copyright oder innovation!
Stefan Krempl, Berlin, März 2004

Eine amerikanische Wirtschaftsdenkfabrik zieht die Notbremse im DRM-gestützten System des geistigen Eigentums
Moratorium bei der Copyright-Gesetzgebung gefordert
Innovation im Keim erstickt
Unzumutbare Normen in Nutzerlizenzen
Freiheit vs. Copyright-Schutz
Fazit

Die gegenwärtig von der Musik- und Filmindustrie praktizierten und geforderten technischen und politischen Ansätze zur Einschränkung der Kopiermöglichkeiten digitaler Dateien sind durch und durch fehlerhaft. Die Systeme fürs digitale Rechte- beziehungsweise Restriktionsmanagement (DRM), auf deren universellen Einsatz die Bemühungen der Labels und der Studios allenthalben abzielen, gefährden die gesamtgesellschaftliche Innovation und das Wissensreservoir der Menschheit, unterwandern den Wettbewerb, verteuern Inhalte, vergraulen Verbraucher und bürden die Kosten für scheiternde Business- und Marketingmodelle der Hightech-Industrie auf. Das ist der Tenor eines Reports des  Committee for Economic Development  (www.ced.org), einem liberalen Think Tank an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik in Washington.

Das Ächzen und Stöhnen im System des geistigen Eigentums ist bereits seit längerem zu vernehmen. Bisher kam die Kritik an den Auswüchsen des Copyright-Regimes vor allem aus linken Polit-Zirkeln, aus dem Open-Source-Lager oder aus der Wissenschaft. Mit dem Digital Connections Council des Committee for Economic Development (CED) greift nun erstmals eine liberale Denkfabrik der US-Wirtschaft in die Grabenkämpfe um das Klonen digitaler Inhalte mithilfe von Computer, Internet und Tauschbörsen ein. Und dies vehement: Liest man den 100-seitigen Bericht  Promoting innovation in the on-line world: the problem of digital intellectual property (www.ced.org/docs/report/report_dcc.pdf) aufmerksam durch, kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass es sich dabei um eine substanzielle Abrechnung mit den Verschluss- und Verfolgungsstrategien der Content-Industrien und der von ihnen gekauften Politiker handelt.

Die Autoren des Reports, der unter der Leitung der CED-Analysten Elliot Maxwell und Susan Crawford sowie des IBM-Forschungsleiters  Paul Horn entstand, zeigen den Datenherren deutlich die orangerote Karte. Der Versuch der Rechteindustrie, das Rad der Zeit unter großem Gejammer über sinkende Margen zurückzudrehen und den Geist der sich im Handumdrehen selbst vermehrenden Bits und Bytes wieder in die Flasche einzusperren, zerstört ihrer Ansicht nach die langfristigen Wachstumschancen der Wirtschaft.

Moratorium bei der Copyright-Gesetzgebung gefordert

Die Politik fordern sie daher mit Nachdruck auf, zwei Jahre lang von weiteren Verschärfungen des Urheberrechts sowie der Sanktionierung technischer Kopierschutzmaßnahmen Abstand zu nehmen. Das Moratorium sollte ihnen zufolge genutzt werden, um eine offene Debatte über die aus dem Lot geratene Balance zwischen Verwerter- und Nutzerrechten zu führen. Ziel ist es letztlich, Korrekturmaßnahmen einzuleiten.

Ausgehend vom "digitalen Dilemma", demnach dieselben Computertechnologien, die das Erstellen und Verbreiten digitaler Inhalte erlauben, auch zur Zugangsbehinderung und zur Kontrolle genutzt werden können, begutachten die Verfasser des Berichts die im Raum stehenden Vorschläge zur Verhinderung von Urheberrechtsmissbräuchen. Dabei gehen sie beispielsweise auf umstrittene und deshalb momentan nicht mehr aktiv verfolgte Gesetzesvorhaben wie den Hollings-Act ein, demnach nur noch elektronische Geräte mit eingebauten - und notfalls von der Regierung entwickelten - Kopierschutzstandards verkauft werden dürften.

In eine ähnliche Richtung zielen die im November verabschiedeten Richtlinien der amerikanischen Telekommunikationsregulierungsbehörde  FCC (Federal Communications Commission, www.fcc.gov), denen zufolge digitale TV-Empfangsgeräte ab 2005 so genannte Broadcast Flags lesen können müssen. Die Markierungen bestehen aus einer Art Wasserzeichen. Derlei Kopierschutzmerkmale sollen Aufschluss über die Herkunft von Inhalten geben und das Abspielen nicht-autorisierter, etwa aus dem Netz gefischter Sendungen verhindern. Letztlich laufen all die Bemühungen zusammen in den Bestrebungen der Rechteindustrie, Werke aus Bits und Bytes mithilfe von Systemen zum digitalen Rechtemanagement (DRM) zu kontrollieren.

Innovation im Keim erstickt

Die Forscher haben die ins Spiel gebrachten Anti-Pirateriemittel im zweiten Schritt anhand von drei Fragekomplexen beurteilt: Fördern sie die Innovation? Wie beeinflussen sie das Wachstum der Hightech-Industrie? Und welchen Einfluss haben sie auf die Public Domain, also auf die Sphäre der frei verfügbaren Inhalte? Die Auswirkungen auf diese drei Bereiche sehen sie insgesamt als verheerend an, was sie im Einzelnen ausführlich begründen.

So erläutert der Bericht etwa, dass all die regulatorischen Bemühungen Folge-Innovationen im Keim schier ersticken würden. Beim Thema der für eine Volkswirtschaft wichtigen Innovationskraft halten es die Autoren mit Isaac Newton und seinem Bekenntnis, nur "auf den Schultern von Riesen" neue Einsichten gewonnen zu haben. Jeder Erfinder ist demnach eingebettet in einen ständigen Kreislauf von Ideen anderer Erfinder und kann nur aufbauend auf dieses "Sampling" selbst erfolgreich sein und kreative Pfade einschlagen. Wichtig sei daher die schon angesprochene Balance zwischen dem kurzzeitigen Schutz echter Erfindungen und geistiger Schöpfungen auf der einen Seite sowie dem frei zirkulierenden Ideenpool in der Public Domain.

Schon die bestehenden Gesetzeswerke greifen nun tief in diesen innovationsfördernden Austausch und in die von den Nutzern selbst vorangetriebenen Produktverbesserungen ein, klagt der Bericht. So habe der Digital Millennium Copyright Act (DMCA), das Pendant zur EU-Urheberrechtsrichtlinie und der daraus entstandenen einschlägigen Gesetzesreform in Deutschland, die Forschung und den Wettbewerb eingeschränkt sowie die Content-Industrien zu den Gatekeepern über die Einführung neuer (Schutz)-Technologien bestellt (also den Bock zum Gärtner gemacht). Beispiele finden die Autoren etwa in Streitigkeiten wie dem zwischen dem Druckerkrösus Lexmark und Konkurrenten auf dem  Markt für Nachfüllpatronen oder den herbeigeklagten  Interoperabilitätsproblemen mit Gartentoröffnern. Dass die Datenherren gerade Sicherheitsforscher wie  Sklyaroff  aufgrund von vermuteter DMCA-Verletzungen auf dem Kicker hatten, entbehre aber nicht einer gewissen Ironie. Schließlich könnten so auch Techniken zur Absicherung von Inhalten behindert werden.

Besonders hart zu Gericht gehen die CED-Forscher jedoch mit den sich breit machenden DRM-Systemen. Diese wären zwar mittelfristig auf technischer Ebene zum Scheitern verurteilt, schließen sie sich dem Grundgedanken des "Darknet"-Papers aus den Untiefen der Microsoft-Forschungsstätten an. Schon eine einzige erfolgreiche Attacke könne schließlich in Software gegossen und damit auch interessierten Laien zugänglich gemacht werden. Außerdem würden die technisch komplexen und einen hohen Support-Bedarf nach sich ziehenden Kontrolltechniken naturgemäß die Kosten des Gesamtsystems erhöhen und Haftungsfragen angesichts der anfallenden immensen Nutzerdaten und der damit wahrscheinlichen Datenschutzverletzungen aufwerfen.

Unzumutbare Normen in Nutzerlizenzen

Auf dem Weg zum Scheiterhaufen könnten DRM-Systeme allerdings noch gravierende Schäden verursachen, warnen die Verfasser des Reports. Da die mit ihrer Hilfe "geschützten" Inhalte meist mit sehr restriktiven Lizenzen verknüpft würden, könnten sie die bestehenden Schrankenrechte zugunsten der Nutzer einfach aushebeln. Mit einem Klick seien die Datenherren imstande, die Verbraucher Lizenzvereinbarungen absegnen zu lassen, mit denen sie "unzumutbare Normen" etablieren könnten. Kritik oder Parodien etwa würden sich Firmen auf diesem Wege genauso verbieten wie etwa das heute noch mögliche Ausleihen von (analogen) Werken in Bibliotheken.

Starke Bedenken äußern die Analysten zudem an der sich abzeichnenden Kastration des Universalcomputers und offener Technikplattformen allgemein. Dabei kommen sie kurz auch auf die "Selbstkontrollmechanismen" der Computerindustrie im Rahmen der Trusted Computing Platform Alliance (TCPA) zu sprechen. Derlei Vorstöße von privater Seite seien bisher unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgt, kritisieren sie die Versuche zur DRM-Einführung durch die Hintertür. Das ist erstaunlich, da IBM bislang zu den Zugpferden der "Vertrauensoffensive" zählte, nun ein Forschungschef von Big Blue aber von den Bemühungen ein Stück weit mit abrückt.

Freiheit vs. Copyright-Schutz

Schon eher verständlich ist, dass der Bericht auch ganz offiziell die Argumentation der Free-Software-Bewegung stützt, wonach sich Open Source und DRM letztlich ausschließen. Gesetzliche Erfordernisse wie das Einfügen von Broadcast Flags "sind eine Antithese zu Open-Source-Software", lässt sich da nachlesen. Die offenen Quellcodes seien gemäß der entsprechenden Lizenzen schließlich gerade dafür da, um an ihnen herumzubasteln und dabei auch Kopierschutztechniken zu umgehen. Dies werde von den meisten der untersuchten rechtlichen und technischen Vorschläge jedoch glatt unterschlagen, obwohl freie Software doch eine "zunehmend wichtige Quelle für Innovation" darstelle.

Nicht fehlen darf in einer von einem IBM-Forscher mitbetreuten Studie zudem der empörte Hinweis, dass die Politik und die Datenherren mit ihren ganzen DRM-Bestrebungen die Kosten für den Schutz von Inhalten der Computer- und Heimelektronikindustrie sowie den Netzprovidern und damit letztlich den Konsumenten aufbürden. Millionen digitaler Geräte müssten schließlich ganz neu auf die DRM-Systeme aufgerüstet werden. Dies sei eine Gefahr für "einen der wichtigsten Sektor der US-Wirtschaft". So wundern sich die Autoren denn auch, dass sich anscheinend alles um die Belange einer Inhalteindustrie drehe, obwohl im Jahr 2001 Computerverkaufsumsätze in Höhe von 429 Milliarden US-Dollar Umsätze der Filmstudios in Höhe von nur 69 Milliarden gegenüberstanden.

Fazit

Die Schlussbitte der CED-Vordenker lautet, dass die Politiker doch davon absehen sollten, gewisse Geschäftsmodelle zu schützen, statt Anreize für die Entwicklung neuer Vermarktungs- und Vertriebswege zu liefern, obwohl diese das Internet gerade in Reinkultur biete. Die Wirtschaft hänge schließlich nicht von einzelnen Distributionswegen und speziellen Ausformungen von Industrien wie dem Verlagshaus ab, sondern von den kreativ anregenden Werken von Autoren. Einen Ausweg aus dem digitalen Dilemma könne neben dem Experimentieren mit verbraucherfreundlichen Light-Versionen von DRM-Systemen während des vorgeschlagenen Moratoriums auch die Einberufung einer neuen kollektiven Rechtevertretung oder Verwertungsgesellschaft sein, die Zahlungen der Downloader an die Künstler verteile.

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