darwin's end?
Niels Boeing, Hamburg, August 2005

Nicht nur in den USA schlagen Wissenschaftler Alarm angesichts von Versuchen, die "Intelligent-Design"-Hypothese (ID) in die Lehrpläne von Schulen und Universitäten zu bringen. Denn die behauptet, eine - im Unterschied zum christlichen Kreationismus - wirklich wissenschaftliche Alternative zur Darwin'schen Evolutionsbiologie zu sein: Eine intelligente Kraft forme den Lauf der Evolution. So viel Aufregung ist gar nicht nötig: Man kann die ID-ler mit ihren eigenen Waffen schlagen.

In den USA wird erbittert über den Vorstoß der Intelligent-Design-Hypothese in die Lehrpläne von Schulen nicht wirklich Universitäten gestritten, die die Darwin’sche Evolutionstheorie verdrängen will

Dass US-Präsident George W. Bush verstörende Ansichten hat, ist eigentlich nichts Neues. Liberale, Klimaschützer, Moslems, Pazifisten, sie alle können ein Lied davon singen. Vor zwei Wochen machte er sich weitere Freunde: In einem Gespräch mit Zeitungsreportern sprach er sich dafür aus, im Biologie-Unterricht an amerikanischen Schulen neben der Evolutionstheorie auch gleichranging die Hypothese des so genannten Intelligent Design zu behandeln. „Ich glaube, Teil der Erziehung ist es, die Menschen mit verschiedene Denkschulen in Berührung zu bringen“, begründete er seine Äußerung.

Der Aufschrei der naturwissenschaftlichen Gemeinde folgte prompt. Denn die Intelligent-Design-Hypothese (ID) ist nicht weniger als ein Frontalangriff auf die Grundlagen der modernen Biologie. Sie behauptet, dass die von Charles Darwin formulierten Grundprinzipien der Evolution, Mutation und Selektion durch die Umweltbedingungen, die Vielfalt des Lebens, wie es sich bis heute entwickelt hat, nicht erklären könnten. Stattdessen walte in der Evolution die Kraft eines intelligenten Designers – anders sei auch die ungeheure Komplexität irdischer Organismen nicht zu begründen.

Die Beunruhigung der Biologen ist um so größer, als Bush wie bei vielen heißen Eisen nicht einfach seine persönliche Meinung kundgetan hat. Die Äußerung ist nur das jüngste Beispiel für einen Trend, der Forschern seit längerem Kopfzerbrechen bereitet. In mehreren US-Bundesstaaten gibt es Vorstöße, ID im Schulunterricht zu etablieren, und an etlichen amerikanischen Universitäten finden bereits entsprechende private Workshops statt. Wissenschaftler sehen in ID aber ein besonders perfides Trojanisches Pferd, mit dem christliche Fundamentalisten ihren Schöpfungsglauben ein für alle Mal in den Wissenschaftsbetrieb einschmuggeln wollen. Denn bei dem „Designer“ handele es sich nur um eine vernebelnde Umschreibung für Gott, und ID sei nichts als der Versuch eines „Kreationismus light“ – also jener Lehre, nach der die Welt vor mehr als 6000 Jahren genauso erschaffen worden sei wie in der Bibel beschrieben.

Ein gut vorbereiteter Gegner

Nun hatte man den Kreationismus noch leicht als vorsintflutliches Weltbild abtun können. Doch mit ID ist die Sache etwas vertrackter, als viele naturwissenschaftlich gebildete Zeitgenossen wahrhaben wollen. Denn seine Verfechter argumentieren dem Wortlaut nach wissenschaftlich. „Im Gegensatz zum Kreationismus stellt Intelligent Design keine Anforderungen an irgendeine Schöpferintelligenz, die für das Fine-Tuning des Kosmos und biologische Komplexität verantwortlich ist. Die Theorie argumentiert einfach, dass bestimmte endliche Objekte Muster zeigen, die überzeugend auf eine intelligente Ursache deuten“, betont William Dembski, einer der führenden Vertreter der Bewegung. Ob es sich bei dieser Ursache um eine einzige oder mehrere handele, ob sie Teil der Welt sei oder transzendent, gut oder böse, liege außerhalb des Untersuchungsbereiches. Spricht da wirklich ein Wissenschaftler?

Tatsächlich handelt es sich bei den ID-Theoretikern diesmal nicht einfach um christliche Realitätsverweigerer, sondern auch um Biologen, Mathematiker und andere Forscher, die ihr wissenschaftliches Handwerk an Universitäten gelernt
haben. Einige haben es gar geschafft, Aufsätze in wissenschaftlichen Journalen zu publizieren – ein Umstand, der manchen Evolutionsbiologen zur Weißglut treibt. Doch mit Wut allein oder dem Hinweis darauf, dass ID wesentlich von konservativ-christlichen Gruppen gesponsert werde sei, dürfte dem Spuk diesmal nicht so leicht beizukommen sein.

Denn die ID-ler sind gut vorbereitet. Sie argumentieren nicht nur mit den Lücken der Evolutionstheorie und Verweisen auf Designvermutungen etwa in der Astrophysik, sondern auch mit philosophischen Kriterien von Wissenschaftlichkeit. Da ist es ihnen natürlich ein Leichtes, Vorwürfe, ID sei nur verbrämte Religion, als gewöhnliche Verleumdung abzutun, wie sie in der Wissenschaftsgeschichte seit Galilei im Wettstreit der Theorien immer wieder vorgekommen ist. Nehmen wir das Phänomen also für den Augenblick ernst: Was behauptet die Intelligent-Design-Hypothese, und kann sie das Etikett „Wissenschaft“ für sich beanspruchen?

Die vermeintlichen Anomalien der Evolutionstheorie

Der Frontalangriff auf die neodarwinistische Evolutionstheorie richtet sich nicht gegen das Faktum der Evolution selbst. „Die Frage ist nicht, hat es evolutionäre Veränderung gegeben, sondern: Was die Veränderung verursacht?“ schreiben William Harris und John Calvert vom ID Network in einem Überblick über die ID-Hypothese. Sie behaupten, die Prinzipien der zufälligen Mutation von Organismen und die Selektion derer, die sich am besten an eine sich verändernde Umwelt anpassen, könne die Abfolge der Arten im Laufe der Geschichte ebenso wenig befriedigend erklären wie die Bildung komplexer Organe oder die beeindruckende Biomaschinerie im Innern einer Zelle.

Als „Beweis“ führen sie drei Argumente ins Feld. Erstens fehlten zahlreiche Fossilien, die die Veränderung von Arten lückenlos belegen. Ein Umstand, den die Evolutionsbiologen gar nicht leugnen. Zweitens sei eine Evolution im Darwin’schen Sinne bislang weder beobachtet noch im Experiment demonstriert worden. Und drittens seien Organe wie das Auge oder das Flagellum, ein propellerartiger Schwanz, der Bakterien antreibt, „irreduzibel“ komplex. Das bedeutet, dass diese Organe nur dann funktionieren können, wenn gleichzeitig alle Einzelteile vorhanden sind. Eine graduelle Entwicklung, bei der nach und nach Teile hinzukommen, sei unmöglich, weil etwa ein unvollständiges Auge nicht gut genug funktioniere, um einem Lebewesen einen Vorteil im Konkurrenzkampf mit anderen Arten zu bieten.

Solche Erklärungslücken hat der Wissenschaftstheoretiker Thomas Kuhn „Anomalien“ einer Theorie genannt. Diese Anomalien können im Verlaufe der Forschung so übermächtig werden, dass die vorherrschende Theorie sie nur noch mit zahlreichen Hilfshypothesen erklären kann, die in der Theorie ursprünglich nicht enthalten sind. Gibt es eine Alternative, die die Anomalien aus einem Guss heraus erklären kann, wird sie die alte Theorie – nicht ohne harte Auseinandersetzungen in der wissenschaftlichen Gemeinde – schließlich ablösen. Das bekannteste Beispiel ist die Newtonsche Physik, die um 1900 nicht erklären konnte, warum die Lichtgeschwindigkeit im Universum konstant bleibt und warum die Bahn des Planeten Merkur um die Sonne Unregelmäßigkeiten aufweist. Einsteins Relativitätstheorie löste beide Probleme, in dem sie einen Kosmos beschreibt, der sich vom Newtonschen deutlich unterscheidet.

Die ID-Verfechter behaupten nun, dass nur die schöpferische Kraft eines intelligenten Designers die drei „Anomalien“ der neodarwinistischen Evolutionsbiologie beseitigt. Er bringe einen Plan in der Evolution zur Entfaltung, der neue Arten und komplexe Organe jedesmal quasi auf einen Streich hervorbringt. Dass bislang keine fossilen Zwischenschritte gefunden werden konnten, ist für ID logisch: Denn es gibt sie nicht.

Bewusste Verzerrung der Evolutionstheorie

Die scheinbar bestechende Einfachheit, eigentlich ein Zeichen für eine gute Theorie, gegenüber der „komplizierten“ neodarwinistischen Evolutionstheorie hat gleich mehrere Haken. Sie blendet bedeutende Entdeckungen der letzten Jahre einfach aus.

So gibt es sehr wohl Belege für neodarwinistische Evolution in Aktion. Ein Beispiel nennt der Konstanzer Evolutionsbiologe Axel Meyer: den Viktoriasee in Ostafrika. Der war vor 14.000 Jahren fast ausgetrocknet. „Seitdem sind dort rund 500 Fischarten entstanden, die nur dort vorkommen. Die haben sich in 14.000 Generationen entwickelt.“ Meyer verweist zudem auf das junge Forschungsgebiet der experimentellen Evolutionsbiologie. In Bakterienkulturen könnten inzwischen Veränderungen über eine Spanne von bis zu 50.000 Generationen beobachtet werden.

Wozu die Evolution imstande ist, wenn ein entsprechender Selektionsdruck durch äußere Einflüsse existiert, zeigt auch die Forschungsarbeit der US-Chemikerin Angela Belcher vom MIT. Sie arbeitet mit Viren, die aus einem Plasmidring mit Genen und einer Proteinhülle bestehen. Verändert man eins der Gene, entwickeln einige wenige Viren neue Proteine in der Hülle, an die sich Halbleiterionen anlagern können. Diese Viren werden herausgefiltert und vermehren sich. Wieder werden Halbleiterionen hinzugegeben, die sich im nächsten Schritt schon an mehr Viren anlagern. Nach einer Woche hat sich ein Virenstamm entwickelt, der aus den Halbleiterpartikeln entlang seiner Hülle hauchdünne Drähte bildet, die eines Tages in der Nanoelektronik genutzt werden könnten. „Es ist eine Art Darwin’scher Prozess: Wir suchen solche Viren, die unter Bedingungen überleben, die für uns interessant sind“, charakterisiert Belcher das Verfahren.

Die jüngsten Erkenntnisse der Genomik werfen ebenfalls ein neues Licht auf den Fortgang der Evolution. Schon in den siebziger Jahren fand man heraus, dass von Zeit zu Zeit in manchen Arten eine so genannte Verdoppelung des Genoms auftritt. Die Gene der Kopie haben die gleiche Funktion, bilden dann aber gelegentlich neue Proteine, die ganz neue Körperfunktionen hervorbringen. Mit denen kann sich mutierte Art besser an neue Umweltbedingungen anpassen. „Einige Evolutionsbiologen glauben, dass die großen Sprünge in der Evolution durch diese Genomduplikation ermöglicht worden sind“, sagt Axel Meyer. Diese Veränderungen müssen nicht unbedingt durch ein komplexes Genmuster ausgelöst werden. Mitunter könne schon der Funktionswandel eines einzigen Gens eine entscheidende Anpassung wirken. So hat man bei Fischen im antarktischen Ozean ein Gen entdeckt, das eine Art Frostschutzprotein erzeugt. Dieses fehlt bei Fischen in wärmeren Meeren.

Es gibt zahlreiche weitere Beispiele, die belegen, dass die Evolutionstheorie fast 150 Jahre nach Darwins Werk „Die Entstehung der Arten“ mehr denn je in der Lage ist, zuvor unverstandene Phänomene zu erklären. „Ein Forschungsprogramm schreitet fort, solange sein theoretisches Wachstum ... neue Tatsachen mit einigem Erfolg vorhersagt“, hat der Wissenschaftstheoretiker Imre Lakatos vor dreißig Jahren geschrieben. Ansonsten stagniere es. Das kann man von der Evolutionstheorie nicht behaupten. Die ID-ler tun es dennoch wider besser Wissen.

Kein wissenschaftliches Forschungsprogramm

Drehen wir nun den Spieß um. Was leistet die Intelligent-Design-Hypothese? Eine neue wissenschaftliche Theorie muss nach Lakatos ein konkretes Forschungsprogramm mit experimentellen Tests vorlegen, mit dem sie nicht nur die vermeintlichen Anomalien der älteren Theorie erklären kann, sondern auch die gut verstandenen Fakten. In beiden Fällen hat ID nichts zu bieten. „Intelligent Design kann nicht erklären, warum 99,9 Prozent aller Arten, die es in der Erdgeschichte gegeben hat, wieder ausgestorben sind, dies ist nicht nur kein Problem für darwinistische Evolution, ja Sie sagt es ja voraus“, sagt Meyer.

Auch kann ID bislang keine Experimente angeben, in denen sich ein Designer offenbaren müsste. Zwar hat etwa William Dembski den Entwurf eines Forschungsprogramms vorgelegt. Aber darin finden sich nur Aufforderungen, in Analogie zu den Ingenieurwissenschaften Simulationsverfahren zu entwickeln, mit denen das Wirken eines Designs am Computer demonstriert werden könnte.

Auch sonst sind die ID-ler am besten darin, Analogien zu bemühen. So verweisen sie darauf, dass es verschiedene Forschungsgebiete gebe, die sich explizit mit dem Aufspüren eines „Designs“ befassen. Die forensischen Wissenschaften, die Archäologie, die Steganographie suchten wissenschaftlich nach Spuren menschlichen Wirkens. Auch dieser Vergleich hinkt, denn bei den untersuchten Artefakten ist von vorneherein bekannt, dass sie von Menschen stammen, wohingegen ID ja erst zeigen muss, dass die Evolution ein Artefakt ist – sie setzt es aber immer schon voraus.

Als vermeintliche Komplizen müssen auch Physiker wie Paul Davies herhalten: „Es scheint, als habe jemand die Zahlen der Natur feinjustiert, um das Universum zu erzeugen“, zitiert Dembski den Briten. Es ist zwar richtig, dass die Kosmologie inzwischen erkannt hat, dass Sterne und mehr noch Leben auf der Erde nur deshalb existieren, weil die mathematischen Konstanten in den Gesetzen der Physik genau die Zahlenwerte haben, die man aus Experimenten herausdestilliert hat. Aber jeder Physiker weiß, dass Spekulation über den Ursprung dieser Werte reine Metaphysik ist und in einem Forschungsantrag nichts zu suchen haben, so intellektuell anregend sie auch sein mag.

Bleibt noch das berühmte Wissenschaftlichkeitskriterium, dass der Philosoph Karl Popper aufgestellt hat. Eine Theorie muss eine entscheidende Beobachtung angeben können, die sie „falsifiziert“, also widerlegt. Angenommen eine „Theorie“ behaupte, alle Schwäne seien weiß. Dies ist durch Millionen Beobachtungen weißer Schwäne nicht zu beweisen, weil immer noch die Möglichkeit bliebe, doch einen schwarzen Schwan zu sehen. Mit der Beobachtung eines einzigen schwarzen Schwans macht die Theorie hingegen zunichte.

Auf die Frage, wie ID zu falsifizieren wäre, antwortet Dembski: „Es würde reichen, wenn Wissenschaftler ein detailliertes nachprüfbares Modell anbieten, wie mittels des Darwin’schen Mechanismus Selektion und Mutation irreduzibel komplexe Systems wie das Bakterienflagellum geschaffen werden können.“ Das aber bedeutet: ID ist dann widerlegt, wenn die Darwin’sche Evolutionstheorie bewiesen ist – nach Popper eine logische Unmöglichkeit. Wie es aussieht, ist ID keine Wissenschaft, sondern bestenfalls Metaphysik, die nicht plausibler, dafür aber lange nicht so originell ist wie die Idee des britischen Schriftstellers Douglas Adams. In seinem legendären Buch „Per Anhalter durch die Galaxis“ entpuppt sich die Erde als riesiger kosmischer Computer, über den der intelligente „Designer“ höchstpersönlich wacht – in Gestalt weißer Mäuse.

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