das club-prinzip des internets

Niels Boeing, Hamburg, November 2000

WWW ist überall. Selbst Zeitgenossen ohne eigenen Computer haben inzwischen mitbekommen, dass die drei Buchstaben etwas mit dem Internet und vielen Milliarden Dollar zu tun haben. Seit dem 30. Oktober 2000 müssen sich alle ein neues Kürzel einprägen: P2P. Denn die De-facto-Übernahme der populären Online-Musiktauschbörse Napster.com, eines P2P-Netzwerks, durch den Medienkonzern Bertelsmann zeigt, dass die IT-Konzerne ihren Kompass nun darauf ausrichten. „Es ist großartig und bringt uns wirklich ins 21. Jahrhundert“, schwärmt Gene Kan, einer der Erfinder von Gnutella (gnutella.wego.com), der wichtigsten Musiktauschbörse nach Napster.
P2P steht für Peer-to-Peer-Computing (etwa „von gleich zu gleich“). Das ist ein Computer-Netzwerk, in dem die Daten nicht wie im World Wide Web auf zentralen Servern, sondern auf den Rechnern der Netzwerk-Teilnehmer gespeichert und verarbeitet werden. Ein harmlos klingender Unterschied, in dem die einen die Revolution des Internets erblicken und andere schlicht einen Alptraum. Denn hiermit verlagert sich die Datenhoheit vom Server-Betreiber, in der Regel ein Internet-Provider, zurück zum User.
Der kam bislang nicht am Provider vorbei, wollte er Informationen ins Netz stellen, und nur wenige hatten Geld und Expertise, selbst einen Web-Server zu betreiben. Daten mussten zu Websites aufbereitet und auf den Server hochgeladen werden.
P2P ist viel einfacher: Alles was ein User braucht, ist ein Stück Software, das ihn mit anderen Usern verbindet und einen direkten Zugriff auf dessen unbearbeitete Daten ermöglicht. Während Napster noch eine Liste verfügbarer Dateien auf einem zentralen Server vorhält, arbeiten Systeme wie Gnutella oder Freenet ganz dezentral. Die Daten werden nach ausgeklügelten Routing-Systemen weitergeleitet und sind im Falle von Freenet nicht einmal mehr lokalisierbar. Das erhöht die Anonymität von Daten und Usern und macht das Netz zudem weniger anfällig gegen Cyber-Angriffe, wie sie im Februar die Server der großen E-Commerce-Sites lahm gelegt hatten.
Zwar hob erst Napsters bahnbrechender Erfolg P2P ins Rampenlicht. Tatsächlich aber waren zwei andere Spielarten dieser Technik schon vorher äußerst populär:

das Instant Messaging – hierbei chatten Freundeskreise quasi parallel zum Web-Browser mit Hilfe von kleinen Programmen wie AIM oder ICQ, die von Millionen Usern weltweit genutzt werden;

das verteilte Rechnen, beispielsweise bei dem im Mai 1999 gestarteten Projekt Seti@home – hier übernehmen über 1 Million PCs privater User astronomische Messdaten – die in wahrhaft astronomischen Mengen anfallen – bei der Suche nach außerirdischem Leben und analysieren sie im Bildschirmschoner-Modus.

Allen drei Varianten ist eines gemeinsam: Sie sind kostenlos. Doch während Instant Messaging den Usern als Kommunikations-Service nachgeworfen wird und verteiltes Rechnen eher eine Sache von Idealisten ist, geht es beim Filesharing um eines der wichtigsten Online-Produkte: Content – Inhalt. Das können außer Musik auch Spiele, Software, digitalisierte Bücher oder Filme sein. Die werden in den neuen P2P-Netzen nicht wie auf Flohmärkten hin und her verkauft, sondern schlicht geteilt.
Systeme wie Gnutella verdeutlichen sehr gut, was ich &Mac226;Kochtopf-Ökonomie“ nenne“, sagt der indische Ökonom Rishab Ayer Gosh vom Maastrichter Institute of Infonomics. Wer ein paar Zutaten gibt – etwa Musikdateien –, darf sich aus dem ganzen Suppentopf bedienen, sooft er will. Der Unterschied zu einer realen Markt-Ökonomie liegt in der unbegrenzten Kopierbarkeit digitalen Contents – die Suppe geht nie zur Neige, und alle machen mit.
Nun, nicht ganz. Eytan Adar und Bernardo Huberman vom US-Forschungszentrum Xerox Parc nahmen im September den Datenverkehr des eingangs erwähnten Gnutella unter die Lupe. Ihr Ergebnis, veröffentlicht im Internet-Fachjournal „firstmonday.dk“: Rund 70 Prozent der Gnutella-Mitglieder sind Trittbrettfahrer, die selbst keine Dateien anbieten. Dagegen werden fast drei Viertel aller Songs auf nur 5 Prozent der angeschlossenen PCs vorgehalten. Das aber bedeutet, dass diese Rechner im Prinzip so unerlässlich für das Funktionieren des Gnutella-Netzwerks werden wie Web-Server. Mit gezielten Daten-Attacken und Klagen gegen deren Besitzer, so Adar und Huberman, könne ein solches dezentrales P2P-System doch empfindlich getroffen, wenn nicht gar lahm gelegt werden.
Ob P2P-Netze sich zu den phantastischen Online-Märkten machen lassen, als die sie einige Verfechter wegen ihrer Nähe zum Kunden preisen, weiß niemand. „P2P ist kein Business-Modell, sondern eher eine Infrastruktur“, sagt denn auch Eric Scheirer, Analyst von Forrester Research, skeptisch. Was sich aber verkaufen ließe, könnte der Zugang zu P2P-Netzen sein. Je kleiner und feiner die sind, desto eher wird man für den Eintritt – in Form eines Zugangs-Codes – zahlen. „Tatsächlich werden bereits Modelle für den E-Commerce mit Privatkunden in &Mac226;geschlossenen Gruppen“ konzipiert“, sagt Andrew Mahon, Marketing-Manager von Groove Networks.com. Diese von Ray Ozzie, dem Erfinder der Team-Software Lotus Symphony, gegründete Firma hat Ende Oktober die erste Version von Groove veröffentlicht, ein P2P-Programm, das Elemente von Filesharing à la Napster, Instant Messaging und Tele-Co-Working zu „Shared Spaces“ verbindet, geteilten Web-Räumen.
Damit ließe sich etwas verwirklichen, was WWW-Erfinder Tim Berners-Lee eigentlich für das Web erträumt hatte: die wirklich interaktive Bearbeitung von Informationen, die dort längst zur Eingabe von Kreditkartennummern verkommen ist. Gut möglich, dass schon bald das neue Statussymbol auf der Visitenkarte der „Shared Space“ eines P2P-Netzwerks sein wird – gewissermaßen der Cyberclub, dem man angehört.

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