MP3PCTV?
Peter Glaser, Berlin, März 2004

Beginnt nun endlich die neue Zeit - die Ära der alles überschreitenden digitalen Verschmelzung, die Hypermoderne?

Der Medienwissenschaftler Friedrich Kittler formulierte bereits vor Jahren den Verdacht, der Computer werde "den Begriff der Medien in der Mehrzahl einkassieren und zum Medium schlechthin werden.” Dieser Tage wird die Konvergenz von Computertechnik und Unterhaltungselektronik wieder zur Leitströmung der Branchen ausgerufen. Nach den erfolglosen Unternehmensfusionen in den zurückliehenden Jahren soll nun das Fusionieren auf niedriger Ebene versucht werden - zwischen Geräten, die uns in Wohnzimmer, Büro und Auto mit Bildern, Musik und Information versorgen.

Mit dem Internet begann vor einem Jahrzehnt die Demokratisierung der Raumfahrt - jedermann, nicht mehr nur eine Space Shuttle-Besatzung, konnte sich aufmachen in die Unendlichkeit. Nun soll allen auch jene Erfahrung zugänglich gemacht werden, von der Astronauten berichten, wenn sie die Erde aus dem Weltraum sehen: Es sind keine Grenzlinien mehr zu sehen, anders als auf Karten.

Gleichermaßen hat man sich die elektronischen Territorien des Globus vorzustellen, nachdem die Digitalisierung endgültig pandemisch geworden ist. Etwas, das uns nahtlos und drahtlos umgibt, eine neue Umweltbedingung. Der hypermoderne Mensch soll mit Hilfe dieser Maschinerie mühelos aus der Weltkulturmasse schöpfen, aus allen Büchern, Bildern, Filmen, aus aller Musik. Die Hardware wird immer kleiner, um schließlich ganz zu verschwinden; nur die Funktionen bleiben: Die Welt wird magisch. Ein Wunsch genügt und alles ist da, immer, überall.

Soweit die Vision. Seit Jahrzehnten wünscht man sich als Nutzer schon die problemlose Verbindung zwischen den verschiedenen Apparaturen. In den analogen siebziger Jahren hatte man seinen Kabel-Guru, der einem aus einer Unendlichkeit von Steckern den passenden Adapter zur Verbindung von Apparaturen wie Plattenspieler und Cassettenrekorder beschaffte.

Nachdem inzwischen PC, TV, Festplattenrekorder, MP3-Player etc. ihre Inhalte alle digital bereitstellen, nimmt der Wunsch nach Verbindung zwischen den einzelnen Teilen zu. Seit langem versucht die Computerindustrie bereits, die Wohnzimmer zu erobern - mit Settop-Boxen, die aus dem Fernseher eine Internetstation machen sollten, mit "WebTV", vor allem aber mit mäßigem Erfolg.

Nun scheint die kritische Masse an leistungsfähiger digitaler Technik erreicht und das vernetzte Zuhause Gestalt anzunehmen. Breitbandanschlüsse schaffen Musik, Fotos und Videos auf die Festplatte, die nun einen Weg in die Stereoanlage, auf den Fernseher oder in den MP3-Player für unterwegs suchen. Home Server, lüfterlose Streaming-Boxen und Media Center PC sollen die neuen Kontrollzentren des heimischen Datenkraftwerks werden.

Nicht jeder folgt der Vision. Auf die Frage von Bankern, ob Apple eine eigene Version eines Media Centers auf den Markt bringen werde, antwortete Apple-Boss Steve Jobs, das wäre ungefähr so sinnvoll wie ein PC, mit dem man auch Brot toasten kann. "Wir sind sicher, dass diese Konvergenz zwischen Computer und Fernseher nicht funktioniert."

Ein Entwicklungsprinzip menschlicher Kultur ist die Zunahme an Unterschieden. Telefon, Fernsehen und Internet haben sich nicht deshalb ausdifferenziert, um nun in eine Box zurückzukonvergieren. Zumal die Technik ihre Tücken hat. Der Millionär Scott A. Jones, der sich vor zwei Jahren seine Tudor Stil-Villa in Carmel im US-Bundesstaat Indiana in ein komplett elektronifiziertes Haus umbauen ließ, heuerte eigens einen Chief Information Officer an. Als die New York Times vor Weihnachten drei Familien testweise mit einem Home Network ausstattete, gab´s jeweils einen Experten beigelegt; trotzdem war manches Feature nicht zum Laufen zu bringen.

Das Zusammenspiel der verschiedenen Komponenten ist kompliziert und störungsanfällig. Wer sein Glück kabellos versucht, kann an zu dicken Wänden scheitern. Und mancher, der seine Lieblingsmusik in einem der neuen Online-Shops gekauft hat, wird enttäuscht feststellen, dass nur wenige Player die kopiergeschützten Inhalte wiedergeben.

In einem sonderbaren Widerspruch zu den Ankündigungen der Industrie, den Datenstrom frei fließen zu lassen, stehen immer restriktivere Einkapselungen der Inhalte durch Digital Rights Management (DRM). "Eigentum ist Diebstahl" erhält eine neue Bedeutung: Geht es nach dem Willen der DRM-Falken, wird es vollständige Eigentumsrechte an digitalem Gut nicht mehr geben; das Verfügungsrecht über den Besitz - Stichwort Privatkopie - besteht möglicherweise bald nur noch teilweise oder erlischt nach einer bestimmten Zeit.

Während also beispielsweise Festplattenrekorder in einem neuen Leistungssprung jetzt bis zu 200 Stunden Fernsehprogramm aufzeichnen können, haben Hewlett-Packard und Philips soeben eine neue Kopierschutztechnik vorgestellt, mit der die Weiterverbreitung von digitalen Fernsehinhalten beschränkt werden soll. Man kann zwar aufnehmen, diese Aufnahme aber nicht weiter kopieren.

Dabei hat das Internet-Prinzip der verteilten Intelligenz längst auch auf die übrigen Medien abgefärbt: Statt großer Konvergenzen glänzen kleine Mischformen, Hybriden und Multifunktionsgeräte. Integration ist nicht Konvergenz. Die Integration unterschiedlicher Medien ist nichts Neues. Bereits in der Drucktechnik wurden Bilder, Grafiken und Text miteinander kombiniert. Heute haben wir Fotohandies mit integrierter Kamera oder TV Empfänger, MP3-Uhren, Drucker, die scannen, faxen und kopieren können oder einen MP3-Player, der zugleich Datenspeicher und Diktiergerät ist.

Die Firma Sagem führt sogar ein Handy mit geschlechtsspezifischen Modellvarianten ein: eines im Chrom-Design nebst Stereo-Lautsprechern für Klingeltöne für Jungs, das andere in der Aufmachung einem Kommunikationsflacon ähnlich und mit Biorhythmus-Rechner für die Mädels.

Aber auch manches verführerische Gadget ist schnell vergessen. Das PC-Mikroskop, die Webcam, die programmierbare Fernbedienung finden sich dann bei Ebay wieder, wo für kaum benutzten Hightech-Schnickschnack der Begriff "new in box" inzwischen so gängig ist, dass meist nur noch die Abkürzung NIB verwendet wird.

[zurück zum Anfang]



© 2004 km 21.0 - diese Seite ist Bestandteil von www.km21.org