von WAP zu UMTS - visionen
aus dem digitalen kambrium
Franz Công Bùi,
Frankfurt
Der Erfolg des 1999
mit vielen Vorschusslorbeeren gestarteten Mobilfunkstandards
WAP lässt weiter auf sich warten. Das Wireless Application
Protocol, mit dem Internet-Dienste und -Funktionalitäten per
Handy nutzbar sind, wird sich nach Einschätzung etwa der
Nielsen Norman Group auch 2001 nicht durchsetzen, sondern erst
zwei Jahre später. Solange keine weiteren Standards
entwickelt sind und die Datenübertragungsrate durch
höhere Bandbreiten nicht verbessert ist, sei von
weiteren Investitionen in diesem Bereich abzuraten.
Dabei gilt und galt
der Mobilfunk als einer der Hoffnungsträger der New
Economy schlechthin. Zum einen, weil Europa damit in eine
neue Phase des Standortwettbewerbs eintreten kann, denn im
Gegensatz zu den USA, die in der Computer- und
Informationstechnik den Ton angeben, besitzt der Alte
Kontinent nämlich den Vorteil einheitlicher Standards,
die die weitere Verbreitung und Entwicklung der mobilen
Kommunikation erleichtern. Zum anderen sollte das "mobile
Internet" die nächste Entwicklungsstufe der
Informationstechnik überhaupt bilden. Die weltweite
Vernetzung überall, mit jedermann und in jeder
Lebenssituation, so die Vision, würde Wirklichkeit. WAP
sollte hier die erste Stufe markieren, doch der Leiter der
Abteilung für Mobil- und Satellitenkommunikation bei der
EU-Kommission, João da Silva, sprach jüngst von einem
Fehlstart aufgrund strategischer Fehler.
Das wirft auch einen
dunklen Schatten auf die Zukunft der anderen anstehenden
technologischen Neuerungen im Mobilfunkbereich, GPRS (General
Packet Radio Service) und UMTS (Universal Mobile
Telecommunications System), die die mobile Nutzung des Internet
weiter erleichtern sollen und in die in den nächsten Jahren
massiv investiert werden soll.
Angesichts der
Mängel, die die WAP-Technologie aufzuweisen hat, überrascht
die zunehmende Skepsis nicht. Das Handy als Medium bringt
selbst schon viele Probleme mit sich. Das Display ist zu klein,
um viel Information darzustellen. Gleiches gilt für die
Benutzeroberfläche, die eine bequeme Handhabung oder
gar Interaktivität praktisch ausschließt. Und die
Übertragungsrate ist mit nur einem Viertel der heute
gängigen Modems zu gering, um Informationen ausreichend
schnell zu liefern. Allein die Einwahl auf einer WAP-Seite dauert
mitunter länger als eine halbe Minute - im digitalen
Zeitalter eine halbe Ewigkeit.
Dramatischer sind
jedoch die von den Betreibern hausgemachten Probleme, denn der
Fehlstart von WAP ist beispielhaft dafür, wie anfängliche
Begeisterung aufgrund vollmundiger Ankündigungen einer tief
greifenden Ernüchterung Platz gemacht hat. Um WAP
möglichst flächendeckend zu verbreiten, wurde ein
Marketingansatz gewählt, der völlig unrealistische
Erwartungen weckte und so zwangsläufig zu
Enttäuschung führen musste.
Dieser Fehler wurde
bei UMTS später wiederholt. Mit Slogans wie "Mobile
Web", "Web Without Wires" oder "Surfing on
the Move" sowie Versprechungen, dass der Anwender alsbald
auch Videos und Musik immer und überall abrufen könne,
wurde eine falsche Erwartungshaltung aufgebaut. Nutzer, die
kleine Quicktime-Filme auf dem Handy sehen wollten, wurden mit
vierzeiligem Text konfrontiert.
Aber WAP ist nicht
das Web. Um der geringen Bandbreite im Mobilfunk zu begegnen,
wurden ein Übertragungsprotokoll und eine Programmiersprache
geschaffen, die nicht annähernd so leistungsfähig sind
wie die Grundlagen des World Wide Web, weswegen sich ein solcher
Vergleich von vornherein verbietet. Bei der Einführung
von WAP wurde schlicht unterschlagen, worum es eigentlich geht,
nämlich die Lieferung von gezielten, komprimierten und
personalisierten Inhalten, Diensten sowie Transaktionen "on
demand". So wurde ein eigentlich rein technischer Begriff
als Marke verkauft. Man stelle sich vor, das World Wide Web hätte
unter dem Namen des zugrunde liegenden Übertragungsprotokolls
"http" seinen Siegeszug antreten müssen.
Derzeit greifen
gerade mal 75% aller Nutzer von WAP-Handys in Deutschland
zweimal monatlich auf WAP-Dienste zu. Der Informatikprofessor
Edgar Einemann behauptet sogar, dass sich in fünf Jahren
niemand mehr an WAP erinnern werde. Dabei hatte D2 im Oktober
1999 verkündet, dass es 2001 in Deutschland kaum noch Handys
ohne Internet-Zugang geben würde. Eine ähnliche globale
Entwicklung sagte die International Data Corp. im April diesen
Jahres voraus, und die Giga Information Group ließ sich im
Januar sogar zu der Aussage hinreißen, dass 2003
öfter über WAP als über den PC auf das Internet
zugegriffen würde. Ebenso ambitioniert sind die
Einschätzungen des Marktvolumens. Dataquest beispielsweise
prognostizierte 3 Mrd. US-Dollar für die nächsten vier
Jahre.
Völlig neue
Wertschöpfungsketten und ganze mobile
Warenwirtschaftssysteme soll der entstehende Mobil-Commerce
bringen. Siemens-Chef Heinrich v. Pierer bezifferte das avisierte
Marktvolumen des M-Commerce bis 2003 sogar auf 300 Mrd. Euro.
Es fehlt indes nach
wie vor ebenso an Geschäftskonzepten wie an Abrechnungs- und
Zahlungsmodellen, ganz zu schweigen von einer klar definierten
Zielgruppe. Da die wenigsten Nutzer für Inhalte
bezahlen wollen und auf dem Display kaum Platz für Werbung
bleibt, stellt sich die Frage nach Erfolg versprechenden
Business- und Gewinnmodellen. Mittlerweile wird auch schon
nüchterner prognostiziert. So veröffentlichte Forrester
Research im September die Einschätzung, dass bis 2005 etwas
mehr als die Hälfte aller Europäer WAP nutzen würden,
ohne dabei jedoch nennenswerte Umsätze in diesem Segment zu
erzeugen.
Bereits jetzt
wachsen die Umsätze und Gewinne im Mobilfunkmarkt nicht mehr
so stark wie noch vor ein bis zwei Jahren, trotz beständig
steigender Kundenzahlen.
Minderwertiges
WAP-Angebot
Um so dringlicher
stellt sich den Marktteilnehmern die Frage, ob und wie sie in
eine Entwicklung investieren sollen, die augenscheinlich bereits
beim Startversuch scheitert. Bei der Suche nach einer Antwort
müssen die Gründe für das bisherige Scheitern
analysiert werden. Die häufigsten Kritikpunkte an WAP
lauten: zu viele technische Restriktionen, zu knappes und
qualitativ minderwertiges Angebot, schwache Prozessorleistung, zu
geringer Speicherplatz, nicht genügend Standards, kaum
wirklicher Nutzwert bei zu hohen Nutzungsgebühren.
Ein Déjà-vu
für jeden, der 1994 mit einem Mosaic-Browser durch das
damals bereits sechs Jahre alte World Wide Web navigierte. Der
Vergleich zeigt aber auch, dass WAP entwicklungsfähig
ist. Vielfach wird nämlich übersehen, dass der Einsatz
von WAP nicht nur auf Handys reduziert ist. Jedes IT-Gerät
mit einem Display kann WAP nutzen, also Digital-Kameras,
MP3-Player, Organiser etc. Der Erfolg von NTT-Docomos iMode in
Japan zeigt, wie groß das Interesse an solchen Anwendungen
ist.
Seit Einführung
im Februar 1999 nutzen 15 Millionen Kunden iMode, womit NTT
Docomo weltweit Marktführer bei den mobilen
Internet-Anwendungen ist. WAP könnte ähnlich
erfolgreich sein, wenn es gelingt, die Kluft zwischen den Welten
des Desktop Computers und der mobilen Kleinbildschirmgeräte
durch eine benutzerfreundliche, Web-zentrierte, mobile Anwendung
zu minimieren. Immerhin ist WAP ein entwicklungsfähiger
Standard, unterstützt von mehr als 500 Unternehmen,
bestehend aus Carriern, Entwicklern, Geräteherstellern
und Content-Lieferanten. Außerdem soll WAP eine wichtige
Grundlage für die Einführung der Netze GPRS und
insbesondere UMTS sein.
Allerdings wurden
bei der Einführung der Begriffe GPRS und UMTS die gleichen
fundamentalen Fehler gemacht wie schon zuvor bei WAP. Bezüglich
des Marktvolumens und des Leistungsvermögens wurden erneut
überzogene Prognosen zitiert. Peinlicherweise mussten
die optimistischen Aussagen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit
der neuen Netze bereits grundlegend revidiert werden. Bei
GPRS wurde ursprünglich von einer Datenübertragungsrate
von 100 Kilobit pro Sekunde (Kbps) gesprochen.
Im Mai räumten
Nokia-Entwickler jedoch ein, dass bestenfalls 43 Kbps realistisch
seien, im ungünstigsten Fall sogar nur 13 Kbps erreicht
würden, was lediglich 3,4 Kbps mehr ist, als der heutige
GSM-Standard leistet, und ungefähr so viel, wie die
gängigen Modems vor fünf Jahren zu bieten hatten.
Noch krasser
erscheint die Fehleinschätzung bei UMTS. Im Vorfeld der
Lizenzauktion wurden 2 Megabit pro Sekunde in Aussicht
gestellt, was der Datenübertragungsrate des
Festnetzstandards ADSL entspricht. Diese Aussage wurde nun auf 20
bis 40 Kilobits reduziert, also auf lediglich ein Fünfzigstel
bis ein Hundertstel des ursprünglich angegebenen Wertes.
Entsprechend klein ist die Bereitschaft in der Bevölkerung,
UMTS nutzen zu wollen. Im September äußerten 71% der
Teilnehmer einer Emnid-Befragung, dass sie nicht an UMTS-Handys
interessiert seien. Und nur 55% waren bereit, bis zu 100 DM
monatlich für die Nutzung ihres Mobiltelefons auszugeben.
UMTS wird viel
teurer als geplant
Auch wenn solche
Befragungen mit gleicher Vorsicht gewertet werden müssen
wie die Prognosen von Marktforschern, ziehen diese Aussagen
die Frage nach sich, ob die UMTS-Investitionen sich rentieren.
Denn die sechs Betreiber haben bereits eine beträchtliche
Summe alleine für die Lizenzen ausgegeben. Und zuletzt
veröffentlichte die britische Unternehmensberatung Quotient
Communications, dass die Kosten für die UMTS-Infrastruktur
auf 340 Mrd. Euro steigen könnten, mehr als doppelt so viel
wie die ursprünglich veranschlagten 150 Mrd. Euro.
Auch wenn
Mobilcom-Chef Gerhard Schmid erhebliche Einsparungspotenziale
durch Kooperationen mit anderen Betreibern ausschöpfen
will, bleibt erhebliche Skepsis an der Wirtschaftlichkeit des
Vorhabens. Benutzerfreundliche Anwendungen sowie entsprechende
Geschäftsmodelle und Abrechnungssysteme müssen zügig
entwickelt werden. Denn bereits 2010 wird mit der vierten
Handy-Generation G4 gerechnet, was bedeutet, dass bei einem
avisierten Abschreibungszeitraum von 15 bis 20 Jahren die Erträge
aus der vierten Generation die jetzigen Investitionen mit
abdecken müssen.
Hinzu kommt, dass
UMTS ein offener Standard ist, für den auch
Nichtlizenzinhaber Dienste anbieten können. Und auch
jenseits von UMTS lauern Gefahren. Unlängst schockte Samsung
die Konkurrenz mit der Präsentation eines Handys, das den
mobilen Empfang und Versand von Videos auf Grundlage der heutigen
technischen Standards ermöglicht. Das unterstreicht das
Risiko, dass innerhalb der nächsten zehn Jahren eine
Alternativtechnologie zu UMTS entwickelt werden könnte.
Schließlich
sollte nicht vergessen werden, dass wir uns
entwicklungsgeschichtlich gesehen im digitalen Kambrium befinden.
Die Fauna des Internet entwickelt sich mit viel
Formenreichtum. Eine davon ist die mobile Kommunikation,
basierend auf verschiedenen Standards. Eine darwinistische
Marktbereinigung ist unausweichlich. Aber vielleicht ist es für
die um ihre Existenz besorgten Unternehmen ein Trost, dass
die kambrischen Lebensformen zumindest als Fossilien gut erhalten
geblieben sind.
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