digitaler pyramidenbau

Niels Boeing, Hamburg, Juni 2000

„Das Beste kommt noch", hatte Bill Gates in den vergangenen Wochen in TV-Spots die Öffentlichkeit wissen lassen. Der Mann hat nicht untertrieben: Die Monopolstellung des Betriebssystems Windows ist harmlos im Vergleich zu dem, was die Redmonder vergangene Woche - ungeachtet der drohenden Aufspaltung in zwei Firmen - in Seattle enthüllte.

Die neue Technologie "Microsoft.NET" ist nichts Geringeres als eine Informations-Infrastruktur für das 21. Jahrhundert und soll das Internet, wie wir es heute kennen, abläsen - die bekannte Gates'sche Hybris.

Im Web, so Gates, sei der Informationsfluss eine Einbahnstraße, man känne Websites nur lesen, aber nicht gleichzeitig interaktiv bearbeiten. Außerdem befinde sich Information auf isolierten "Inseln", die nicht überall mit jeder Art von Computer gleichermaßen abrufbar sei. Der alltägliche Umgang mit Rechnern sei gegenwärtig "frustrierend und ineffizient".

Microsoft.NET soll all das revolutionieren: Es stellt dem User ein digitales Alter Ego zur Verfügung, das irgendwo im Netz wabert, kein Ereignis, kein Gespräch, keine Information je vergisst und diese überall und permanent per Sprache, Tastatur und Handschrift über PC und Handy abrufbar hält. Die Bausteine sind indes viele alte Bekannte aus Microsofts Produktpalette, die "dot-NET-ifiziert" und durch den neuen Web-Standard XML zusammengebunden werden: Aus Windows soll bald Windows.NET werden, Office.NET aus Office.

Wenn Windows wegen seines gewaltigen Code-Umfangs in der Community der Coder treffend als Kathedrale bezeichnet wird, ist Microsoft. NET einem altägyptischen Pyramidenbau ebenbürtig - bombastisch, eitel, unsinnig. Wir sehen einmal mehr: Microsoft besticht nicht durch Erfindungsgeist, sondern durch Größe - Innovationen von anderen werden eingekauft und mit Marktmacht aufgeblasen, bis sie "larger than life" sind. In dem Konzept Microsoft.NET steckt keine Idee, die nicht bereits von anderen Firmen propagiert würde: Netz-Computer, Miet-Software, sprachgesteuerte Betriebssysteme, Informationsagenten. Wenn es je eines Beweises bedurft hätte, wie wenig Microsoft im Jahr 2000 zur technologischen Vorhut zählt.

Eine leicht veränderte Version des Textes erschien in der „Woche“ vom ?



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