosoph,geht es darum, "die Kontrolle über unser Schicksal zu erhalten". Der Gründer der internationalen transhumanistischen Gesellschaft [www.transhumanism.org] sieht angesichts menschlicher Krankheiten und Informationsverarbeitungsdefizite noch viel Raum, "uns selbst als Kreaturen zu verbessern".

"80 Jahre reichen nicht"

Ganz in diesem Sinne drehte sich auf der Konferenz Transvision 2001 [www.transhumanismus.de/TV2001], die die europäischenTranshumanisten kürzlich zu ihrem vierten Jahrestreffen in Berlin zusammenführte, alles um Techniken für das Reengineering des Menschen. Rund 35 Vor- bzw. Nachdenker haben sich in dem nicht gerade als Nobelherberge zu bezeichnenden Novotel direkt neben der Landebahn desFlughafens Tegel versammelt. Ein Redner reklamiert rechtsphilosophisch die Freiheit, den eigenen Körper ganz in Besitz zu nehmen und nachBelieben zu verändern. Andere stellen die Prozesse des Alterns und Sterbens dar, erörtern Ansätze für die künstliche Lebensverlängerung.

Das alles findet interessanterweise nicht etwa vor einem in Ehren ergrauten Publikum statt, dem der Weg allen Fleisches ins Gesicht geschrieben steht; gerade die in Berlin stark vertreteneDeutsche Gesellschaft für Transhumanismus besteht fast ausschliesslich aus Mitgliedern zwischen 20 und 30 Jahren, die ihr Leben und ihre Karriere noch vor sich haben. Doch der Wunsch, der sie verbindet, ist die Suche nach dem ewigen Leben. "80 Jahre reichen nicht", befindet Klaus Mathwig, der mit seinen 21 Jahren gerade sein Studium der Physik und Chemie an der Freien Universität in Berlin begonnen hat. Eigentlich will er lieber Nanostrukturtechnik an der Uni Würzburg studieren, denn bei dem neu eingerichteten Fach gehe es um eine vielversprechende Technologie. Sein Geistesgenosse Gernot Faulseit bedauert schon heute, dass er sich mit dem begonnenen Biotechnologiestudium erst mal festgelegt hat. Nicht, dass es ihn langweile. "Aber irgendwann möchte ich etwas ganz Neues anfangen, ohne die Lebensuhr im Rücken ticken zu hören."

Bei ihrem Ausblick in die Zukunft bedienen sich die Jungphilosophen bei den Utopien der amerikanischen Extropianer. Eine Prise Cyberpunk, ein Spritzer Kurzweil - fertig ist der transhumane Cocktail. "Irgendwann werden wir als Upload auf dem Computer existieren", ist sich Mathwig sicher. Das Gehirn selbst ist für ihn ein reiner Bio-Computer, der sich prinzipiell nachbauen lässt. "Dazu muss man die Vorgänge im Kopf nicht verstehen. Es reicht, wenn man das Gehirn im Rechner Atom für Atom emuliert."

Im Silizium lässt sich so eine Art Sicherheitskopie des Bewusstseins anfertigen, glaubt der angehende Naturwissenschafter. "Das ist praktischbei Flugzeugabstürzen", sagt Mathwig beim gedämpftem Lärm einer landenden Maschine. Eine konkrete Vorstellung vom Leben im Computer in Form von "purer Information" hat er aber noch nicht. Wie das mit dem Körper, dem sozialen Kontext und dem kollektiven Gedächtnis ist, das selbst vernetzte Rechner heute mehr schlecht als recht in Form von "File-not-found"-Fehlermeldungen widerspiegeln? Na ja, murmelt Mathwig, "das wird halt alles noch eine Weile dauern."

Körperzellen und Siliziumkristalle

Statt nur aufs "Uploading" zu hoffen, diskutieren die transkontinentalen Extropianer auch über das "Inloading", ein Konzept von Kurzweil. Der die sich am Moore'schen Gesetz zeigende Exponentialfunktion über alles schätzende Zahlenjongleur hat bereits ausgerechnet, dass Nanoroboter im Jahr 2029 so klein sein werden, dass sie mit dem Blutfluss auf Entdeckungsreise durch den Körper gehen und den Menschen "scannen" können. Kurzweils Hoffnung ist aber auch, dass beim Anschliessen der winzigen Computer an die Neuronen neue Verbindungen zwischen Körperzellen und Siliziumkristallen entstehen und dasBewusstsein langsam in die Nanoboots hineinwächst. Gleichzeitig will der vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) zum Erfinder des Jahres 2001 gekürte Forscher mit Hilfe der Miniroboter gezielt Hirnregionen stimulieren und eine perfekte virtuelle Realität "von innen" schaffen.

In seinem im nächsten Jahr erscheinenden, in Kreisen der Transhumanisten bereits in Auszügen kursierenden neuen Buch schwärmt Kurzweil von der baldigen Ankunft der "Singularität". Darunter verstehen die Futurologen den Zeitpunkt,an dem sich der technische Fortschritt so beschleunigt hat, dass der Mensch ihn nicht einmal mehr begreifen kann. Jenseits dieses Moments, den Kurzweil noch in dieses Jahrhundert legt, fängt endgültig die posthumane, von der Maschinenintelligenz bestimmte Phase an. Doch ein derart blinder "Optimismus" wird selbst bei den Transhumanisten, die sich seit Jahren mit der Materie beschäftigen und Kurzweil einerseits als Vorreiter, andererseits aber auch als Dieb ihrer Ideen betrachten, skeptisch beäugt. Manchem Vertreter der Zunft geht es dann doch zu schnell mit der rigorosen Abschaffung des Menschen.

Sehnsucht nach einer liebenden Mutter

Dass die meisten Zeitgenossen heute noch über sie lächeln, stört die Transhumanisten wenig. Sie verweisen auf die Fortschritte beim Klonen, auf genetisch veränderte Kaninchen, die in der Dunkelheit bunt leuchten, oder auf die ersten Menschen, die mit künstlichen Herzen in England und den USA ihr Leben verlängern konnten und so zum Cyborg mutierten. Auch die Wissenschaft ist heute von Science-Fiction kaum noch zu unterscheiden. Wunder, Magie und Mythen auseinanderzuhalten, fällt selbst seriösen Forschern immer schwerer.

Die von den Transhumanisten mit vorangetriebene Debatte um die Zukunft des Menschen wird in den kommenden Monaten durch Spielbergs Sicht auf die Künstliche Intelligenz sicherlich wieder neu aufleben. Der Starregisseur kann bei den Postbiologen allerdings trotzdem nur begrenzt punkten. Denn der Held von "A. I.", der gelackte Roboter David, wünscht sich auf seiner bei Pinocchio und Wilhelm Meister gleichzeitig Anleihenmachenden Odyssee genau das, was den Transhumanisten nicht mehr genügt: ein echter Mensch mit viel Gefühl und echten Eltern zu sein.

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