Selbstheilung ausgeschlossen
Robert von Heusinger, Friedrichsdorf, März 2003

Die deutschen Bankenkrise hat ihren Höhepunkt noch gar nicht erreicht. Aber schon jetzt zieht sie die Wirtschaft noch tiefer in den Abgrund. Der Bundesregierung bleibt nur noch ein Ausweg: Konjunkturprogramme - und nicht "Strukturanpassungsreformen", wie von der Wirtschaft gefordert

Eigentlich ist die Sache klar: Wenn der Kanzler in diesen Tagen die Creme de la Creme der deutschen Banken und Versicherer zu einem Spitzentreffen nach Berlin lädt, kann es eigentlich nur um ein Thema gehen: Die schwierige Situation in der deutschen Wirtschaft und Finanzindustrie. Doch es wurde über fast alles gesprochen: Über die Grundzüge des nächsten Finanzmarktförderungsgesetz, den Irakkrieg, die Wirtschaftspolitik und die Lage der Banken. Nur ein Krisengipfel, zu dem es in den Medien stilisiert worden ist, war es nicht. Das ist das eigentlich Erstaunliche an der Zusammenkunft.

Aber die Indizien sind eindeutig: Weder Jochen Sanio, der oberste Bankenaufpasser der Republik noch Klaus-Peter Müller, der Chef der Commerzbank, waren eingeladen. Sanio muss im Ernstfall die Rettung der Banken befehligen. Und Müller steht dem Institut vor, das im Herbst durch die Hölle ging. Wilde Gerüchte hatten damals dafür gesorgt, dass die Solvenz der gelben Bank öffentlich in Frage gestellt wurde. Müller war nicht zu Tisch gebeten worden, weil er dem Kanzler zu CDU-lastig ist. Wenn noch Zeit für solche Eitelkeiten ist, kann die Lage nicht so dramatisch sein, kann es sich kaum um ein echtes Krisengespräch gehandelt haben.

Das Beruhigende an dem Treffen ist, dass Details an die Presse weitergegeben worden sind, die eine Bankenkrise in Deutschland wahrscheinlicher machen. Vor allem der Vorschlag von Josef Ackermann, dem Vorstandssprechers der Deutschen Bank, eine Auffanggesellschaft für faule Kredite der Banken zu schaffen, ist hoch brisant. Dafür ist immer noch Zeit, wenn die erste Bank über die Klippe gesprungen ist. Jetzt darüber zu spekulieren, treibt die Herde an den Finanzmärkten in die falsche Richtung. Es werden Erwartungen über Schieflagen geschürt.

Die Schieflagen selbst werden aber erst durch das Verhalten der Händler und Investoren herbei geführt, die sich weigern mit den vermeintlich wackelnden Banken weiter Geschäfte zu machen. Besonders dreist ist Ackermanns Auffanggesellschaft, da er sie nur für seine drei Konkurrenten, Dresdner, HypoVereinsbank und Commerzbank, ins Spiel gebracht hat. Dabei steht seine Bank nicht viel besser da. Und warum soll der Staat jetzt schon in die Bresche springen, wo doch die Banken noch manövrierfähig sind?

Denn Deutschland befindet sich noch nicht mitten in der Bankenkrise. Der Weg dorthin ist jedoch vorgezeichnet, solange die Konjunktur nicht bald wieder anspringt.

2002 war das schlimmste Bankenjahr seit dem zweiten Weltkrieg. Da sind sich alle einig. Die horrenden Pleiten und Konkurse angefangen bei Holzmann über Kirch bis hin zu Fairchild Dornier haben die Banken gerade noch weggesteckt. Doch heute sind sie ausgemergelt, haben abgespeckt und können nur noch auf Zeit spielen. Je rascher der Aufschwung kommt, desto besser. Die kräftigen Kosteneinsparungen der vergangenen Jahre haben wenig geholfen, da die Erträge noch schneller wegbrachen. Das gilt vor allem für die deutschen Großbanken.

2003 wird aber mit Sicherheit schlimmer. Das wagt nur kaum jemand auszusprechen. Dabei versprechen weder die Börse noch die Konjunktur in Deutschland Besserung. Doch nur daran hängt es. Deshalb ist auch die Regierung der richtige Ansprechpartner für die Banken. Ihre verfehlte, weil viel zu restriktive Finanz- und Wirtschaftspolitik, zeichnet in weiten Teilen für die Misere verantwortlich.

Denn die Lage der Banken ist nichts anderes als ein Spiegelbild der Konjunktur. Fast zehn Jahre unterdurchschnittliches Wachstum in Deutschland haben tiefe Spuren in den Bankbilanzen hinterlassen. Die beiden vergangenen Jahre mit einem Wirtschaftswachstum von 0,6 und 0,2 Prozent dürfen getrost rezessiv genannt werden. Im Inland schrumpfte jüngst die Nachfrage sowohl der Konsumenten als auch der Unternehmen. Lediglich der Export sorgte für das minimale Plus.

Und 2003? Schon revidieren alle ihre Schätzungen nach unten, die Forschungsinstitute, der Internationale Währungsfonds, die Europäische Zentralbank. Deutschland wird schon wieder nur ein Wachstum von unter einem Prozent vorhergesagt. Kein Wunder, dass die Unternehmensinsolvenzen Jahr für Jahr neue Rekordstände erreichen: 32.400 Pleiten 2001, 37.700 im vergangenen Jahr und für das laufende rechnet Creditreform mit bis zu 42.000.

Die Banken, die den Unternehmen die Kredite gewährt haben, bleiben auf den Forderungen sitzen, müssen sie wertberichtigen und als Verlust ausweisen. Die Risikovorsorge aller deutschen Banken schnellte bereits 2001 auf knapp 20 Milliarden Euro empor. Nach den ersten Zahlen der Großbanken für das abgelaufenen Geschäftjahr dürften es im vergangenen Jahr locker 30 Prozent mehr werden. Denn Deutschlands größte Institute, die Deutsche Bank und HypoVereinsbank, mussten ihre Risikovorsorge fast verdoppeln.

Das Fatale an der schwierigen Situation der Banken ist das Wechselspiel mit der realen Wirtschaft. Je mehr Kredite die Banken abschreiben müssen, desto weniger reichen sie heraus. Sie scheuen das Risiko, zerstören damit aber gleichzeitig potenzielles Wachstum und tragen so zu der Verschärfung der Wirtschaftskrise bei. Ein Teufelskreis, aus dem sich Banken und Unternehmen nicht selbst befreien können.

Viele Mittelständlern und Selbstständigen haben das Nachsehen. Sie bekommen kein Geld für ihre Investitionen. Dieses Phänomen bezeichnet man landläufig als Kreditklemme. Doch davon wollen die Bankenvertreter nichts wissen. Sie verweist lieber auf das schwache wirtschaftliche Umfeld, was eine geringere Nachfrage der Unternehmen nach Krediten erkläre. Dabei reicht ein Blick in die Bundesbankstatistik um sie zu widerlegen: Das Kreditvolumen an Unternehmen und Selbstständige schrumpfte im abgelaufenen Jahr um knapp 20 Milliarden Euro. Seit 1968, seit die Bundesbank die Zeitreihe ermittelt, ist das der erste signifikante Rückgang. Aber Rezessionen gepaart mit schwacher Kreditnachfrage gab es in den 35 Jahren zuhauf.

Die Banken sind längst zum Risiko für die Volkswirtschaft geworden, vor allem die Großbanken. Doch ihnen bleibt nichts anderes übrig, als sich gesund zu schrumpfen und zu hoffen. Alle drei noch selbstständigen Großbanken haben im vergangenen Jahr Reserven gehoben, Kredite aus der Bilanz gekehrt, Mitarbeiter entlassen, Sparten verkauft und Abteilungen geschlossen. Ihr einziges Ziel lautet: Überleben, den Wettlauf mit der Zeit gewinnen. Die wichtigste Kennzahl: eine hohe Kernkapitalquote. Jede Bank muss darauf achten, dass die ausgereichten Kredite samt anderer Risikoaktiva in ihrer Bilanz zumindest mit vier Prozent Eigenkapital gedeckt sind. Das schreiben die internationalen Regeln vor. Doch erst ab einer Kernkapitalquote nahe sieben wird’s entspannt. So sehen das vor allem die Ratingagenturen.

Und die Vorstände fürchten nichts so sehr wie weitere Herabstufungen ihrer Kreditwürdigkeit. Denn damit verteuert sich die Refinanzierung. Mit den Refinanzierungskonditionen steht und fällt aber das Bankgeschäft. Kann sich die Bank selbst nicht günstig Kredite verschaffen, fällt sie im Wettbewerb zurück oder muss die Geschäfte zu kaum auskömmlichen Margen machen. Die hohen Kernkapitalquoten stellen einen Puffer dar, für all die Unbill, die man noch nicht vorhersehen kann.

Wie dramatisch die Deutschbanker die Zukunft einschätzen, lässt an der auf 9,6 Prozent gestiegenen Kernkapitalquote der Bank ablesen. Auch die Commerzbank hat im vergangenen Jahr alles getan, um möglichst über 7 Prozent zu gelangen und landete Ende des Jahres bei 7,6. Die beiden Institute haben sich für ein weiteres Horrorjahr gewappnet. Vor Kraft und Tatendrang strotzen sie nicht.

Die HypoVereinsbank (HVB) hat dagegen den größten Teil des Weges noch vor sich, wenigstens eine Position zu erreichen, die es ihr erlaubt abzuwarten und auf bessere Zeiten zu hoffen. Denn sie bringt es nur auf eine bescheidene Kernkapitalquote von 5,6 Prozent, weil sie mit Kreditforderungen in Höhe von 400 Milliarden Euro der größte Gläubiger Europas ist. Neue Kredite kann sie kaum vergeben, da das ihre Quote weiter drücken würde. Der neue Chef Dieter Rampl will auch in Richtung sieben Prozent, muss dafür aber seinen Konzern kräftig entschlacken. Das ist nicht leicht. An frisches Kapital ist nicht zu denken.

Die Aktionäre, allen voran die ebenfalls klamme Hauptaktionärin Münchener Rück, weigern sich, dem Wertvernichter neues Geld zu geben. Deshalb heißt es auch in München: "Bereinigung des Kreditportfolios". Dafür sollen vor allem die Hypothekenkredite in eine neue, unabhängige Bank ausgegliedert werden. Die neue Bank soll in Form eines Aktiensplits an die Anteilseigner der HVB abgegeben werden. Allerdings braucht die Bank gewisse Garantien, damit das auf sie zu übertragene Risiko halbwegs abgeschirmt ist. Das kostet wieder Geld. Auf rund 3 Milliarden Euro schätzt Rampl die Risikovorsorge im laufenden Jahr inklusive der Garantien für den Ableger. Diese Kosten könne die HVB stemmen, wenn das Wirtschaftswachstum in Deutschland ein Prozent betrage, sagte Rampl. So hoch wird das Wachstum nicht ausfallen. Bleiben Verkäufe zum absehbaren Verlustausgleich. Doch die einst wertvollen Beteiligungen an Münchener Rück (13,3 Prozent) und Allianz (knapp 5 Prozent) haben sich in stille Lasten gewandelt. Der Crash am Aktienmarkt hat beide Beteiligungen unter den Einstandskurs gedrückt. Würde die HVB sie jetzt verkaufen, entstünden rund 2 Milliarden Euro Verlust. Zur Jahresmitte 2002 hätte sie noch Reserven in Höhe von 4 Milliarden Euro gehoben. Zu spät. Der letzte Notnagel sind die Töchter Norisbank und die Hamburgische Vereins- und Westbank. Mit ihrem Verkauf ginge zwar Geschäft verloren, aber sie spülten wenigstens Geld in die Kasse.

Die Situation ist alles andere als angenehm, nicht nur für die HVB. Und natürlich sind die großen Banken nicht nur Opfer der Börsen- und Konjunkturkrise. Ihre Vorstände haben in den 90er Jahren so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Getrieben vom Größenwahn wurde expandiert ohne klare Fokussierung und ohne die Kosten und Risiken im Griff zu halten - in Lateinamerika, Asien und Osteuropa, im extrem teuren Investmentbanking, Onlinebanking und Aktienhandel. Es wurden Überkapazitäten aufgebaut und die Konsolidierung verschlafen.

Noch immer gibt es in Deutschland mehr Bankfilialen als Bäckereien. Das Problem ist immerhin erkannt. Und seit zwei Jahren wird auch gehandelt. Aber die wegbrechende Konjunktur und die taumelnden Börsen, deren Kursrückgang nur mit den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts verglichen werden kann, machen es fast unmöglich, dass sich die Banken am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen.

Erschwerend kommt für die deutschen Banken hinzu, dass sie keine Bundesbank mehr haben, die die Zinsen auf das für sie angemessene Niveau senken kann. Die EZB macht für die ganze Eurozone Geldpolitik. Für Deutschland mit seiner rezessiven Wirtschaft und niedrigen Inflation sind die EZB-Zinsen Gift.

Bei dieser Gemengelage kann nur der Staat helfen. Und zwar nicht mit Strukturreformen, wie sie landauf, landab gefordert werden. Sie mögen langfristig für Wachstum sorgen, doch so viel Zeit bleibt den Banken nicht. Denn zunächst führen die Strukturreformen zu weniger Wachstum, zumal in der wirtschaftlich schwachen Verfassung der deutschen Volkswirtschaft. Wird der Kündigungsschutz gelockert, gibt es erst mal mehr Arbeitslose. Wird die private Altersvorsorge neben die gesetzliche Rente gestellt, wird erst mal mehr gespart. So schätzt das DIW, dass die Vertragsabschlüsse zur Riesterrente allein im Dezember den Konsum um 0,6 Prozent haben einbrechen lassen und das Bruttosozialprodukt um 0,2 Prozent.

Gefragt sind Konjunkturprogramme, damit die Wirtschaft endlich wieder ansehnlich wächst, die Kredite nicht notleidend, sondern zurückgezahlt werden. Doch das hat der Finanzminister noch nicht verstanden. Er klammert sich an den Stabilitätspakt und versucht die Neuverschuldung zu begrenzen. Diese Politik ist langfristig durchaus richtig. Nur zur Zeit eben fatal. Hans Eichel erhöht die Steuern und Abgaben, um die konjunkturell wegbrechenden Einnahmen auszugleichen. Das Ergebnis: Noch mehr Konsumzurückhaltung, noch weniger Wachstum oder besser Rezession. Gegen diesen Teufelskreis hat selbst ein gesundes Bankensystem kaum eine Chance.

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