innenansichten des IWF
Ulrike Heike Müller, Berlin, Mai 2002

Der Internationale Währungsfond IWF gilt Kritikern der Globalisierung als der Beelzebub des Weltkapitalismus schlechthin. Ausgerechnet der ehemalige Chefökonom der Weltbank, Joseph Stiglitz, zeigt in seinem Buch "Die Schatten der Globalisierung", dass die Kritik berechtigt ist.

Geheimniskrämerisch, undemokratisch, marktwirtschaftlich fundamentalistisch. Keiner fühlt sich geschmeichelt, wenn ihm ein solches Verhalten nachgesagt wird. Andererseits bedarf es einer ordentliche Portion Mut, derartige Vorwürfe zu erheben. Denn die wollen ordentlich begründet sein.

Joseph Stiglitz traut sich das. In seinem neuen Buch „Die Schatten der Globalisierung“ wirft er das alles dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vor. Neu ist diese Kritik nicht. In linken Kreisen, zumal in globalisierungskritischen, gehört sie seit langem zum Standardrepertoire. Pikant ist das vernichtende Urteil des unscheinbaren kleinen Mannes mit dem schwarzen Rauschebart und der runden Nickelbrille dennoch. Denn Stiglitz gehört zu den wenigen, die den IWF von innen kennen und aus dem Nähkästchen plaudern: Von 1993 bis 1997 beriet er die Clinton-Regieung in Wirtschaftsfragen. Anschließend war er Chefökonom der Weltbank. Die soll das Wachstum in den Entwicklungsländern ankurbeln und so die Armut verringern. In beiden Ämtern arbeitete Stiglitz eng mit IWF-Experten zusammen – und geriet immer wieder mit ihnen aneinander. Zu verschieden waren die Auffassungen, welche politischen und ökonomischen Maßnahmen hilfsbedürftigen Ländern gut tun. Stiglitz konnte seine Positionen in den fest gezurrten Machtstrukturen nicht durchsetzen. Deshalb trat er 1999 als Chefvolkswirt der Weltbank zurück. Seine Genugtuung: 2001 erhielt er für seine Analyse unvollkommener Märkte den Nobelpreis für Wirtschaft. Heute lehrt er an der Columbia University in New York.

Kritik eines Globalisierungsbefürworters

Stiglitz ist kein Gegner der Globalisierung. Im Gegenteil. Als Ökonom ist er überzeugt, dass sie dazu beitragen kann, weltweit für wirtschaftliche Stabilität zu sorgen und allen Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen – unter der Voraussetzung, dass der Wohlstand gerecht verteilt wird. Wird er aber nicht. Nach Studien der Weltbank stieg die Zahl derjenigen, die in Armut leben, in den neunziger Jahren weltweit um fast 100 Millionen. „Um zu verstehen, was schief gelaufen ist“, schreibt Stiglitz, „muss man die drei wichtigsten Institutionen betrachten, die die Globalisierung lenken: den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank und die Welthandelsorganisation.“

Die Menschen in Indonesien waren verbittert, als der IWF dem Land einen Milliardenkredit gewährte mit der strengen Auflage, dass mit dem Großteil des Geldes Forderungen privater Kreditgeber aus den Industrieländern zu bedienen seien. Gleichzeitig wurden den Armen Brennstoff- und Nahrungsmittelsubventionen gestrichen, weil dafür kein Geld da war. „In mehreren Krisenländern“, schreibt Stiglitz, „bezeichnen gewöhnliche Menschen, aber auch Regierungsvertreter und Geschäftsleute den wirtschaftlichen und sozialen Sturm, der über ihre Nationen hinwegfegte, schlicht als 'der IWF‘ – so wie man 'die Pest‘ oder 'die Weltwirtschaftskrise‘ sagen würde.“

In diesem Buch schreibt sich Stiglitz seine Enttäuschung über die himmelschreienden Ungerechtigkeiten von der Seele, die der IWF im vergangenen Jahrzehnt zementiert hat. Das macht die Lektüre schwer, zumal eine systematische Struktur nicht erkennbar ist. Wer das aushält, wird belohnt. Denn Stiglitz übt seine Kritik nicht auf abstraktem wissenschaftlichen Niveau, sondern macht sie an Einzelbeispielen aus seiner Praxis begreifbar. Vor allem verdeutlicht er Macht- und Denkstrukturen, die den Prozess der Globalisierung steuern.

Die fatalen des Folgen des "Washington Consensus"

Die Kritik am so genannten „Washington Consensus“ durchzieht das Buch wie ein roter Faden. Vor allem der IWF pries in den neunziger Jahren drei wirtschaftspolitische Leitlinien als den allein selig machenden Weg zu Wachstum und Entwicklung:
- weniger Staatsausgaben,
- Privatisierung und
- Marktöffnung.
Jenes neoliberale Dogma setzte laut Stiglitz vor allem das US-Finanzministerium durch. Letzteres nimmt für die USA die Stimmrechte im IWF wahr. Mit dem Vetorecht, das die USA wegen ihrer hohen Einzahlungen in den Fonds als einzige Nation besitzen, können sie alle Entscheidungen blockieren und so letztlich ihre Interessen durchsetzen.

Stiglitz ist der Meinung, dass diese Leitlinien durchaus nützlich sind - sofern sie sachgerecht umgesetzt werden. So hat beispielsweise die Geschichte gezeigt, dass Länder nicht dauerhaft über ihre Verhältnisse leben können, fiskalische Disziplin also unerlässlich ist. Aber ihn stört, dass so „letztlich eine kleine Minderheit auf Kosten der großen Mehrheit, die Wohlhabenden auf Kosten der Bedürftigen, begünstigt“ wird. „In vielen Fällen haben Handelsinteressen die Sorgen um Umwelt, Demokratie, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit in den Hintergrund gedrängt.“ Anders als der IWF sieht Stiglitz wirtschaftspolitische Maßnahmen immer in einem umfassenden, vor allem sozialen Kontext. Und obwohl die Wirtschaftstheorie bereits nützliche Alternativen parat hatte, empfahl der IWF weiterhin seine alten Standards.

Wegen seiner einseitigen ideologischen Ausrichtung versteht der Währungsfonds nicht die Rolle des Staates. Stiglitz findet es richtig, dass der Staat in der Krise selbst kräftig investiert und eine expansive Geldpolitik betreibt, um die Zinsen niedrig zu halten und so private Investitionen und Wachstum zu stimulieren. Nichts anderes tut Alan Greenspan, der Chef der US-Notenbank. Doch der IWF verordnet allzu häufig das Gegenteil. Die ostasiatischen Länder etwa erwirtschafteten vor ihrer Krise Ende der 90-er Jahre Haushaltsüberschüsse, und sie hatten auch keine Inflationsprobleme. Für jene Staaten war das rigorose Zusammenstreichen der Staatsausgaben kein geeignetes Mittel, um die Ostasienkrise schnell zu bewältigen. Thailand zum Beispiel hielt sich penibel an die Empfehlungen des IWF. Dennoch lag sein Bruttoinlandsprodukt drei Jahre nach Ausbruch der Krise noch 2,3 Prozent unter dem Niveau vor der Krise.

Nur beiläufig erwähnt Stiglitz, warum diese auf Keynes zurückgehende Idee in den vergangenen Jahrzehnten in Verruf geriet. Weil nämlich die Rückzahlung der Schulden, die der Staat in der Krise zur Ankurbelung der Konjunktur macht, in guten Zeiten regelmäßig zu kurz kam. So häuften sich gigantische Schuldenberge an. Wer sich verantwortungsvoll für eine solche Ausgabenpolitik einsetzen will, sollte auch Ansätze mitliefern, die die Rückzahlung sichern.

Stiglitz glaubt an ein komplementäres und partnerschaftliches Verhältnis von Markt und Staat. Das lässt sich auch mit der ökonomischen Theorie belegen: „Die Märkte stehen zwar im Zentrum der Volkswirtschaft, aber der Staat spielt eine wichtige, wenn auch begrenzte Rolle. Der Staat kann nicht jedes Marktversagen beheben, und Märkte können nicht von sich aus jedes soziale Problem lösen. Ungleichheit, Arbeitslosigkeit, Umweltverschmutzung sind Probleme, bei deren Lösung dem Staat eine wichtige Rolle zufällt.“

Ausführlich beschäftigt sich Stiglitz mit der Forderung des IWF, dass Entwicklungsländer ihre Waren- und Finanzmärkte für ausländische Investoren öffnen sollen. Dabei zieht er den historischen Vergleich mit den Industrieländern. Die meisten bauten ihre Wirtschaft auf, indem sie selektiv und umsichtig einige ihrer Wirtschaftszweige so lange abschirmten, bis sie stark genug waren, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Die westeuropäischen Länder zum Beispiel regulierten ihre Kapitalströme bis in die 70-er Jahre. Dieses Recht billigt Stiglitz auch den Entwicklungsländern zu. Zumal die Industrieländer selbst noch immer zu protektionistischen Maßnahmen greifen: Seit kurzem erheben die USA Zölle auf Stahlimporte, um ihre heimischen Produzenten vor dem internationalen Preiskampf zu schützen.

Sanfte statt harte Privatisierung

Im Gegensatz zu den harten Privatisierungsschnitten, für die sich der IWF stark macht, setzt Stiglitz auf sanfte Privatisierung. Um einen funktionsfähigen Wettbewerb zu schaffen, plädiert er statt einer Schocktherapie für eine bedächtige Einführung von Marktpreisen. Gleichzeitig sollten die grundlegenden Institutionen einer Marktwirtschaft aufgebaut werden: gesunde Banken, die Kredite an Firmen vergeben, ein Rechtssystem, das die Einhaltung von Verträgen und geordnete Konkursverfahren regelt, eine Banken- und Börsenaufsicht, ein funktionsfähiges Steuersystem. Vor allem aber ein soziales Sicherungsnetz, das denjenigen, die durch den wirtschaftlichen Umbau ihren Job verlieren, weiterhin ein menschenwürdiges Dasein ermöglicht. Das alles wurde zum Beispiel in Russland viel zu wenig bedacht. Die IWF-Kredite, die das Land im Juli 1998 erhielt, waren schädlich, glaubt Stiglitz. Sie brachten „breite Bevölkerungsschichten an den Bettelstab und stützten einen hohen Wechselkurs, der Gift für die Wirtschaft war. Das alles hält bis heute Gruppen an der Macht, deren Korruptheit offen zu Tage tritt.“

Die Fehler, die der IWF bei der Bewältigung der Ostasienkrise machte, gestand dieser mittlerweile größtenteils ein. Das führte aber noch nicht zum Umdenken. Erst nach den schmerzlichen Erfahrungen in Russland, Brasilien und Argentinien erklärten IWF und die G-7-Staaten einhellig, dass in Zukunft Konkursmöglichkeiten und Moratorien, also das kurzfristige Aussetzen des Schuldendienstes, und sogar temporäre Kapitalverkehrskontrollen in kritischen Zeiten eine größere Rolle spielen sollen.

Gegenbeispiel Malaysia

Wie heilsam zeitweilige Kapitalverkehrskontrollen sein können, zeigt Stiglitz am Fall Malaysia. Statt dem IWF-Muster zu folgen, dass zur Behebung der Krise höhere Zinsen und weniger Staatsausgaben vorsah, belegte das Land ein Jahr lang grenzüberschreitende Kapitalflüsse mit einer Steuer. „Während dieser Zeit sanierte Malaysia seine Banken und Unternehmen und widerlegte damit ein weiteres Mal seine Kritiker, die gesagt hatten, dass Staaten erst unter der heilsamen, von offenen Kapitalmärkten ausgeübten Disziplin ernsthafte Schritte zur Strukturbereinigung ergreifen würden“, schreibt Stiglitz. Es ist kein Zufall, dass die beiden großen Entwicklungsländer, die von den Auswirkungen der Ostasienkrise verschont blieben – Indien und China – Kapitalverkehrskontrollen hatten.

Stiglitz ist überzeugt, dass diese alternativen Strategien den Menschen in den Krisenregionen weniger Lasten auferlegt hätten, die Gläubiger wären sie jedoch teurer gekommen. Genau hier liegt das eigentliche Problem. Die politischen Empfehungen des IWF sind geprägt von US-Finanz- und Handelsinteressen. So waren die Milliardenkredite an Russland eine Rettungsaktion ebenso für die westlichen Banken wie für Russland selbst. Damit sich diese Interessen nicht hinter verschlossenen Türen durchsetzen, verlangt Stiglitz eine demokratische Kontrolle des IWF und der anderen internationalen Wirtschaftsorganisationen. So könnten sich die Menschen besser über deren Aktivitäten informieren. Und er fordert ein Mitbestimmungsrecht für jene, die von den Maßnahmen betroffen sind.

Stiglitz schaut bei seiner Analyse durch keine ideologische Brille. Säßen Freigeister wie er am Ruder der großen internationalen Wirtschaftsorganisationen – die Welt wäre ein ganzes Stück gerechter.

Joseph Stiglitz: Die Schatten der Globalisierung. 304 Seiten, Siedler Verlag, Berlin 2002, 19,90 Euro.

Kritik an Stiglitz gibt es in "An Open Letter to Joseph Stiglitz" von Kenneth Rogoff

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