der neue "otto-katalog" ist da
Stefan Krempl, Berlin, Oktober 2001

Das überarbeitete Anti-Terror-Paket II aus dem Schily-Ministerium befriedigt die Grünen noch nicht

Der vom Bundesinnenministerium nach den Marathon-Koalitionsverhandlungen am Wochenende erstellte neue Gesetzesentwurf für die Terrorismusbekämpfung wird von Grünen-Politikern und der FDP noch nicht als spruchreif angesehen. Auch wenn die Befugnisse des Bundeskriminalamts (BKA) jetzt nur noch mäßig erweitert werden sollen, sorgt die erhalten gebliebene Generallizenz zum Schnüffeln für die Geheimdienste auch innerhalb der Regierungskoalition für Unruhe.

Die Freude war groß nach einem dreitägigen Verhandlungsdauerlauf am Wochenende: "Dank Bündnis 90/Die Grünen ist das 'Sicherheitspaket II' zielgerichtet, rechtstaatlich, effektiv und verhältnismäßig", urteilte die Bundestagsfraktion des "kleinen" Regierungspartners am Montag. In einem Papier mit dem Titel "Erfolgreiche Verhandlungen für mehr Sicherheit in Freiheit" bejubelte die grüne Arbeitsebene ihre Vorsitzende Kerstin Müller, die Parteivorsitzende Claudia Roth und den rechtspolitischen Sprecher Volker Beck, weil sie Bundesinnenminister Otto Schily einen akzeptablen Kompromiss abgerungen hätten.

Doch inzwischen hat das Innenministerium den neuen Entwurf für das Gesetz "zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus" auf die Tische der Bundestagsabgeordneten gelegt. Und da wird manchem klar, dass auch das überarbeitete Papier noch einige Überraschungen bereit hält. Denn halbwegs konkret ausformuliert hatten die Koalitionsvertreter mit Schily am Sonntag nur die Änderungen des BKA-Gesetzes. Bei den restlichen Bestimmungen war es zunächst bei reinen Absprachen geblieben.

Insgesamt ist das Paket, das inzwischen bereits ohne Begründung 74 Seiten umfasst, auch nach einzelnen Entschärfung nach wie vor ein Maßnahmenhammer, der alles zusammen genommen zu tief greifenden Eingriffen in Grundrechte wie das Fernmeldegeheimnis und zu Beschneidungen des Datenschutzes führt. In anderen Zeiten hätte jede einzelne der vorgeschlagenen Gesetzesänderungen zu einem Proteststurm von Bürgerrechtlern oder Politikern aus dem Mitte-Links-Spektrum geführt. Doch nach den Terroranschlägen am 11.9. und dem von den Ereignissen ausgelösten Rennen um die innere Sicherheit im Bundestag (Link), konzentriert sich die Kritik der meisten Beobachter auf die größten geplanten Umschichtungen der Rechtslandschaft. Worin natürlich auch eine Taktik des Innenministers gesehen werden kann.

Minister Gnadenlos macht beim Thema Bundespolizei ein paar Zugeständnisse

In sein erstes Verhandlungspapier hatte Schily vor allem das Vorhaben eingebaut, das BKA (http://www.bka.de/) ohne Anfangsverdacht gegen alle und jeden ermitteln zu lassen (Link: Schilys Geheimplan). Gegen diesen Schachzug des Ministers Gnadenlos hatte sich ein Sturm der Entrüstung gerichtet, bevor die Eckpunkte des Papiers offiziell überhaupt das Licht der Öffentlichkeit erblickten. Der Deutsche Richterbund, die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Anwaltvereins, alle Strafverteidigerverbände sowie zahlreiche Bürgerrechtsorganisationen (Link: Hightech-Überwachungsstaat) hatten dagegen ebenso ihr Veto eingelegt wie der Bundesdatenschutzbeauftragte (Link) und sogar das Bundesjustizministerium (Link).

Den Grünen fiel es daher nicht sonderlich schwer, die entsprechenden Paragraphen wieder aus dem "Otto-Katalog" zu kippen. Im neuen Gesetzesentwurf, der Telepolis in voller Länge vorliegt, heißt es nun: Das Bundeskriminalamt kann – soweit zur Erfüllung seiner Pflichten notwendig – "Daten zur Ergänzung vorhandener Sachverhalte oder sonst zu Zwecken der Auswertung mittels Auskünften oder Anfragen bei öffentlichen oder nicht-öffentlichen Stellen erheben."

Was genau unter diesen "Stellen" zu verstehen ist, bleibt vollkommen offen. Auch die Voraussetzungen zum unbegrenzten Datensammeln sind nach wie vor kaum geregelt. In "anhängigen Strafverfahren", so der Gesetzestext, soll dem BKA diese Befugnis jedenfalls "nur im Einvernehmen mit der zuständigen Strafverfolgungsbehörde" zustehen. In anderen Fällen soll das BKA damit anscheinend nach wie vor ohne weitere Kontrolle tätig werden dürfen.

BKA-Zuständigkeit für Hightech-Kriminalität so gut wie beschlossen

Beschlossene Sache ist weit gehend auch bereits, dass der geplante FBI-Verschnitt für Computerkriminalität und die Verfolgung von "Hackerverbrechen" wie dem Eindringen in Datenbanksysteme zuständig sein soll. Die durch das 2. Wirtschaftskriminalitätsgesetz 1986 ins Strafgesetzbuch (StGB) eingeführten „Hackerparagraphen" 303 a und b (Datenbeschädigung beziehungsweise -sabotage) werden laut Entwurf zumindest in den Aufgabenkatalog des BKA eingefügt. Bedingung für das Tätigwerden des Bundeskriminalamts ist demnach jetzt aber, dass Anhaltspunkte für eine Tat gegen "die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" oder gegen "sicherheitsempfindliche Stellen von lebenswichtigen Einrichtungen" vorliegen.

Von den Grünen ist diese Ausweitung bereits abgesegnet worden. In dem am Montag verfassten Fraktionspapier wird die neue Zuständigkeit des Bundeskriminalamtes auf bestimmte Bereiche der Hochtechnologie-Kriminalität als "sinnvoll" bezeichnet, "weil die entsprechenden technischen Möglichkeiten auf Länderebene nicht vorhanden sind." In der Angst um bevorstehende Hackerangriffe gegen "sicherheitsrelevante Bereiche wie Atomkraftwerke oder Krankenhäuser" scheint den Bündnisgrünen ganz entgangen zu sein, dass Landeskriminalämter – wie etwa in Bayern – die Ermittler der ersten Stunde im Cyberspace stellten.

Geheimdienste dürfen unkontrolliert schnüffeln

Unzufriedenheit regt sich dagegen in der Grünen-Fraktion, was die mit Schily besprochenen Änderungen bei der ins Spiel gebrachten extensiven Befugniserweiterung der Geheimdienste anbelangt. In dem neuen Entwurf werden neben dem Verfassungsschutz ((http://www.verfassungsschutz.de/) auch dem Bundesnachrichtendienst (BND) und dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) umfangreiche Lizenzen zum Schnüffeln in die Hand gegeben.

So sollen die beiden nicht-militärischen Dienste in Zukunft bei Banken und Finanzdienstleistern "unentgeltliche Auskünfte zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie am Zahlungsverkehr Beteiligten" sowie zu Geldbewegungen einholen dürfen. Dazu müssen sie Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefährdungen bestimmter Schutzgüter vorweisen. Auch bei Fluggesellschaften sowie bei Postunternehmen sollen sie umfangreiche Datenbestände erfragen können.

Allen drei Geheimdienste wird zudem der Weg zu tiefen Einschnitten ins Fernmeldegeheimnis über das Gesetz zur Einschränkung des entsprechenden Grundrechtsparagraphen Artikel 10 (G-10-Gesetz) geebnet. Die an die Neufassung (http://www.heise.de/newsticker/data/wst-06.09.01-005/) der Lauschbefugnisse des auslaufenden § 12 des Fernmeldeanlagengesetzes (FAG) (http://www.netlaw.de/gesetze/fag.htm) teilweise angelehnten Formulierung geht nun dahin, dass ihnen Telekommunikationsunternehmen und Anbieter von Telediensten im Internet Verbindungs- und Nutzungsdaten frei Haus servieren müssen.

Einsatz des IMSI-Catchers nur mit Auflagen

Im Interesse der Dienste stehen dabei auch "Berechtigungskennungen, Karten-Nummern, Standortkennung sowie Rufnummer" des anrufenden und angerufenen Anschlusses oder des verwendeten Endgeräts. Gleichzeitig wird auch der Einsatz des umstrittenen IMSI-Catchers zur Erstellung von Bewegungsprofilen von Mobiltelefonierern durch den Verfassungsschutz geregelt. Dabei sind weitere Handynutzer im Umkreis der verdächtigen Personen immer zwangsläufig mit betroffen. Erstmals soll zudem die Speicherung und Herausgabe zukünftiger Telekommunikationsdaten angeordnet werden können, was für die Betreiber einen deutlichen Mehraufwand mit sich bringen würde.

Für den Lauschangriff mit Hilfe des IMSI-Catcher haben die Grünen zumindest durchgesetzt, dass diese an rechtliche Voraussetzungen gebunden werden. So soll die Maßnahme an die Voraussetzungen des G-10-Gesetzes geknüpft werden und nur zulässig sein, wenn "ohne die Ermittlung die Erreichung des Zwecks der Überwachungsmaßnahme nicht möglich oder wesentlich erschwert wäre." Personenbezogene Daten unbeteiligter Dritter unterliegen nach der Intervention der Grünen einem "absoluten Verwendungsverbot und sind unverzüglich zu löschen."

Rechtsschutz bleibt auf der Strecke

Trotzdem hält die Bündnisgrünen-Fraktion den neuen Schily-Entwurf gerade im Bereich der Regelungen für die Dienste noch nicht für akzeptabel. Der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele bemängelte gegenüber Telepolis eine bislang mangelhafte Überwachung der Überwacher. "Es muss in allen Punkten eine richterliche oder parlamentarische Kontrolle bestehen", fordert der Geheimdienstexperte. Die sei schließlich von der Verfassung vorgeschrieben.

Die G-10-Kommission des Bundestags ist bislang allerdings nur für die Überprüfung der Eingriffe der Dienste ins Fernmeldegeheimnis zuständig. Für die bei Banken oder anderen privaten Stellen eingeholten Daten müssten ihre Befugnisse daher ausgeweitet oder ein neues Gremium geschaffen werden, gibt Ströbele zu bedenken. Der MAD wird im neuen Entwurf zudem nicht der Kontrolle der G-10-Kommission unterstellt, sodass Kenner der Geheimdienstszene einen heimlichen Datenaustausch mit den anderen Schlapphut-Behörden befürchten. Durch die Hintertür könnten aber auch Polizeistellen, die sonst in der Regeln nur mit richterlicher Anordnung an die Daten kommen, an die von den Diensten angeforderten Informationen gelangen.

Geht es nach Ströbele, muss die gesamte Frage der Bankauskünfte für die Geheimdienste noch einmal auf den Prüfstand. Der Grünen-Politiker fürchtet Nachteile für Bürger, etwa bei Kreditverhandlungen: "Es ist doch etwas anderes, ob das Finanzamt oder der Bundesnachrichtendienst Nachfragen stellt." Dass Kreditnehmer Jahre später über den eventuellen Grund einer Ablehnung von Vertragsabschlüssen aufgeklärt würden, sei da nur ein schwacher Trost.

Dass Telekommunikationsunternehmen, Postdienstleister und Luftfahrtunternehmen Kundendaten an einen Geheimdienst mitteilen müssen, sieht auch Max Stadler als einen Fremdkörper in unserer Rechtsordnung an. Der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, kritisiert ähnlich wie Ströbele, dass "der Rechtsschutz für die betroffenen Bürger dabei auf der Strecke bleibt". Daran ändere auch die auf fünf Jahre vorgesehene Befristung "dieser verfehlten Neuregelung" nichts. Die FDP will daher zum Sicherheitspaket II auf alle Fälle eine Sachverständigen-Anhörung im Innenausschuss des Bundestags beantragen.

Nur Zeitgewinn bei der Diskussion um den Fingerabdruck im Pass

Auch bei der Aufnahme sensibler biometrischer Daten in Pass und Personalausweis haben die Grünen bislang nur einen reichlich symbolischen "Sieg" errungen. Mit den neuen Formulierungen steht der umstrittenen Maßnahme Tür und Tor offen. So heißt es in den entsprechenden Gesetzen nun, dass die Identifikationsdokumente in Zukunft "neben dem Lichtbild und der Unterschrift weitere biometrisch Merkmale von Fingern oder Händen oder Gesichts" der Inhaber enthalten dürfen.

Die genauen Arten der Merkmale sowie der Speicherung sollen nun allerdings nicht mehr per Verordnung aus dem Innenministerium, sondern in einem ordentlichen parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren geregelt werden. Doch entsprechende Mehrheiten dürften sich im Bundestag sicher finden lassen. Gewonnen dürfte also zunächst nur ein Zeitaufschub sein.

Bis der Gesetzesentwurf am 7. November im Bundeskabinett landen kann, gibt es laut Ströbele angesichts des zweiten Otto-Katalogs noch eine "ganze Reihe von Fragen" zu klären. "Die momentane Fassung wird nicht die endgültige sein", erklärt der Bundestagsabgeordnete. Ströbele gehört allerdings dem linken Flügel der Grünen an und wird nicht in all seinen Kritikpunkten den Rückhalt seiner Fraktion finden. Einig ist man sich aber bei der kleineren Truppe der Regierungskoalition, dass eine weitere Überarbeitung des Gesetzesentwurfes nötig ist.

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