lizenz zum surfen?
Christian Ahlert, Giessen, November 2001

Ein eklatanter Kulturbruch im Internet steht bevor: Das World Wide Web Consortium will Web-Standards patentierbar machen. Damit würde die Kommerzialisierung des Netzes drastisch ausgeweitet.

Das Internet wie wir es kennen steht vor dem Ende. Im Internet, dass wir benutzen, kann man surfen wohin man will, sich frei, nach der Devise des Datenjägers und Bytesammlers, aus den digitalen Archiven bedienen und beim virtuellen flanieren von Yahoo zum deutschen Bundestag, schnell ein paar neue Texte kopieren.

Die ungeheure Innovationskraft und der vielbeschworene entepreneurial spirit des Internets entstammen dieser Freiheit. Freiheit die im Softwarefundament des Netzes festgeschrieben ist - durch offene Standards und Protokolle, die jeder kostenlos nutzen kann und ohne die weltweite Kommunikation im Internet unmöglich ist.

Doch mit der Freiheit könnte es bald vorbei sein: Das World Wide Web Consortium (W3C) will die Standards, die das Netz der Netze am Leben halten, durch Patente und Lizenzabgaben schützen. Das W3C, deren Mitgliederliste, dass who-is-who der Computerbranche widerspiegelt, will so "der Veränderung des World Wide Webs, dass zunehmend erwachsen wird" Rechnung tragen. Als Motiv führt das Standardisierungsgremium an, dass durch die zunehmende Konvergenz des Netzes mit dem Telekommunikationssektor, indem Patentierung zur Grundlage der Kommerzkultur gehört und die gestiegene ökonomische Bedeutung des Internets, eine "bessere Patent-Politik" erforderlich sei.

Am Anfang stand die Architektur der Freiheit

Ein Kulturbruch mit der Tradition des Internets ist so programmiert. Im Netz ging es bisher weitgehend ohne Patente und Lizenzabgaben zu, weil es von Technikern entwickelt wurde, die offene Standards – technische Konventionen die jeder frei benutzen kann - zum Fundament des Cyberspace machten.

Aus dieser Architektur ist ein globales Netzwerk gewachsen, das schneller als alle anderen Medien zuvor zum weltweiten Kommunikationsraum avancierte. Die atemberaubende Innovationsgeschwindigkeit und Kreativität rührt vor allem daher, dass das Netz die Benutzung und Weiterentwicklung der technischen Standards und Softwareprotokolle weitgehend in das Belieben der Nutzer und der Software-Entwickler stellt, die in ihm surfen und arbeiten. Die Programmierer der Netzwelt können sich kostenlos und ohne lang zu fragen aus dem Baukasten der Standardisierungskataloge bedienen und in neue Produkte und Programme einbauen.

Viele dieser Standards, sind vom World Wide Web Consortium entwickelt worden, dass Tim Berners Lee, der das World Wide Web entwickelt hat - das er übrigens nicht patentiert hat - ins Leben gerufen hat. Eingeweihte nennen das Konsortium W3C, und zuletzt zählten mehr als 300 Mitgliederorganisationen dazu: Firmen wie Microsoft, oder Hewlett Packard, Nonprofit-Organsiationen und Regierungsbehörden aus aller Welt. Im W3C werden Standards und Protokolle geschaffen, die Aussehen und Funktion von Webseiten spezifizieren – letztlich wird festgelegt wie das Internet funktioniert. Hier wird HTML weiterentwickelt, Verschlüsselung, Datenschutz und E-Commerce technisch erweitert, oder begrenzt.

Das W3C macht einen Kotau vor der Kommerzialisierung

Das W3C will nun der Kommerzialisierung des Netzes gerecht werden: Standards, die die Kommunikation im Web regeln, sollen patentierbar werden. "Das "W3C Patent Policy Framework”, indem das Konsortium vorschlägt, wie Standards patentrechtlich geschützt werden sollen, "könnte so die Zukunft des Internets umschreiben”, so der amerikanische Computerspezialist Andy Oram. "Niemals zuvor hat das Netz vor einer größeren Herausforderung gestanden" fügt er, schwarzseherisch hinzu.

Er warnt davor, dass durch das Patentrecht ein Mechanismus in Gang gesetzt werden würde, in dem, neben anderen grundlegenden Charakteristika, "cut and paste”, dass beliebte ausschneiden und einfügen von Textelementen aus dem Netz nicht mehr möglich sein werde; Dokumente könnten nicht mehr heruntergeladen und auf der Festplatte gespeichert werden. Sogenannte "deep links”, also links von einer Webseite, die direkt in den Inhalt eines anderen Internetangebotes, wie Yahoo, hineinführen würden ausgeschlossen, weil man jede Internetseite nur noch durch ihr "Portal” ansteuern könne. Das wäre praktisch Stalinismus im Netz. Totale Kontrolle für die Softwaregiganten, wenig Freiheit für die Nutzer.

Versuche elementare Teile des Netzes unter Patentschutz zu stellen hat es auch ohne das W3C schon gegeben. Die British Telecom (BT) versuchte den "Hyperlink" als Patent anzumelden, weil er auf einem alten Patent, dass noch vor der Entwicklung des WWW’s geschützt worden war, beruhen würde. Hätte BT Erfolg gehabt, müsste heute jeder Netznutzer, der einen Link anklickt, Lizenzabgaben an den britischen Telefongiganten zahlen.

Die Rückeroberung des Netzes durch Patentrecht, Urheberrecht, Anwälte und Konzerne, zeichnet sich also schon seit Jahren ab. Für die Sicherung kommerzieller Inhaltsangebote stand den Anwälten der Unterhaltungsindustrie jedoch bislang kein effektiver, rechtlicher und kommerzieller Mechanismus zur Verfügung, der es ihnen erlaubt hätte Kontrollmechanismen direkt in die Standards einzubauen, die das Internet regieren.

Die Microsoft-AOL-Time-Warner-Welt droht

Patente auf Standards, können über Lizenzbestimmungen direkte Kontrolle der Inhalte über die verwendete Technik einführen. Man stelle sich vor, ein Datenformat und ein dazugehöriges Softwareprotokoll würde entwickelt, dass "Digital Rights Management” enthält – dem heiligen Gral nach dem die großen Medienkonzerne seit Jahren suchen. Im Unterschied zum Internet wie wir es kennen, wäre die Softwarespezifikation, die den Schutz digitaler Inhalte technisch sanktioniert, nach Vorstellungen des W3C nun über Patentierung geschützt und könnte dann im Internet verbreitet werden. Ein verheerender Dominoeffekt wäre in Gang gesetzt. Weil Standards für das Internet extrem komplex und kompliziert sind, braucht jeder der ein Programm für das Internet entwickeln will diese Standards. Softwarepatente hingegen würden das Ende der ungeheuren Innovationskraft einläuten. Große Inhaltsanbieter, wie Time Warner, würden die Entwicklung zu Verfahren des Inhaltsschutzes - "Digital Rights Management”- fördern und in Browser, wie Netscape oder Internet Explorer, als patentierten W3C-Standard integrieren lassen. Jeder der diese Inhaltsmanager nun ausschalten, oder verändern will, würde entweder wegen Patentverletzung angezeigt, oder müsste horrende Lizenzabgaben zahlen.

Die Innovationskraft des Netzes würde so insgesamt gehemmt werden, weil sich patentierte Standards durchsetzen, die außer dem Besitzer des Patents niemand benutzen darf. Microsoft könnte dann Standards patentieren, die Mitbewerber verdrängen.

Noch allerdings ist die Freiheit im Netz noch nicht verloren.: Das W3C wird seit Vorstellung ihrer neunen "Patent-Policy” von allen Seiten mit Kritik bombardiert. Auf den Mailinglisten des Konsortiums laufen Netzaktivisten Amok. Vor zwei Wochen haben sich überraschender Weise auch noch die Computerkonzerne Apple und Hewlett Packard gegen den Patentwahn ausgesprochen - was aber lediglich kluges Marketing sein könnte. Apple befürchtet, dass Patentinhaber den Standardisierungsprozess kontrollieren, indem sie den Zugang zu lebenswichtigen Standards über Lizenzabgaben sanktionieren.

Pessimistisch stimmt hingegen Stanford-Jurist Larry Lessig: "Der Cyberspace wird sich von einer relativ freien Welt, zu einem Medium, das perfekt kontrolliert wird, verwandeln". Und er fügt hinzu: "Perfekter als die reale Welt!" Er ist sicher, "dass in Zukunft (Software)-Code, der geistiges Eigentum schützt, sehr effizient sein wird, weil Programmierer Code entwickeln werden, der geistiges Eigentum perfekt schützt, besser als das jemals mit Gesetzen möglich wäre".
Und das Ganze, ohne das Regierungen auf eine Balance zwischen Schutz und Innovation achten, weil sie neoliberal dem Markt die Selbstregulierung überlassen, oder der Technik, die sie unzureichend verstehen.

Das ist nicht nur besorgniserregend, sondern dann wäre das kommerziell-globale Megamedium, das "Microsoft-AOL-Time-Warner-Internet", perfekt. Zuviel Schutz und Kontrolle für einige, wenige waren aber noch nie gut, schon gar nicht in der Komplexität vernetzter Kommunikation, in der Innovation aus Kooperation entsteht, die Patente und Lizenzgebühren behindern. Deshalb sollten wir die Reichweite von Patenten über Kommunikationsstandards für das Internet limitieren und das W3C genau beobachten.

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