7 gedanken zur zukunft des internets

Niels Boeing, Berlin, März 2000

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Ein Online-Kapitalismus wird nur entstehen, wenn im großen Stil „digitales Eigentum“ geschaffen wird.
Denn die grundlegende, aber von den Wirtschaftswissenschaften bislang nur ungenügend ausgelotete Institution des Kapitalismus ist das Eigentum. Genauer sind es „immaterielle Rechtstitel an Eigentum und nicht die Beschaffenheit von Gütern, aus denen das Wirtschaften vom Eigentum hervorgebracht wird", heben die Bremer Ökonomen Gunnar Heinsohn und Otto Steiger in ihrem 1996 erschienenen Werk „Eigentum, Zins und Geld" hervor. Diese Eigentumsrechte erst bringen Kredit, Geld und Zins hervor. Solche Rechte sind auch in der Sphäre der digitalen Güter ­ also Software, Musik, Videos oder netzbasierte Dienstleistungen ­ vorhanden. Hier existieren sie in Form von „Patenten, Lizenzen, Kundenkarteien, Programmsprachen", so Heinsohn und Steiger.
Das Problem ist jedoch bislang, dass im Netz diese Eigentumstitel nichts gelten. Millionen User verletzen sie täglich, indem sie digitale Güter kopieren und weiterreichen, ohne dafür zu bezahlen. Es herrschen gewissermaßen Zustände wie nach einer kommunistischen Revolution, in der etwa Grund und Boden nach Belieben neu verteilt werden, ganz gleich ob ein Eigentümer seinem Enteigner entrüstet seine Grundbucheintragung entgegenhält. Diese anarchischen Zustände haben seit 2000 einen Namen: Napster, die Musiktauschbörse, in der digitales Eigentum unters Volk verteilt wird. Bei den Prozessen gegen Napster und Konsorten geht es denn auch um mehr als um unverbesserliche, störrische Manager einer ,alten" Branche. Die Grundlage eines Online-Kapitalismus für digitale Güter steht auf dem Spiel. Kein Wunder, dass die betroffenen Wirtschaftszweige mit immer neuen technischen Verfahren wie Kopierschutz und Hardware-Identifikationsnummern die Durchsetzung von Patent- und Copyright-Schutz erzwingen wollen.
Die Regulierung des Internets, die die Wirtschaft diesbezüglich betreibt, stellt alle oft angeprangerten Regulierungsversuche seitens der Regierungen - für Verbraucherrechte, aber auch gegen Pornographie oder Extremismus - locker in den Schatten.

2
Die Alternative zum Online-Kapitalismus wird, bewusst oder unbewusst, von einer losen, eher kleinen Koalition aus Anhängern der Free-Software-, der Copyleft- und der Privacy-Bewegung vertreten.
Dazu kann man die Entwickler des kostenlosen Betriebssystems Linux zählen, die häufig unentgeltlich daran arbeiten, wenn sie nicht gerade von Linux-interessierten Unternehmen wie IBM dazu abgestellt werden; Musiker, Künstler und Programmierer, die auf Tantiemen für ihre Urheberrechte verzichten; ebenso Leute wie Ian Clarke, der zur Rettung der Meinungsfreiheit im Netz das dezentrale Underground-Netzwerk Freenet schuf. Clarke lehnt eine kommerzielle Verwertung seiner Arbeit ausdrücklich ab.
Ihr aller unausgesprochenes Modell einer Online-Ökonomie ist das einer ,Geschenk-" oder ,Kochtopf-Wirtschaft", wie es Rishab Gosh, Ökonom am Institut for Infonomics in Maastricht, formuliert. Der Kerngedanke ist: Jeder steuert einige ­ digitale ­ Zutaten bei und darf sich an allen daraus entstehenden Produkten nach Belieben bedienen. ,In der echten Welt könnte das Kochtopf-Modell vermutlich nicht existieren", so Gosh. Wegen der unbegrenzten Kopierbarkeit digitaler Produkte geht die Suppe aber nie zur Neige, und für die Konsumenten bleibt immer etwas übrig. Warum also bezahlen? Kevin Kelly, einer der Gurus der New Economy, bezeichnet dies als ,Triumph des Gemeinguts". ,Jeder hält das Gemeingut in Stand, weil niemand in der Lage ist, aus ihm sein Leben zu finanzieren."

3
Setzt sich die Kochtopf-Ökonomie (2) durch, heißt das: Im Netz wird mit digitalen Produkten, Informationen im weitesten Sinne, nie Geld zu verdienen sein.
Anzeichen dafür sind, dass der Patent- und Copyright-Schutz technisch nicht durchsetzbar ist und ohne Akzeptanz seitens der meisten User bleibt. Ein tragfähiger Online-Kapitalismus ist dann nicht möglich.

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Der Sieg der Kochtopf-Ökonomie bedeutet auch, dass das Netz eine luxuriöse Zusatzwelt bleibt.
Diese wird zum einen von der klassischen Ökonomie getragen: ,Alte" Unternehmen wie Banken, Versicherungen, Maschinenbau ­ alle, die vor dem Internet schon da waren ­ werden das Netz als zusätzlichen, aber keineswegs ausschließlichen Vertriebsweg und zur brancheninternen Kommunikation nutzen und deshalb an seinem reibungslosen, zügigen Funktionieren interessiert sein. Reine Online-Angebote und Dienste werden dagegen vor allem von der Expertise einiger ,ehrenamtlicher" Entwickler und Service-Betreiber wie Ian Clarke oder der Linux-Gemeinde abhängen.
Internetnutzung wird global an reiche Volkswirtschaften und eine schon vorhandene Internet Literacy gekoppelt sein - so wie in den Anfangstagen des Netzes. Die aufklärerische Utopie gleicher, umfassender Informationen für alle kann dann nicht verwirklicht werden.

5
Setzt sich der Online-Kapitalismus (1) durch, müssen wir als potentielle Online-Konsumenten einen Preis zahlen: die totale Verdatung.
Ohne diese wird es ebenfalls keinen tragfähigen Online-Kapitalismus geben. Anders ausgedruckt: Wenn die Regulierer seitens der Wirtschaft gewinnen, wird Datenschutz unmöglich. Damit das nicht so auffällt, wird bereits jetzt verstärkt die Auffassung lanciert, Privacy sei ohnehin nur im Interesse von Menschen die etwas zu verbergen haben. Wer normal sei, habe nichts zu verbergen (z.b. Scott McNealy vor einem Jahr im Spiegel).

6
Das Das Netz wird als Folge dessen balkanisiert:
Die Gewitzten, Intellektuellen und Netz-Fähigen schaffen sich ihre eigenen Online-Räume. Die Divergenz der Endgeräte, die durch die Entwicklung des mobilen Internets entsteht, führt andererseits zu zerstückelten, leicht konsumierbaren Informationshappen, die in jedes Display passen.
Ein interaktives 2-Wege-Web, wie es Tim Berners-Lee vorschwebte, wird allenfalls in den elitären Nischen entstehen. Der Rest des Internets wird einfach und dumm gestaltet, im Sinne eines massentauglichen Mediums.

7
Gleichheit in und vor dem Internet bleibt ein Traum,
ganz gleich, ob sich Szenario 1 „Online-Kapitalismus“ oder Szenario 2 „Kochtopf-Ökonomie“ durchsetzt.

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