anmerkungen zum
leben und wirtschaften

wags, 2004

Konstruktivismus
Wirtschaft
Rahmenbedingungen für menschliches Zusammenleben und dessen Gestaltung (Politik)
Entropie

Abgeschlossene und offene Systeme
Veränderung, Entropie, Unordnung, Temperatur, Redundanz
Leben
Fremdbestimmung und Selbstbestimmung

Besitz und Wachstum
Gewinner ohne Verlierer?

Konstruktivismus
(1) Wir machen uns ein Bild von der Welt.
(2) Diese Abbildung der Welt in ein Weltmodell wird zum Teil der Welt.
(3) Darum existierte vor der Abbildung eine andere Welt als nach der
Abbildung.
(4) Du bist also ein Gott. Dummerweise sind das alle Anderen auch.

Wirtschaft
[Definition von Wirtschaft]: Die Wirtschaft der Menschen ist der Prozess der Verteilung durch Menschen an Menschen dessen, was Menschen benötigen.
[Grundbedürfnisse]: Menschen benötigen als Lebewesen Zweierlei:
(1) Quellen, aus den sie nutzbare Energie (Energie mit niedriger Entropie) beziehen.
(2) Senken, in die sie nicht mehr nutzbare Energie (Energie mit hoher Entropie) abgeben.
Letztere Bedürfnisse sind exakt so wichtig wie erstere.
[Folgebedürfnisse]: Aus diesen beiden Grundbedürfnissen ergibt sich eine Vielzahl weiterer Bedürfnisse.
[Nachfrageverteilung]: Der Bedarf an Energieumsatz und Entropieabgabemöglichkeit ist über den Lebenszeitraum eines Menschen ungleichmäßig und zum Teil unvorhersagbar und von ihm unbeeinflussbar verteilt.
[Angebotsverteilung]: Wie die Nachfrage, so ist auch das Angebot in Raum und Zeit ungleichmäßig verteilt.
[Grund für das Wirtschaften]: Wegen der Ungleichverteilung von Angebot und Nachfrage in Zeit und Raum stellt sich überhaupt die Aufgabe der Verteilung.
[Bedingungen für das Wirtschaften]: Diese Verteilung findet nun in den Grenzen statt, die das ganze System hat, in dem diese Verteilung erfolgt. Dieses System ist unsere Biosphäre. Die Verteilungsmöglichkeiten darin sind wiederum von dem Energiedurchsatz und der Entropiebilanz zwischen diesem teilweise offenen System und seiner Umwelt bestimmt.
[Wachstum]: Energiedurchsatz und Entropiebilanz bestimmen, in welchen Systembereichen, zu welcher Zeit und in welcher Weise Wachstum möglich ist oder unmöglich ist.
Ist in einem gegebenen Wirtschaftssystem Wachstum erforderlich, reicht das nicht aus zur Begründung seiner Möglichkeit.

Rahmenbedingungen für menschliches Zusammenleben und dessen Gestaltung (Politik)
(1) Schwaches Wachstum auf niedrigem Niveau in der Vergangenheit, methodenbedingte Knappheit.
(2) Hohes Wachstum in der Gegenwart, methoden- und resourcenbedingter Überfluss.
(3) Schwaches Wachstum auf hohem Niveau in der Zukunft, resourcenbedingte Knappheit.
[Anmerkungen: (1) endet etwa um 1900 herum, (3) beginnt etwa um 2100 herum. Das Wachstum der Weltbevölkerung bis jetzt (Mitte von (2)) kann bereits gut mit der ersten Ableitung einer Sättigungsfunktion (hyperbolischer Tangens) angenähert werden.]

Entropie
[Entropie, normierte]:
(1) Stellen wir uns ein System vor, das aus vielen verschiedenen Elementen (real und/oder imaginär) besteht, deren Verhalten wegen ihrer Vielzahl statistisch beschriben werden kann und muß.
(2) Diese Elemente können jedes für sich verschiedene Zustände einnehmen.
(3) Es sind daher im System verschiedene Kombinationen von Zuständen möglich.
(4) Ist von diesen möglichen Kombinationen keine realisiert, dann kennzeichnen wir das mit einem Maß, das den Wert "Null" annimmt.
(5) Sind von diesen möglichen Kombinationen alle realisiert, dann kennzeichnen wir das mit einem Maß, das den Wert "Eins" annimmt.
(6) Sind von allen möglichen Kombinationen nur ein Teil realisiert, dann nimmt das Maß einen Wert zwischen Null und Eins an. Je mehr der möglichen Kombinationen realisiert sind ("besetzt" sind), desto höher wird der Wert dieses Maßes.
(7) Dieses Maß nennen wir "Entropie".
(8) Weil wir dieses Maß in einem Bereich zwischen Null und Eins normiert haben, haben wir hier eine "normierte Entropie". Dieses Maß hat keine Einheit.

Abgeschlossene und offene Systeme
Ein offenes System lässt sich betrachten als ein abgegrenztes System mit Schnittstellen zu einer Umgebung. Wenn wir uns auf die Offenheit eines Sytems berufen, dann müssen wir die Entropiebilanz an den Schnittstellen kennen.

Veränderung, Entropie, Unordnung, Temperatur, Redundanz
[entrepein]: Energieumsatz in einem abgeschlossenen System bedeutet "Veränderung von Energiezuständen" im System (nicht jedoch Veränderung der Summe der Energien im System). Den Namen "Entropie" leitete Rudolf Clausius aus dem griechischen "Verändern" ab. Je höher die Entropie, desto mehr Veränderung von möglichen Zustandskombinationen in realisierte Zustandskombinationen hat bereits stattgefunden. Entropie ist ein Maß für bereits stattgefundene Veränderung.
[Entropie, beängstigende]: "Dieser Begriff erfreut sich allgemeiner Unbeliebtheit und gilt als schwierig, vielleicht weil er zwar eine Bilanz- aber keine Erhaltungsgröße ist und sogar die ungewöhnliche Eigenschaft hat, zuzunehmen, und zwar um so mehr, je weniger man aufpasst," meint dazu Norbert Treiz in seiner "Brücke zur Physik" (1997, Kapitel 6.3). Oder wir lernen im Physikunterricht, Entropie sei ein Maß für Unordnung.
[Unordnung]: Wir brauchen nun keine Unordnung, um Entropie zu definieren. Sondern umgekehrt können wir mit Entropie die Unordnung erklären.
(1) Je "unordentlicher" ein System ist, desto mehr Aufwand muss getrieben werden, alle möglichen Kombinationen von Zuständen in dem System zu adressieren.
(2) Sind von diesen möglichen Kombinationen alle realisiert, dann erreicht die Entropie ihr Maximum.
(3) Bei maximaler Entropie ist der Aufwand zur Adressierung aller Zustände im System am höchsten.
(4) Demzufolge ist bei maximaler Entropie des Systems die Unordung im System am größten.
[Temperatur]: Wir brauchen auch keine Temperatur, um thermodynamische Entropie zu definieren. Sondern umgekehrt können wir mit Entropie und Energie die Temperatur erklären.
(1) Die konkreten Elemente (z.B. Moleküle) des Systems können verschiedene Energiezustände annehmen. Wenn sie das im System auch tun, dann ist die Entropie im System schon nicht mehr Null.
(2) Das Produkt aus Temperatur eines abgeschlossenen Systems mit der Entropie dieses Systems ist die Energie, die im System nicht für Energieumsatz verwendet werden kann. Je heißer das System und je höher die Entropie darin, desto weniger Energieumsatz ist im System möglich.
(3) In einem Maßsystem, in dem anstelle der Temperatur des betrachteten Systems die Wärme des Systems als Energie angegeben wird, kann Entropie als ein dimensionsloses Maß verwendet werden. Wird jedoch die Temperatur angegeben, dann kann die thermodynamische Entropie mit der Einheit Joule/Kelvin verwendet werden.
(4) Don't stay in the kitchen if you can't stand the heat.
[Redundanz]: Redundanz ist dagegen ein Maß für Veränderbarkeit.
(1) Entropie und Redundanz haben die gleiche Dimension. Die aktuelle Redundanz eines Systems ist die maximale Entropie des Systems abzüglich der aktuellen Entropie des Systems (Für die Informationstheorie ist der Zusammenhang von Entropie und Redundanz in ISO/IEC DIS 2382-16 definiert.)
(2) Redundanz ist Spielraum.

Leben
(1) Lebewesen sind Systeme, die ihre Redundanz aktiv steigern oder zumindestens erhalten.
(2) Solcherart definierte Lebewesen können nur in einer Umgebung entstehen, in die sie Entropie exportieren können.
(3) Das Vorhandensein einer entsprechenden Umgebung macht die Entstehung solcher Lebewesen wahrscheinlich.
(4) Vermehrung ist nicht ein Sinn des Lebens, sondern ein Trieb.
(5) Die Erzeugung von Lebewesen durch Lebewesen ist eine Form der Redundanzsteigerung einer Spezies. Diese Vermehrung erhöht die Fähigkeit einer Spezies, Entropie zu exportieren. (Es entsteht mehr zum Export notwendige Speziesoberfläche pro Speziesmasse). In Umwelten, in denen evolutionäre Entwicklung entropieexportierender Systeme möglich ist, entwickeln sich eben auch die notwendigen Mechanismen zum Entropieexport. Einer dieser Mechanismen ist die Vermehrung.
(6) Das Leben hat keinen Sinn, aber Ursachen.
(7) In der Sinnlosigkeit machen wir Sinn.

Fremdbestimmung und Selbstbestimmung
"Das Ineinander zweier heterogener Ursprünge [Notwendigkeit der Gemeinschaftsarbeit, der Kampf zwischen Mensch und Mensch] bleibt der Grundcharakter des Herrschens. Daher wird auch alle irgendwo in Grenzen gelingende wahre Gemeinschaft aus gemeinsamem Zweck doch anderswo als Theorie ein Täuschungsmittel zur Interpretation und Verschleierung der tatsächlichen Gewalt. Immer wieder werden die Dinge durch ihr Gegenteil benannt und verborgen. So wird in dem Schein der Kommunikation - der offenen Aussprache - ausgehorcht und befohlen, im Schein der Freiheit und Freiwilligkeit erzwungen, im Mantel des reinsten Ethos das Böse vollzogen, im Schein der Wahrheit gelogen und betrogen, und alle jeweils gültigen Werte werden je nach Situation in Anspruch genommen oder ignoriert." Karl Jaspers, Von der Wahrheit, 1948 (2.Teil, 3.Kap., II, B, 3, b)
Die Möglichkeit zu selbstbestimmtem Handeln der Menschen einerseits und die Existenz fremdbestimmter Ungleichverteilung der Herrschaft über Resourcen andererseits sind Tatsachen, die die Grenzen von "Freiheit und Freiwilligkeit" bestimmen. Der Mensch kann seinen Geburtsort, sein Elternhaus, sein Geschlecht, sein Startkapital, seine Kaste usw. nicht selbst bestimmen. (Dem entgegenstehende religiöse Dogmen dikutiere ich hier nicht. Sie schaffen keine Begründungen, sondern sie werden für Begründungen geschaffen.) Das Leben beginnt also schon mit Ungleichheit. Schon bei der "Wahl" des Zeitpunktes und der Ortes der Geburt gibt es Gewinner und Verlierer. Daraus resultiert sowohl der Kampf selbst wie auch seine Legitimation. Je ungleicher die Startchancen, desto berechtigter fühlen sich die Beteiligten, ihn mit tödlichen Waffen zu führen. Diesen Kampf in Grenzen zu halten ist eine Zivilisationsleistung. Aber "die gegenwärtigen und künftigen Leistungen des kapitalistischen Systems [sind dergestalt], daß ... gerade sein Erfolg die sozialen Einrichtungen, die es schützt, untergräbt." (J.A.Schumpeter, 1942).
Krasse Fremdbestimmtheit (durch natürlichen Zufall und menschliche Willkür) einzelner Benachteiligter mit den Mitteln sozialen Einrichtungen zu dämpfen, ist eine Gemeinschaftsleistung, die allerdings auf alle weniger Benachteiligten wiederum fremdbestimmend wirkt. Sie müssen Kosten tragen, z.B. sogenannte "Lohnnebenkosten". Die Menschen können aber durch die Wahl eines geeigneten Arbeitspunktes zwischen rein zufälliger und streng geplanter Fremdbestimmung den Raum für individuelle Selbstbestimmung optimieren. Demokratien sind hier nachweislich am erfolgreichsten. Sie schützen sowohl vor dem Verlust des eigenen Besitzes wie auch vor der übermäßigen Beeinträchtigung des eigenen Lebens durch den Besitz Anderer.

Besitz und Wachstum
Leben und Wachstum von Organismen (Menschen, Gesellschaften, Unternehmen usw.) ist prinzipiell nicht ohne Entropieexport (also ohne Belastung der Umgebung des lebenden und wachsenden Organismus) möglich. Entsprechend kann auch Kapital nur unter Entropieabgabe wachsen. Das wirkt fremdbestimmend auf die Umwelt, in der es wächst. Darum steht wachsender Besitz nicht nur in Beziehung mit dem Besitzer, sondern auch in Beziehung mit der Umgebung des Besitzes, die dann als Entropiesenke genutzt wird. Die Notwendigkeit einer Entropiesenke außerhalb des Organismus (z.B. des eigenen Unternehmens) begründet den Grundkonflikt zwischen lebendem Individuum und Umwelt. Auch diese Art der Fremdbestimmung zu verschleiern ist ein Mittel zur Erhaltung und zum Ausbau von Macht, von Fremdbestimmung, von tatsächlicher Gewalt über die Umwelt.
Ausschließliche Sache des Besitzers ist nur jener Besitz, der in keinerlei Wechselwirkung mit seiner Umwelt steht. Daß Wachstum und Entropieexport (Negentropieimport) untrennbar miteinander verbunden sind (Schrödinger, Wolkenstein), liefert gewissermaßen die thermodynamische Grundlage der Artikel 14 und 20a unseres Grundgesetzes. Eigentum ist sowohl mit Rechten wie auch mit Pflichten verknüpft. Wer für sein Eigentum und sein Kapital (welcher Art auch immer) Wachstum erzielt, bedient sich dafür immer seiner Umwelt. Des Einen Selbstbestimmung ist der Anderen Fremdbestimmung. Wer sich auf die Negentropienachfuhr in das offene System Erde beruft, muß sie kennen. Aus dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik ergibt sich, daß es Win-Win nicht gibt, sondern bestenfalls Win-Win-Lose: Wenn zwei Seiten gewinnen, dann verliert eben die dritte Seite. Diese dritte Seite und ihre Möglichkeiten zur Negentropienachfuhr nicht kennen zu wollen, mag das Geheimnis manches mit dem Negentropieverlust Dritter ereichten Geschäftserfolges sein. Jedes Geschäft, daß wirklich der einen Seite Gewinn und der anderen Seite einen Mehrwehrt bringt, ist mit Entropieexport an Dritte verbunden. Geschäfte ohne Entropieexport sind eine Dummheit. Sich den damit verbundenen Entropieimport nicht bezahlen zu lassen (z.B. mit Mehrwertsteuern, "Öko"-Steuern usw.) wäre jedoch eine Dummheit der dritten Seite.

Gewinner ohne Verlierer?
Es geht nicht darum, eine heile Welt ohne Gewinner und Verlierer zu schaffen, sondern darum, daß Ausmaß des Gewinnens und Verlierens besser beobachten zu können. In Verleugnung des Kampfes wird argumentiert, daß
(1) eine steigende Ungleichverteilung niemandem schade, wenn mit ihr ein allgemein steigender Wohlstand einherginge (Gewinn für alle). Oder:
(2) Die wirtschaftliche Verbesserung eines Einzelnen sei positiv zu bewerten, solange Andere dadurch nicht schlechter gestellt würden (Gewinn ohne Verluste).
Die Anwendung dieser beiden Kriterien (letzteres von Pareto) ist außerdem wegen der erforderlichen sorgfältigen Auswahl und Gewichtung der in diese Kriterien eingehenden Daten gar nicht so einfach. Insbesondere muß bei absoluter, aber unterschiedlicher Verbesserung der wirtschaftlichen Situation aller einzelnen Marktteilnehmer deren relative Repositionierung im Wettbewerb untereinander bewertet werden.
Die Anwendung des Pareto-Kriteriums ist aber eigentlich sowenig nötig wie das Leugnen der Tatsache, daß mit steigender Macht eines Menschen die Macht der anderen relativ sinkt. Dieser Kampf ist zumutbar, wenn wir weit genug von den Schmerzgrenzen der Ungleichverteilung entfernt bleiben. Dazu (und um die Schmerzgrenzen abstecken zu können) müssen wir die Ungleichverteilung jedoch auch beobachten. Die Verbreitung des Glaubens an "Gewinn ohne Verluste" dient Gewinnern nur dazu, sich opferbereite Verlierer heranzuziehen und zu erhalten.
Sind Gewinner ohne Opfer überhaupt möglich? Das Pareto-Kriterium hilft wenig bei der Beantwortung dieser Frage, denn es ist ohne Entropie-Bilanz nutzlos. Win-Win-Szenarien (bzw. Paretos Win-NoLose-Szenario) entpuppen sich bei genauerem Hinsehen nicht selten als Win-Win-Lose-Szenarien (bzw. Win-NoLose-Lose-Szenarien): Wenn zwei Spieler ohne Verluste interagieren, dann ist eben ein Dritter der Dumme. In abgeschlossenen Systemen nimmt die Summe der Entropien niemals ab, es gibt dort darum immer einen die Entropie absorbierenden Verlierer. Jede Verteilung (die auch immer eine Umverteilung ist) erhöht darin die Entropie. (Die thermodynamische Begründung der Erbsünde ist Gottes Scherz mit allem Lebewesen.) Schnell verweisen wir< deswegen auf die Offenheit unseres Systems. Wie sehr das weiterhilft, ist letztendlich ein Frage der Wahl der System- bzw. Verantwortungsgrenzen.

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