grokster und das gedankenverbrechen
Stefan Krempl, Berlin, Juni 2005

Wer Nutzer technisch einen Rechtsbruch ermöglicht, handelt selbst illegal. Das ist die Quintessenz des "Grokster-Urteils" des Supreme Court in Washington. Ein Schelm, wer an Orwell dabei denkt.

Auf die gute oder böse Absicht kommt es an: 22 Mal auf 55 Seiten sprechen die obersten US-Richter in ihrem lange erwarteten Urteil über die Anbieter der Tauschbörsensoftware für die Peer-2-Peer-Netze Grokster und Morpheus vom Montag vom "Anreiz" zu Rechtsverletzungen als entscheidendes Kriterium der Legalität einer Technik. Das mögliche illegale Tun fängt damit im Kopf der Entwickler an und Richter werden künftig über derlei "Gedankenverbrechen" beim Design neuer Produkte und Technologien zu befinden haben. Eine leichte Aufgabe hat ihnen der Oberste Gerichtshof damit nicht aufgedrückt: Das Grokster-Urteil vergrößert die Rechtsunsicherheit durch seine schwammigen "Grundsätze".

Dabei hatten die neun höchsten Rechtsexperten der USA im Mai bei der Anhörung des Falls, den 28 Entertainment-Konzerne unter der Führung der MGM-Studios gegen die P2P-Technikanbieter Grokster und StreamCast vorgebracht hatten, zunächst die richtigen Fragen gestellt: Ob mit einer Verurteilung der beiden Dienste nicht auch gleich Videorekorder, MP3-Player, Computer, Kopiergeräte oder gar die Druckerpresse verboten werden müsste, wollten sie unter anderem wissen. Denn schier jede neue Medientechnologie erlaubt neben vielen legalen Anwendungen auch solche, welche insbesondere den Verwertern von Urheberrechten nicht gefallen. Gleichzeitig hatten Hollywood und die Musikindustrie aber bei der Anhörung argumentiert, dass über die angeklagten P2P-Netze fast ausschließlich illegal geklonte Dateien von Nutzer zu Nutzer wandern.

Der Gratwanderung, einerseits die Entwicklung einer viel versprechenden Technik nicht zu gefährden und andererseits massenhaften Copyright-Verletzungen nicht das Wort zu reden, versuchten sich die Richter nun mit dem Abstellen auf die Intentionen der Technologievermarkter zu entziehen. "Jemand, der eine Vorrichtung mit dem Ziel vertreibt, dessen Anwendung zum Verletzen von Urheberrechten zu fördern ... ist verantwortlich für die daraus folgenden Verletzungsakte durch Dritte, welche die Vorrichtung nutzen", lautet die sich etwas gestelzt anhörende Kernpassage des Urteils. Dies sei "unabhängig von den gesetzesmäßigen Anwendungen der Vorrichtung der Fall".

Verführung zum Verbrechen

Als Erwägungsgrund für das "Fördern" illegaler Nutzungsweisen geben die Richter anderen Rechtsprechern noch mit auf den Weg, dass diese etwa "im klaren Ausdruck oder anderen zustimmenden Schritten zur Unterstützung von Rechtsverletzungen" liegen könnten, die über die "reine Distribution mit dem Wissen über Handlungen Dritter hinausgehen". Grokster und StreamCast befanden die Advokaten des Supreme Court nun alle gemeinsam für "schuldig", die Nutzer bewusst zu direkten Urheberrechtsverletzungen verleitet, davon über Werbeeinnahmen profitiert und gleichzeitig nichts gegen die Rechtsbrüche ? etwa durch den Einbau von Filtertechnologien ? unternommen zu haben. Da half den Beschuldigten auch der Rückzug auf das Argument nichts, doch gar kein eigenes zentrales Register der zum Download zur Verfügung stehenden Dateien zu betreiben, was dem alten Napster schon deutlich früher das Genick brach.

Die niederen Instanzen in Kalifornien, welche die Klage der Unterhaltungskonzerne noch mit dem Hinweis auf die auch legalen Anwendungsmöglichkeiten der beiden Tauschbörsen abgewiesen hatten, müssen jetzt doch über hohe Schadensersatzforderungen gegen die zwei P2P-Anbieter entscheiden. Und zahlreiche Klagen gegen weitere Entwickler von Tauschbörsen-Software werden mit Sicherheit folgen ? auch wenn die P2P-Welle an sich nicht mehr zu stoppen ist. Zudem wird das Lobbying der Entertainment-Industrie in Washington für ein Gesetz zunehmen, das "böswillige" Technikvertreiber generell härter bestraft. Wie so häufig bei neuen rechtlichen Entwicklungen in Bezug auf das "Geistige Eigentum" in den USA ist davon auszugehen, dass die Nachbeben auch in Brüssel und den EU-Mitgliedsstaaten zu spüren sein werden.

So steht hierzulande sowohl die zweite Stufe der Urheberrechtsreform noch aus als auch die Umsetzung der weit gehenden "Durchsetzungsrichtlinie" für geistige Eigentumsrechte. Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag fordert in diesem Zusammenhang bereits seit langem die Einführung allgemeiner Auskunftsansprüche gegen Provider, womit diese der Musik- und Filmindustrie etwa direkt die persönlichen Informationen über ihre Nutzer herausgeben müssten. Das Grokster-Urteil dürfte derlei Bestrebungen nun beflügeln. Deutsche Musikindustrieverbände feiern es jedenfalls bereits als großen Sieg im Kampf gegen "die Piraterie" im Netz.

Rest in Peace Rip, Mix & Burn

Schwerer wiegen aber die allgemeinen möglichen Auswirkungen des nur scheinbar salomonischen Richtspruchs auf innovative digitale Techniken. Die Richter bemühten sich zwar sichtlich, das wegweisende und grundlegende Sony-Urteil von 1984 nicht zu sehr anzutasten. Damals hatte der Supreme Court in einer knappen Mehrheitsentscheidung den analogen Betamax-Videorekorder für rechtens erklärt, weil er Verbrauchern neben verbotenen auch in "substanziellem" Maß legitime Anwendungen wie das zeitversetzte Anschauen von TV-Aufzeichnungen erlaubte. "Es gab keinen Hinweis darauf, dass Sony ein Begehr hatte, das Aufnehmen als Verletzung von Urheberrechten voranzutreiben oder aktive Schritte unternommen hätte, seine Profite durch unrechtmäßiges Aufzeichnen zu erhöhen", halten auch die Grokster-Richter an der Entscheidung aus den 1980ern fest.

Eifrige Blogger wie der New Yorker Medienprofessor Siva Vaidhyanathan haben jedoch eine Anzeige Sonys für das Betamax-Gerät ausgegraben, in der die Firma durchaus auch für Urheberrechtsverletzungen werben könnte. "Schauen Sie wann immer wo immer", heißt es darin. Automatisch ergänzt man dabei natürlich auch "was immer Sie wollen". Das "Verführen zum Verbrechen" als Hauptentscheidungsmerkmal über die Legitimität technischer Neuerungen und von Geschäftsmodellen zu wählen, erweist sich damit als sehr unscharfe Scheidelinie zwischen "Gut und Böse".

Man erinnere sich etwa auch nur an Apples popkulturell angehauchte Kampagne zur Einführung neuer iMacs in 2001 mit dem unvergesslichen Slogan "Rip. Mix. Burn". War das ein Anreiz zur Urheberrechtsverletzung oder nicht? Und sind der iPod und Co. nicht schon allein aufgrund ihres technischen Designs mit der leichten Vernetzbarkeit und den gigantischen Festplatten eine Einladung zum Überspielen derselben und damit zum illegalen Tun?

Rechtliches Minenfeld für Technologie-Entwickler

Vaidhyanathan spinnt derlei Befürchtungen noch weiter: In einem Artikel für Salon wirft er die Frage auf, was mit anderen Trittbrettfahrern der Online-Welt ist, und schaut beispielsweise auf Google. Grokster sei letztlich auch eine Suchmaschine gewesen, schreibt der Professor; beide Unternehmungen würden´ihr Geld zudem mit Werbeeinnahmen machen und dafür letztlich urheberrechtlich geschützte Informationen von einem Anbieter an einen Suchenden "weiterleiten". Der Unterschied sei letztlich nur, dass die Urheber und Verwerter bei Google es bislang goutieren und teilweise ausdrücklich wünschen, über die Suchmaschine gefunden zu werden. Einen ausdrücklichen Vertrag zwischen beiden Seiten gibt es aber nicht.

Im Grunde genommen kommt jeder Besuch einer Website einer kleinen Urheberrechtsverletzung gleich, weil dabei eine Kopie im Cache des Browsers erstellt wird. Eine gesetzliche Haftung der Anbieter schließt etwa die EU-Urheberrechtsrichtlinie zwar ausdrücklich aus. Aber vielleicht vermutet hinter der Flüchtigkeitskopie doch demnächst einmal jemand eine Verleitung zum Rechtsbruch? Das Internet, das ursprünglich weniger von zentralen Servern als von der Zusammenschaltung einzelner "privater" Rechner lebte und mit P2P einen Schritt weit zu diesen Wurzeln zurückkehrt, könnte man dann auf jeden Fall dicht machen.

Der Supreme Court hat so eine Rechtslage geschaffen, die ein potenzielles Minenfeld für Technologie-Entwickler darstellt. Theoretisch müssen sich diese nun immer fragen, ob sie auch wirklich mit lauteren Motiven ans Werk gehen. Bahnbrechende Innovationen könnten dadurch gefährdet werden. Aber zumindest hält das Oberste Gericht der USA an seiner Tradition fest: Anfang der 1980er machte es in einer weit reichenden Entscheidung unter anderem den Weg für Patente auf Software und Geschäftsmethoden frei.

Auch hier beklagen Programmierer seitdem einen Lauf über patentrechtliche Tretminen hinweg und "Trolle" haben die freizügige Rechtsprechung in diesem Bereich zum Anlass genommen, ihr Geschäftsmodell auf das Verklagen oder Lizenzerpressen anderer Firmen zu verlegen. Was die EU aber anscheinend nicht davon abhält, vergleichbare rechtliche Kernelemente auch in ihrem Rechtsbereich durch die umstrittene Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" einzuführen. Die Trolle könnten jedenfalls mit dem Grokster-Urteil noch viel umfassendere Angriffsflächen sehen.

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