schattenboxen

Franz Công Bùi, Frankfurt, 29. Juli 2000

Die erste Runde ging klar an die Musikindustrie. In einem Musterprozess, der ein Meilenstein im Kampf gegen Musikpiraterie und Urheberrechtsverstöße werden soll, haben der US-Musikindustrieverband RIAA und damit die fünf großen Musikkonzerne Universal, BMG, Sony, Warner sowie EMI, die zusammen mehr als 90% des weltweiten Tonträgerumsatzes, also 40,9 Mrd. Euro, machen, zunächst einmal Recht bekommen. Das Napster-Programm, gegen das die Industrie ins Feld zieht, weil es 20 Millionen Surfern ermöglicht, Millionen von Songs kostenlos aus dem Internet herunterzuladen, hängt in den Seilen. Die Website von Napster wird nun per einstweiliger Verfügung gesperrt, da es sich in den Augen der Richterin hierbei offensichtlich um ein Werkzeug handelt, mit dem Urheberrechte verletzt werden. Jetzt stehen die Chancen für die Musikrechteverwerter gut, auch im weiteren Verlauf des Prozesses erfolgreich zu sein. Das erscheint beruhigend angesichts der Umsatzverluste durch Raubkopien im Netz, die die europäische Musikindustrie auf 1,4 Mrd. Euro im Jahr beziffert.

Doch Napsters Schatten reicht viel weiter, und es ist fraglich, ob die Musikindustrie auch in Zukunft auf der Gewinnerseite bleibt, wenn sie ihre bisherige Strategie weiterverfolgt. Denn bei der Auseinandersetzung mit so genannten File-Sharing-Programmen geht es um erheblich mehr als nur um Urheberrechte. Angesichts der Tatsache, dass mittlerweile eine Vielzahl solcher Anwendungen im Internet kursieren, scheint der Kampf gegen unlizenzierte Musikangebote im Netz bereits verloren. Zumal binnen kürzester Zeit ausgereiftere Varianten entstanden sind, die nicht mehr von einem zentralen Server aus operieren und darüber hinaus die angebotenen Dateien sowie die Identität ihrer Anbieter verschlüsseln, wodurch eine Strafverfolgung erheblich erschwert wird. Einer dieser Anbieter, Gnutella, verzeichnete direkt im Anschluss an den Gerichtsbeschluss gegen Napster 30000 neue Nutzer innerhalb einer Stunde.

Um diesem Überangebot an kostenloser Musik im Internet zu begegnen, muss die Musikindustrie den Kampf auch außerhalb der Gerichtssäle annehmen, denn es geht nicht nur um Urheberrechte oder um bestehende Märkte, sondern um die Zukunft der Musikdistribution. In der Vergangenheit haben sich die Musikfirmen diesbezüglich als schwerfällig erwiesen und sich immer wieder von den neuesten Entwicklungen überraschen lassen. Bedenkt man, dass die MP3-Software, die die Grundlage für die heutige Online-Musikpiraterie bildet, bereits vor fünf Jahren vom Fraunhofer-Institut entwickelt wurde, verwundert es schon, dass die traditionellen Musikanbieter bis heute noch keine schlüssige Strategie entwickelt haben, um dieser Bedrohung am Markt zu begegnen. Bis vergangenes Jahr zeichnete sich die Herangehensweise der Tonträgerindustrie dadurch aus, dass sie trotz stagnierender Verkaufszahlen geduldig die Lage sondierte und im Vertrauen auf Darwin eine Marktbereinigung abwartete, um dann mit ihrer geballten Macht und Erfahrung auf den Markt zu drängen.

Durch Programme wie Napster wird jedoch deutlich, wie groß die Nachfrage nach herunterladbaren Musikdateien bereits jetzt ist und welches Marketingpotenzial sich dahinter verbirgt. Immerhin zeigen verschiedene Studien, dass 45% der Nutzer solcher Programme mehr CDs kaufen als früher. Doch auch hier verdeutlicht sich die Haltung der etablierten Musikunternehmen. Anstatt Partnerschaften mit diesen Anbietern einzugehen oder - wie es gerade modern zu sein scheint - diese gleich ganz zu übernehmen, vergrault man mit einem Aufsehen erregenden Prozess 20 Millionen potenzielle Kunden. Noch gravierender ist der Umstand, dass viel Geld und Zeit in die Entwicklung von Schutzmechanismen investiert wird, die früher oder später ohnehin geknackt werden. Entwicklungskosten, die gespart werden könnten, wenn man mit den entsprechenden Online-Anbietern kooperieren würde.

Der enorme Innovationsdruck, der auf der Musikindustrie lastet, wird mit diesem Prozess, egal, wie er ausgeht, erhöht. Will man am Ende nicht als Verlierer den Ring verlassen, wäre es ratsam, nicht mehr auf den flinken und vielköpfigen Gegner vor Gericht einzuschlagen, sondern dessen Technik und Strategie zu übernehmen und die ureigene Ware Musik in digitaler Form zu vernünftigen Preisen über das Internet anzubieten.

Dieser Text erschien am 29. Juli 2000 in der Börsen-Zeitung

[zurück zum Anfang]



© 2000 km 21.0 - diese Seite ist Bestandteil von www.km21.org