morgens in la paz...

Miloš Boniek

Steil steigt die Seitenstraße von der Prado an, und nach wenigen Metern keuche ich wieder in der klaren, kalten Luft des Altiplano. Es sind nicht viele Leute unterwegs. Nach einigen Querstraßen erreiche ich den ersten Stand, der an einer Häuserwand aufgebaut ist. Unsicher bleibe ich stehen und mustere verstohlen die Waren. Eigenartige Tinkturen, Gläschen mit buntem Lametter und Flaschen mit dunklem Gebräu liegen auf dem Tischchen. Aber das ist noch nicht, was ich suche. Ich ziehe weiter zum nächsten Stand und finde, was ich nicht für möglich halten wollte: getrocknete Lamaföten in allen Größen, mit oder ohne Fell, von Handtellergröße bis zu einem halben Meter Länge, etwa fünfzig Stück. Ich spüre ein Kribbeln im Bauch, als ob ich etwas Verbotenes entdeckt hätte. Der Blick der Indiofrau, die die Sachen verkauft, lastet auf mir. Der "Mercado de las Brujas", der Hexenmarkt, ist kein Jux, und die Pacenos kommen hierher, um sich mit Glücksbringern, Fruchtbarkeitsmitteln und okkulten Gegenständen zu versorgen. Eigentlich wollte ich nur schauen, aber dann zeige ich mit dem Finger auf einen kleinen Lamafötus, um das unangenehme Schweigen zu brechen, und frage mit leiser Stimme, was er kosten soll. Fünf Bolivianos, ich staune, das ist fast nichts, und nicke anerkennend, bedanke mich und gehe weiter. Die Sache fängt an, mich zu packen. Am nächsten Stand soll er acht kosten. Wenn ich mir es recht überlege, sollte er ganz winzig sein. Dann sind es zehn Bolivianos, die Biester werden immer teurer, je kleiner sie sind. Aber dieser hier hat jetzt die richtige Größe, dieser Fötus muß es sein. Die Indiofrau wickelt einen gelben und einen roten Wollfaden um seinen Kopf und reicht ihn mir mit ernster Miene. Nicht der Anflug eines Lächelns huscht über ihr Gesicht. Mit ebenso feierlichem Gesichtsausdruck nehme ich das trockene Ding entgegen und bezahle die zehn Bolivianos. Hinter der nächsten Ecke bleibe ich stehen, und betrachte den Fötus mit einer Mischung aus Entdeckerstolz und Beklommenheit. Mit einem breiten, zufriedenen Grinsen gehe ich den Berg runter.

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