rinderwahnsinn, nüchtern betrachtet
Harald Simons, Berlin, 2005

Ein Überblick über die Entwicklung der EU-Agrarpolitik.

Von Anfang an, d.h. seit Bestehen der EG, ist die Agrarpolitik eine Angelegenheit der Europäischen Gemeinschaft gewesen. Man könnte fast sagen, dass es lange Zeit die Angelegenheit der EG war. Jedenfalls drängt sich dieser Eindruck auf, wenn man den Anteil betrachtet, den die Agrarausgaben am Haushalt der EG haben. Für das Jahr 2003 sind Nettoausgaben für die Agrarpolitik von knapp 45 Mrd. EURO geplant. Das sind zwar nur rund 0,5% des BIP der Gemeinschaft, aber immerhin 46% des Gesamthaushaltes der EU. Unmittelbar nach dem Krieg mag in Deutschland noch die Sorge um die Nahrungsmittelversorgung im Vordergrund gestanden haben, als man den landwirtschaftlichen Bereich staatlichen Regulierungen aussetzte. Aber bereits im Landwirtschaftsgesetz von 1955 ist es explizit die Einkommenssicherung der Bauern, die als Ziel der Agrarpolitik genannt wird. Für die EG stand dieses Ziel nie außer Frage.

Kernstück der EG-Politik war und ist die Agrarmarktordnung. Diese besteht im wesentlichen Zügen aus einem Bündel von Regelungen, die die freie Marktpreisbildung weitestgehend außer Kraft setzen und an ihre Stelle eine „regulierte“ Preisbildung implementierte. Dieser Ordnung unterliegen unter anderem: Fischprodukte, Getreide und Reis, Fleisch und Geflügel, Milchprodukte, Öle, Leinen, Wein und Tabak, Zucker, Obst und Gemüse. Frei eingeführt werden dürfen nur unbearbeitete Produkte, die aufgrund klimatischer Besonderheiten nur in anderen Weltgegenden wachsen – z.B. Kaffee und Kakao.

Zum Verständnis dieser Ordnung ist es hilfreich, sich der Anfänge der EG-Agrarordnung zu erinnern. Ursprünglich ging es darum, den Bauern, die nur einen Teil der europäischen Nachfrage decken konnten, ein „angemessenes“ Einkommen zu sichern, indem ihnen Preise zugestanden wurden, die über dem Weltmarktniveau lagen. Dazu war es allerdings notwendig, die Importe, die man zur Deckung der Nachfrage benötigte, entsprechend zu verteuern. Dies geschah durch die sogenannte Abschöpfung, d.h. durch einen „Gleitzoll“ mit dessen Hilfe die billigeren Importe jeweils auf das Preisniveau der EG angehoben werden konnten.

Das Erfreuliche an dieser Politik war die Tatsache, dass sie sich lange Zeit selbst finanzierte. Es entstanden nur in Ausnahmefällen Ausgaben, dann nämlich, wenn das Angebot zu dem garantierten Mindestpreis die Nachfrage überstieg, denn dann mussten die Überschussmengen vom Staat aufgekauft werden. Diese Ausgaben ließen sich mühelos durch die Zolleinnahmen finanzieren, die der gemeinsame Außenschutz einbrachte.

Leider trat in der Folgezeit das ein, womit bei einer Mindestpreispolitik in Verbindung mit Abnahmegarantien nun einmal zu rechnen ist. Die Bauern weiteten ihre Kapazitäten und ihre Produktion aus, um rund 20% bei Milch und um knapp 50% bei Getreide (1970-1984). Ein solches Verhalten ist nur zu gut zu verstehen, denn die Anreize, die durch eine Preis- und Abnahmegarantie geschaffen werden, gehen exakt in Richtung einer Kapazitätserweiterung (vgl. die Überlegungen, die im Zusammenhang mit Abbildung 38 angestellt wurden). Die Folgen dieser absehbaren Verhaltensänderung der Bauern waren erhebliche Überschüsse bei der Produktion fast aller landwirtschaftlichen Produkte.

Reformen der Gemeinsamen Agrarpolitik

Der hohen Überschussproduktion begegnete die EG / EU mit diversen Maßnahmen zur Beschränkung der vorher ausgebauten Produktionskapazitäten. Beispiel Milch: Nachdem die Ausgaben der EG für die Lagerung von Milcherzeugnissen in 1984 bis auf 28,5% der Gesamtausgaben der gemeinsamen Agrarpolitik gestiegen waren und „selbst die künftige Entwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik gefährdeten“ wurde 1984 die Kapazitätswirkung der Preisstützungspolitik durch die sogenannten Milchquoten abgeschwächt. Jeder Milchbauer bekam ein Milchquotenkontigent zugeteilt, eine Produktion über dieses Kontigent hinaus wurde mit einer abschreckenden Zusatzabgabe, der „Milchgarantiemengenabgabe“, belegt.

Neben dem Preis wird seither zusätzlich die Produktionsmenge administrativ bestimmt. Tatsächlich gelang es auch, die Milchproduktion zu drosseln und die Ausgaben für den Milchsektor zu senken. Allerdings wurden geradezu skurrile Nebenwirkungen dabei in Kauf genommen. Ein Beispiel: Die Zuteilung der Milchquoten erfolgte an die Milchbauern des Jahres 1984. Aus Sicht dieser Bauern stellen die ihnen zugeteilten Milchquoten mündelsichere Wertpapiere mit einer jährlichen Dividende in Höhe der Milchgarantiemengenabgabe dar. Wie alle Wertpapiere ist auch dieses zumindest de facto handelbar und Milchbauern können ihre Milchquoten verkaufen oder verleasen – wenn sie z.B. in Rente gehen oder die Produktion auf ein anderes Gut umstellen.

Die Milchquotenregelung erzeugt so „Sofamelker“ wie diese Ex-Bauern auch genannt werden, die Einkommenssicherung der aktiven Landwirte wird so teuer erkauft. Für die anderen Märkte – von Getreide bis zu Rindfleisch– wurden andere, aber ähnlich wirkende Maßnahmen ersonnen und mit unterschiedlichem Erfolg umgesetzt. Die Getreideproduktion stieg trotz Flächenstillegungsprogrammen weiter an.

Die Einkommenssicherung der Landwirte im Rahmen der EG-Agrarordnung wird bis heute aus einem System der Mindestpreise und Kapazitätsbeschränkungen bewerkstelligt. Die Folgen einer solchen „Einkommenspolitik“ gehen weit über die direkten fiskalischen Kosten hinaus und beschränken sich auch nicht auf Butterberge oder Sofamelker – auch wenn dies im Bewusstsein der Öffentlichkeit die schlimmsten Folgen der Agrarpolitik sind. Der Verlust an sozialer Wohlfahrt, der durch die Preis- und Mengenmanipulation entsteht, ist unabhängig von der Überschussproduktion. Er fiel auch zu der Zeit an, zu der sich die Agrarpolitik „selbstfinanzierte“. Die Einkommenspolitik wird auf diese Weise sehr teuer erkauft.

Die OECD hat in einer Studie die Effizienz verschiedener einkommenspolitischer Maßnahmen für Landwirte untersucht. Die Transfereffizient – das Verhältnis des Einkommenszuwachses für den Landwirt zu den Kosten der Maßnahme für den Steuerzahler oder den Konsumenten – ist aus zwei Gründen gering. Zum ersten, da Wohlfahrtsverluste durch die Fehlallokation knapper Ressourcen entstehen (z.B. Milch, die keiner braucht, wird produziert), zum zweiten durch Streuverluste, da auch andere Personenkreise als die Landwirte profitieren (z.B. Grundeigentümer, die eine höhere Pacht für Agrarland mit Milchquoten einfordern). Der Volkswirt spricht hier von der Inzidenz der Förderung. Die Ergebnisse sind in der folgenden Graphik dargestellt und beziehen sich die Gesamtheit der OECD Länder.

Die aufgeführten agrarpolitischen Maßnahmen sind idealtypische Maßnahmen. In der Realität werden diese parallel angewendet. Wie die Graphik zeigt, sind die Ergebnisse – gemessen an dem Politikziel der Einkommenserhöhung für die Tätigkeit der Landwirte – spärlich. Keine Maßnahme weißt einen Wirkungsgrad größer 12% auf.

Wie schon im Fall des Wohnungsmarktes gibt es auch hier eine „effizienzschonende“ Alternative zur Preis- und Mengenpolitik. Wenn man das Einkommen der Bauern stützen will, wenn man Umverteilungspolitik zugunsten der Bauern betreiben will, dann kann man direkte Einkommenstransfers durchführen, ohne Preise und Mengen manipulieren zu müssen. Nur so ist ein Wirkungsgrad von 100% erreichbar.



Erläuterung:
Marktpreisausgleichzahlungen: Differenz zwischen erzieltem Marktpreis und garantiertem Mindestpreis
Marktintervention: Marktbereinigung durch Stützungskäufe
Flächenzahlungen: Pauschalzahlung je Agrarflächeneinheit
Inputsubventionen: Subvention der Inputfaktoren, z.B. Agrardiesel

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