geld für die welt
Uwe Richter, Witten-Herdecke, November 2003

In der Wirtschaftsheorie funktionieren freie Wechselkurse rational und berechenbar – in der Wirklichkeit lassen sie's krachen. Asien-Krise und Dollar-Crash konnten sie nicht verhindern. Höchste Zeit für eine globale Währungsunion

Zwei Sätze in einem kurzen Kommuniqué, zwei Selbstverständlichkeiten eigentlich, und doch bebten die Devisenmärkte. Der Dollar verlor binnen Minuten gegenüber dem Yen und dem Euro einige Prozentpunkte an Wert.

Die Botschaft des G7-Treffens in Dubai im September war unumstritten: Der Dollar muss weiter abwerten. Aber wie und wohin? Hier gab die Erklärung der sieben mächtigsten Wirtschaftsnationen, der G7, scheinbar eine klare Marschrichtung vor. Gefordert wurden „eine größere Flexibilität der Wechselkurse“, um eine reibungslose Anpassung des internationalen Finanzsystems zu fördern, und dass „die Wechselkurse die wirtschaftlichen Fundamentaldaten widerspiegeln sollen“. Diese Sätze könnten aus jedem Standardlehrbuch zur monetären Außenwirtschaftstheorie abgeschrieben sein. Doch die Aufregung an den Märkten im Anschluss an diese trivialen Sätze zeigt: Irgendetwas ist faul, an der Theorie und am Wechselkurssystem.

In der Theorie gleichen freie Wechselkurse die Ungleichgewichte zwischen Volkswirtschaften aus. Sie entwickeln sich gemäß den Fundamentaldaten wie etwa Inflations- oder Wachstumsraten. Die Währung einer stark expandierenden, sich womöglich überhitzenden Wirtschaft gewönne demnach kräftig an Wert. Das verteuerte die Exporte dieses Landes, was wiederum die Expansion bremsen, die Wirtschaft abkühlen würde. Problem gelöst.

Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Flexible Wechselkurse entwickeln sich erratisch. Nachdem 1973 das einst in Bretton Woods etablierte System fester Wechselkurse zusammenbrach, greifen die Notenbanken immer wieder in den Markt ein, um die Kurse wenigstens halbwegs in die richtige Richtung zu schubsen und dadurch Ungleichgewichte abzubauen oder gar nicht erst entstehen zu lassen. Aus dem gleichen Grund versuchen Regierungschefs ihre Währungen stark oder schwach zu reden – die Gipfel-Erklärungen der vergangenen dreißig Jahre zeugen davon.

Freie Wechselkurse haben die in sie gesetzten Hoffnungen nie erfüllt. Die unter Wissenschaftlern wohl am häufigsten zitierte Studie zur Erklärung von Wechselkursschwankungen stammt von den beiden amerikanischen Ökonomen Richard Meese und Kenneth Rogoff, zuletzt Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds. Sie hatten 1983 alle gängigen Wechselkursmodelle einem Test unterzogen. Das Ergebnis war ernüchternd. Weder Inflations- und Zinsdifferenzen, noch Wachstumsunterschiede oder Ungleichgewichte in den Handelsbilanzen konnten Wechselkursänderungen besser erklären als ein einfacher Zufallsmechanismus, der Random Walk. Dem Spaziergang eines Betrunkenen gleich, lässt der Random Walk die Kurse unvorhersehbar steigen und fallen. Bis heute ist es der Wissenschaft nicht gelungen, mittels noch so ausgefeilter Modelle und Verfahren dem Betrunkenen die Testsiegerplakette ernsthaft streitig zu machen.

Das ist kein Wunder. Denn Währungen werden von den Investoren als eigene Anlagekategorie betrachtet und enthalten wie alle Wertpapiere mit einer unsicheren Wertentwicklung ein spekulatives Element. Das Beispiel des berühmten Schönheitstests sagt daher mehr über die Kursbildung aus als alle volkswirtschaftlichen Modelle. Wie bei einem Preisausschreiben, bei dem es gilt, das Bild zu bestimmen, das von der Mehrheit der Leser einer Zeitschrift als das Schönste auserkoren wird, versuchen die Händler auf den Finanzmärkten nicht herauszufinden welcher Kurs der „richtige“ ist, sondern von welchem Kurs alle anderen erwarten, dass er von der Mehrheit erwartet wird. Es werden also Erwartungen über Erwartungen gebildet. Das führt zu einer Eigendynamik, die allen liquiden Finanzmärkten innewohnt. Schlimmer noch: Während Anleihen sich nicht endlos von der tatsächlich gemessenen Inflation frei machen können und Aktienkurse sich irgendwann an die tatsächlich erwirtschafteten Gewinne anpassen, fehlt den Wechselkursen über lange Zeiträume jeder Bezug zur Realwirtschaft. Es sind immer erst die Weltwirtschaftsgipfel, die diesen Bezug wiederherstellen müssen. Deshalb auch die Aufregung um den Dollar nach dem Gipfel in Dubai.

Die jüngere Währungsgeschichte ist voll von solchen Beispielen. 1985 etwa beschlossen die G5 im berühmten New Yorker Plaza-Hotel, dass der Dollar viel zu hoch bewertet sei. Tags drauf intervenierten die großen Zentralbanken massiv, um den Dollar zu schwächen. Das Signal wurde an den Märkten verstanden. Doch getreu dem Händler-Motto „The trend is your friend“ – „Alles, was zählt, ist der Trend“ –, ging die Abwertung des Dollar weit über das fundamental gerechtfertigte Niveau hinaus. Binnen wenigen Monaten verlor der Dollar gegenüber D-Mark und Yen fast die Hälfte seines Werts. Deshalb gab es nur 18 Monate später eine erneute Mahnung an die Devisenmärkte. Im Pariser Stadtschloss Louvre bezeichneten die Finanzminister und Notenbankchefs eine weitere Schwächung des Dollar als unerwünscht und versuchten einen Boden einzuziehen, was gelang.

Die enormen Probleme, die die wichtigste Währung der Welt mit der Erwartungsbildung an den Märkten hat, verdeutlicht, wie riskant unkontrolliert schwankende Wechselkurse sind. Weder kleine offene Volkswirtschaften, deren heimische Wirtschaft stark vom Außenhandel bestimmt wird, noch Entwicklungsländer mit kaum vorhandenen Finanzsektoren können sich dieses Risiko leisten. Sie sind zur Schaffung wachstumsfördernder Bedingungen geradezu gezwungen, ihre Währung durch Bindung und Kontrolle des Kapitalverkehrs zu stabilisieren.

Aber widersprechen Eingriffe in den internationalen Kapitalverkehr und die Einflussnahme auf die Wechselkursentwicklung nicht einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung?

Nein. Im Gegenteil, in den Marktwirtschaften der entwickelten Welt gibt es keinen Sektor, der so stark reguliert, ja durch öffentliche Institutionen wie die Kapitalmarkt- und Bankenaussicht und die Zentralbank geradezu gehegt wird wie den Finanzsektor. Das ist jedoch nicht das Ergebnis einer staatlichen Regulierungswut, sondern das Resultat eines zweihundert Jahre andauernden, oft schmerzhaften, durch Bankenkrisen gekennzeichneten Entwicklungsprozess. Die Lehren, die daraus gezogen wurden, sind im Wesentlichen drei. Erstens: Ein stabiles Banken- und Finanzsystem ist eine wesentliche Voraussetzung für das Wachstum einer arbeitsteiligen Wirtschaft. Zweitens: Finanzsysteme sind inhärent instabil, weil der Zusammenbruch einzelner Institute eine Kettenreaktion von Insolvenzen auslösen kann. Und drittens braucht ein Finanzsystem einen stabilen Währungsstandard damit die Vermögensbesitzer überhaupt bereit sind, Geldvermögen zu halten.

Lassen sich diese Lehren auf die Weltwirtschaft als Ganzes übertragen? Durchaus. Die Liberalisierung des Kapitalverkehrs und die Schaffung einer offenen Welthandelsordnung sind kein Selbstzweck. Sie werden mit der Hoffnung auf Prosperität für die Menschen der beteiligten Länder begründet. Die wohlfahrtssteigernden Effekte, die man sich von der zunehmenden Integration der Weltwirtschaft erhofft, werden aber immer wieder von Währungs- und Finanzkrisen erschüttert, die sich dann wie Grippeviren verbreiten. In diesem Phänomen der Ansteckung spiegelt sich die Instabilität des herrschenden internationalen Finanzsystems am deutlichsten wider. Seit den G7-Gipfeln in Halifax 1995 nach der Mexiko-Krise und in Birmingham 1998 im Anschluss an die Asien-Krise steht zumindest die Stärkung einer internationalen Finanzmarktaufsicht ganz oben auf der Agenda der internationalen Organisationen.

Nur an die Frage der Stabilisierung der Wechselkurse trauen sich die Finanzminister und Notenbanker nicht heran. Sie beantworten sie indirekt mit Ad-hoc-Interventionen. So muss zumindest das Dubai-Kommuniqué verstanden werden. Doch damit wird die Unsicherheit an den Märkten erhöht statt gemindert. Dabei wäre die Schaffung eines stabilen Weltwährungsstandards der erste Schritt zu mehr Wohlstand und Effizienz. Denn die Wechselkursschwankungen verteilen nicht nur das Kapital ineffizient und führen damit zu verzerrten Produktionsstrukturen und Ungleichgewichten in den Handelsbilanzen. Erratische Wechselkursschwankungen erhöhen auch die Unsicherheit bezüglich des relativen Wertes von Finanzanlagen, die auf Yen, Dollar oder Euro lauten.

Warum also nicht den großen Sprung wagen und ein neues Währungssystem schaffen, das keine Kursschwankungen mehr kennt? Warum nicht ein System, das spekulative Kapitalflüsse erzeugt, durch ein System ersetzen, das der Weltwirtschaft einen stabilen Wertstandard gibt und so eine grundlegende Unsicherheit beseitigt? Paul Volcker, ehemaliger Chef der amerikanischen Notenbank und Vorgänger von Alan Greenspan, sieht hierin die logische Konsequenz für eine Welt mit zunehmend freiem Kapitalverkehr. Die stark schwankenden Wechselkurse zwischen den großen Währungen seien eine ernsthafte Gefahr, nicht nur für ein multilaterales offenes Handelssystem, sondern auch für die politische Harmonie zwischen den Ländern, meint Volcker. Mit dieser Meinung steht er nicht allein. Der Wirtschafts-Nobelpreisträger Robert Mundell, der sich schon in den siebziger Jahren für eine europäische Währungsunion ausgesprochen hat, hat kürzlich eine G3-Währungsunion vorgeschlagen zwischen Dollar, Yen und Euro.

Noch werden die Vorschläge weder von der Politik noch von den Notenbanken ernsthaft diskutiert. Dabei hätten sie allen Grund dazu. Denn das Schreckensszenario für die Weltwirtschaft, der Kollaps des Dollar, ist ein Szenario, das jede Investmentbank in ihren Studien durchspielt.

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