trinkgeld statt filter
Stefan Krempl, Berlin, Dezember 2000

Gestörte Kommunikation zwischen Hackern und Musikindustrie auf dem Chaos Communication Congress

Schärfer hätte der Zusammenprall zweier Welten kaum sein können: Während die Hacker mit dem Copyright auf Kriegsfuß stehen und für den freien Fluss der Bits im Internet kämpfen, beäugt der Verband der Musikindustrie das gar nicht mehr so neue Medium nach wie vor ängstlich und versucht mit technischen Lösungen wie Filtern oder Verschlüsselungsmechanismen Rechte und Rendite des Establishments zu sichern (Hiroshima der Musikindustrie).

Johnny Häusler, Geschäftsführer der Berliner Agentur Defcom Webdressing und Mitinitator des "Chaosradio" auf dem Potsdamer Jugendsender Fritz, brachte die Vorwürfe der Hackergemeinde auf den Punkt: Seiner Meinung nach haben die großen Plattenlabels "mit einer unglaublichen Arroganz" die neuen Vertriebswege übers Netz lange Zeit geblockt, weil sie erstmalig nicht kontrolliert werden könnten.

Den Schuh wollte sich Schaefer nicht anziehen. Er erinnerte daran, dass sein Verband bereits vor drei Jahren das Pilotprojekt "Music on Demand" zusammen mit der Deutschen Telekom angeschoben habe. 70 Plattenfirmen hätten dabei die Songs ihre Künstler zum Download angeboten. "Alles war rechtlich abgesichert und kontrollierbar über die technische Oberfläche", freute sich der Abgesandte der Industrie.

Fördert das Internet den Trend zur "Fahrstuhlmusik"?

Er malte ein dunkles Szenario, demnach es in Zukunft nur noch "Fahrstuhlmusik" gäbe, wenn Mittlerinstanzen wie der Phonoverband nicht die Lizenzierung von Kopien und die gesamte Rechteverwaltung übernähmen. Als Beispiel für die erfolgreiche Arbeit seiner Organisation wertete er die Tatsache, dass der Anteil deutscher Produkte in den Hitparaden hier zu Lande "in den vergangenen zehn Jahren auf über 50 Prozent zugelegt und sich damit verdoppelt hat".

Die Hacker erregte Schaefer allerdings nur mit seinen zahlengestützten Versuchen, die Existenz konventioneller Musikvermarkter zu rechtfertigen. Häusler ärgerte sich darüber, dass Music on Demand nur von ISDN-Kunden nutzbar gewesen sei. Dabei, redete sich Club-Sprecher Andy Müller-Maguhn in Rage, "kann man mit dem Netz und MP3 doch jetzt Musikdateien verschicken, die jedem User zur Verfügung stehen". Künstlern stünde damit die Plattform zur Verfügung, ihre Werke -""wie bei Linux" - selbst zu verbreiten und zu vermarkten.

"Dadurch werden ihre Möglichkeiten viel größer", philosophierte der Berliner Hacker, "da das Netz ein Strukturverstärker ist." Niemand brauche Angst haben, dass ihm etwas gestohlen würde, wenn er digitale Güter ins Internet stelle. Durch Kopieren würden die Werke von Künstler nur verbreitet, was ihren Bekanntheitsgrad erhöhe und sich letztlich auch bezahlt mache.

Alle Versuche, Kopieren zu verhindern, sind hoffnungs- und sinnlos

Vollkommen unverständlich ist den Chaosjüngern daher, dass die Internationale Föderation der Phonographischen Industrie auf Anregung ihrer deutschen Landesgruppe mit einem als "Rights Protection System" (RPS) bekannt gewordenen Filtersystem (Das Rights Protection System der Musikindustrie für Grenzkontrollen im Netz) die Verbreitung von nicht lizenzierten MP3s verhindern will. Doch Schaefer konnte darin weder eine schlechte Marketingstrategie noch einen Eingriff in die Informationsfreihit sehen. "Die Information ist ja bereits vorhanden", verteidigte der Angegriffene die Pläne. Es gehe nur darum, sie zu bezahlen - genauso, wie man auch im Kino jedes Mal neu für einen Film ein Ticket kaufen müsse.

Doch der Vergleich hinkt, glauben die Computerfreaks, weil ein Kinobesuch ähnlich wie ein Konzert ein Erlebnis sei. Musik, führte der Berliner Hacker "Steini" aus, sei dagegen spätestens mit dem kommerziellen Radio zu einem kostenlosen Produkt geworden. Bereit zu bezahlen sei er nur für die Möglichkeit, eine bestimmtes Stück zu einem bestimmten Zeitpunkt zu hören - aber nicht in der bisherigen Höhe. Mit dem RPS könne die Industrie dagegen nur Geld verdienen, wenn sie es an autoritäre Staaten wie China vermarkte. Ein derartiger Filter, sind sich die Hacker einig, werde bei vielen Politikern Begehrlichkeiten auslösen.

Schaefer glaubt dagegen, dass "die Büchse der Pandora" längst geöffnet ist: "Filtertechnologie steht heute überall zur Verfügung." Nur funktionieren wird sie nicht, freuten sich viele im Publikum über im Web unter Seiten wie www.peacefire.org seit kurzem auch für den Otto-Normal-Surfer verfügbare Anti-Filtersoftware. Steini machte dem Geschäftsführer der deutschen Ifpi-Gruppe daher unmissverständlich klar: "Es gibt keine Möglichkeit, das Kopieren im Internet effizient zu verhindern." Jeder Versuch in diese Richtung sei "hoffnungs- und sinnlos." Die Welt verändere sich eben, auch wenn manche nicht mitmachen würden.

Das Street Performer Protocol kommt zu neuen Ehren

Das Hickhack zwischen beiden Diskussionslagern bringe nichts, befand Müller-Maguhn schließlich am Ende eines langen Abends, bevor die Freaks den Abgesandten der Industrie mit einem Ehrenapplaus für seine Diskussionsbereitschaft verabschiedeten. Statt mit "Dinosauriern" zu reden, solle sich die Hackerszene lieber Gedanken darüber machen, wie Sänger und Autoren im vernetzten Zeitalter zu bezahlen seien.

Den Hackern schwebt dabei eine Art "Trinkgeldprinzip" vor, getreu dem Motto: "Dieses Lied hat mich glücklich gemacht, dafür spende ich eine Mark." Eine technische Lösung für die Versorgung der virtuellen Straßensänger hat der amerikanische Verschlüsselungsexperte Bruce Schneier zusammen mit einem Forscherkollegen mit dem Street Performer Protocol bereits vor über einem Jahr entwickelt. Der CCC will sich nun Gedanken darüber machen, wie man diesem Protokoll oder einer anderen "Shareware-Funktion" für Songs zum Durchbruch verhelfen kann.

veröffentlicht am 31.12.2000 bei telepolis



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