mojo nation: die ultimative mischung aus napster und ebay?
Stefan Krempl, Berlin, Juli 2000

Ein neues File-Sharing-System will tauschen noch schöner machen und setzt dazu auf ein integriertes Micropayment-System.

Während Napster um seine Zukunft kämpft und einer der alternativen Tauschserver, CuteMX, vergangene Woche erst einmal dicht gemacht hat und abwartet, bis sich der im Zusammenhang mit der inzwischen wieder aufgehobenen einstweiligen Verfügung gegen Napster entstandene Rauch gelegt hat, plant eine Handvoll Hacker aus San Francisco trotz der ungünstigen "Marktlage" jetzt den Start in das kaum noch zu überblickende Feld der File-Sharing-Lösungen. Ihr System Mojo Nation hat im Umkreis des legendären Hackermeetings Def Con, das letztes Wochenende in Las Vegas stattgefunden hatte, seinen Testbetrieb aufgenommen und wirbt mit einem Funktionsreichtum um die Nutzer, den die meisten Konkurrenten bisher nicht bieten können. So unterstützt die Software als bisher einzige in diesem Sektor sogar eine eigene Micropayment-Funktion.Damit sollen allerdings nicht etwa hauptsächlich Gebühren für urheberrechtlich geschützte Werke eingefordert werden, die über das System ähnlich wie beim FreeNet weitgehend anonym getauscht werden können. Vielmehr geht es den Machern von Mojo Nation darum, durch den Einsatz der von ihnen unter dem Namen Mojo ausgegebenen Währung möglichst viele Surfer dazu zu bewegen, Speicherplatz für das dezentralisierte, nur auf den Ressourcen seiner Nutzer basierende Netzwerk zur Verfügung zu stellen.Die Mojos, die ein Surfer durch diese Dienstleistung verdient, kann er dann etwas für das Herunterladen von Dateien wie MP3s, Textdokumenten oder Software wieder verwenden. Nach Ablauf des Beta-Betriebs soll sich die Kunstwährung außerdem in bare Münze umwandeln lassen. Die Designer von Mojo Nation wollen auf diesem Weg einen "digitalen Marktplatz für den Austausch von ungenutztem Festplattenraum, Bandbreite und Prozessor-Resourcen" etablieren.

Das Experiment, bei dem jeder Tauschvorgang letztlich einen monetären Charakter annimmt, ist in dieser Form bisher einmalig und könnte die Tradition der Geschenk- und Tauschökonomie des Internet mit der Geldökonomie der physischen Welt verschmelzen. Durch das nicht zu umgehende Micropayment-Verfahren wird zudem ausgeschlossen, dass ein Teil der Nutzer sich nur am Angebot seiner Mitstreiter bedient und selber nichts dazu beiträgt. Dieses Phänomen wurde vom amerikanischen Biologen Garrett Hardin als "Tragödie der Almende" bezeichnet: die Almende war im Mittelalter eine Dorfwiese, auf der alle Bewohner ihre Schafe weiden durften und sich im Endeffekt aber viele aus Eigeninteresse nicht um den Erhalt des Grüns scherten. In der Mojo-Welt haben die "Freeloaders", die nur kostenlos Dateien aus dem Netz "saugen" wollen, nun keine Chance, da sie keine Münzen erhalten und deswegen auch nicht für Inhalte "bezahlen" können, die andere Nutzer ins Netz stellen.

Auch wenn das komplizierte Währungs- und Tauschsystem nicht automatisch den eigentlichen Rechteinhabern die Kreation ihrer Werke vergütet, sondern vor allem das interne System am Laufen halten soll, so wollen die Hacker die Urheber doch nicht ganz im Regen stehen lassen. Die bisher sieben Cypherpunks, die sich zur Firma Autonomous Zone Industries wollen nach dem Muster des Angebots Pay Lar$ Künstler mit Hilfe der Mojos mit einer digitalen Form des Trinkgeld zu Einkünften verhelfen. Auf der im März von US-Firma August Nelson gestarteten Site können Metallica-Fans per Kreditkarte den ungefähren Betrag für den Schaden spenden, den sie den Millionären der Rockband sowie ihrem vor allem gegen Napster und Co. wetternden Schlagzeuger Lars Ulrich vermutlich durch illegale Downloads bereitet haben. Mehr als knapp 530 Dollar sind dabei allerdings bisher nicht zusammen gekommen.

Die Entertainment-Industrie, die momentan mit aller Macht gegen ihrer Meinung nach illegale Tauschbörsen und Werkzeuge zum Kopieren von DVDs vorgeht, dürfte dieses als Kompromiss gedachte Angebot allerdings eher als kompromittierend auffassen. Schließlich könnten bald ähnlich wie mit Napster Millionen von Nutzern über den Dienst Musikstücke oder sogar ganze Filme austauschen. Doch im Gegensatz zu Napster werden die Freigeister der "autonomen" Unternehmung wie bei Gnutella und FreeNet nur die Tauschsoftware, aber keinen zentralen Server bereit halten, über den die Nutzer sich kurz schließen. Der Dateiaustausch erfolgt vielmehr zwischen den einzelnen Anwendern selbst gemäß dem Peer-to-Peer-Prinzip (Zurück in die Zukunft: Das neue Internet ist das ganz alte) und entwickelt so ein letztlich kaum noch kontrollierbares Eigenleben.

Trotzdem soll das "Browsen" durch die Angebotskataloge bei Mojo Nation einfacher sein wie bei ähnlichen Netzwerkprogrammen. Das "Veröffentlichen" von Dateien folgt zunächst einem ausgeklügelten, mit Verschlüsselungsmechanismen arbeitenden Schema, bei dem die Nutzer unter beliebig vielen Pseudonymen agieren können. Dazu unterteilt die Kernsoftware, der so genannte Broker, ein File zunächst in acht Teile, die während des Verschlüsselungsvorgangs mit einem eindeutigen Kennzeichen versehen werden.

Als nächstes erstellt der Broker eine Art Gebrauchsanweisung, wie die einzelnen Stücke wieder zur Originaldatei zusammengefügt werden müssen, und zerteilt sowie verschlüsselt auch diesen "Plan" wiederum. Anhand dieser Metadaten können die einzelnen Pakete, die auf eine Vielzahl der angeschlossenen "Servern" verteilt werden und deswegen nicht durch das Abstellen eines einzelnen Rechners vom Netz zu nehmen sind, wieder von Agenten und im Prinzip wie Suchmaschinen funktionierenden "Trackern" erkannt und neu zusammengefügt werden. Dazu sind nur vier der acht Teilsegmente nötig, was die Zuverlässigkeit des Systems erhöhen soll.

Das Auffinden von Dateien übernimmt dann letztlich der im Hintergrund laufende Brocker. Dazu sollen spezifische Programme wie etwa ein MP3-Player auf ihn zurückgreifen können. Aber auch über einen normalen Web-Browser soll Mojo Nation funktionieren, versprechen die Programmierer, die gerade noch die gröbsten "Bugs" aus der im offenen Quellcode verfügbaren Software entfernen. Über das Browser-Interface wird man ihrer Ankündigung nach wie im Web gewohnt Dateien über speziell formatierte URLs aus dem Untergrund-Netzwerk holen können.

Die sieben Cypherpunks glauben, dass sie mit ihrem ausgeklügelten System die nächste "Killer-Applikation" fürs Internet geschaffen haben. "Wir sind eine Mischung aus Napster und eBay", verriet Jim McCoy, der Geschäftsführer von Autonomous Zone Industries, seine großen Vorbilder gegenüber Wired News. Angst vor der Musikindustrie oder Hollywood hat der ehemals bei Yahoo arbeitende 30-Jährige nicht. "Wir können fast alle Attacken aus dieser Richtung überleben", glaubt der File-Sharing-Protagonist im Vertrauen auf das dezentrale Netzwerk. Seiner Meinung nach entsteht durch den Agenten-Pool, auf dem die Infrastruktur von Mojo Nation beruht, eine weit verteilte Gesellschaft unabhängiger Akteure. Dadurch sei das System insgesamt verl‰sslicher und fehlertoleranter als ein hierarchisches, zentralisiertes System. Anders als die Programmierer von Gnutella sei man aber zur partiellen Zusammenarbeit mit der Content-Industrie bereit.

Um das Netzwerk zum Erfolg zu führen, müssen McCoy und seine Mannen aber zunächst die Nutzer von Gnutella oder FreeNet von der Überlegenheit ihrer Software überzeugen. Neben dem Micropayment-System soll deswegen vor allem ein zusätzlicher Reputationsmechanismus das Vertrauen der Netzgemeinde in die Applikation stärken, durch den die Anwender des Dienstes andere Nutzer ähnlich wie bei eBay bewerten und die Summe der verdienten Mojos einsehen können. Die von unabhängigen Dritten gesammelten Bewertungen sollen über gesonderte "Reputations-Server" zugänglich gemacht werden. Wer den Mitglieder der Mojo Nation dann Datenschrott anbietet oder nur über eine langsame, ständig zusammenbrechende Verbindung zum Netz verfügt, kann dort an den virtuellen Pranger gestellt werden.

veröffentlicht am 31.7.2000 bei telepolis


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