the hut
Milos Boniek, Phnom Penh, 2002

Who cares for Koh Phangan? Sihanoukville hat das ganze Durcheinander, das Travellerherzen höher schlagen lässt. Hier sucht keiner nach "the beach" – eine Hütte muss her, ein Königreich für eine Hütte. Ja, Kambodscha ist einfach geiler

Sein
"The Beach" war der Roman, der den Irrsinn der Thailand-Reisenden zum Mythos machte. Kambodscha-Traveller haben andere Sorgen, für die ein Buch noch geschrieben werden muss. Titel: "The Hut". Denn die notorischen Palmbungalows von Koh Phangan, von denen man quasi aus dem Bett an die Wasserkante hüpfen kann, machen sich auf der Ostseite des Golfs von Thailand rar. An den Stränden in und um Sihanoukville lässt sich eigentlich nur picknicken. Da fährt man aus dem staubigen Phnom Penh an dieses wunderschöne Meer, und dann hat man die Wahl zwischen neuen, kitschigen Hotelzimmern und einer nichtssagenden Guesthouse-Kolonie im Westen der Stadt. Das Meer kann man dort bestenfalls hören.

Kann man es nicht doch aus irgendeinem Zimmer sehen? Nach einer halben Stunde auf dem Rücksitz eines Motorrads, kreuz und quer durch das einstige Seebad von Kambodschas Elite hält der Fahrer am Serendipity Beach. Unter ausladenden Bäumen locken ein paar einfache Strandbars. Am Hang stehen die vermutlich einzigen vier Hütten an Kambodschas kurzer Küste überhaupt. Natürlich sind sie belegt: von NGO-Mitarbeitern aus Phnom Penh, die hier gerne Feiertage oder lange Wochenenden verbringen. Das Coaster's von Alister und Karen ist in Kürze die Adresse am Meer geworden.

Die Rettung ist einer der Holzverschläge nebenan, die die Betreiber Guest House nennen. Nur 20 Meter bis zum Wasser, nur fünf Meter zu einem Haufen aus Gerümpel hinter der kleinen Strandbar. Auf der Holzpritsche liegend, entpuppt sich der Zimmernachbar hinter der völlig schalldurchlässigen Wand als Schotte. Wie in "The Beach". Aber Michael wird keine handgemalte Karte mit "Der Hütte" im Rausch unter der Tür durchschieben. Weder am nächsten Morgen noch an irgendeinem Tag. Er hat nur einen Sonnenbrand, einen mörderischen Aberdeen-Akzent und einen Kilt für Heiligabend. Was soll der ganze Hüttenwahn? Die Herbergsfamilie wohnt selbst in der großen Baracke. Und Authentizität ist schließlich das oberste Ziel der Traveller-Ideologie.


Sehen
Mit Thailand-Maßstäben tut man Sihanoukville Unrecht. Nach dreißig Jahren Bürgerkrieg und drei Jahren Frieden will die amorphe Hafenstadt wieder etwas werden. Wie ein Brennglas bündelt sie Aufbruch, Tradition, Globalisierung, koloniale Dekadenz und Exzesse der Unmenschlichkeit. Das kann man ausblenden und Tag für Tag im Schatten an einem Banana Shake schlürfen. Man kann aber auch in einigen Stunden die Stadtstrände ablaufen und staunen.

Entwickelt sich Serendipity Beach gerade zum Traveller-Strand, kündigt der benachbarte Sokha Beach, nach einem kurzen Gang über eine Felsanhöhe, das Gegenmodell an. Während unter hohen Bäumen mondäne Strandhäuser aus den Fünfzigern verfallen, wird im Rücken der kleinen Buden mit den Sonnensegeln ein gewaltiger Rohbau hochgezogen. Ein Hotel für asiatische Pauschaltouristen, wie der kambodschanische Barkeeper von Chuck's Place am Serendipity später erzählt. Er sagt das ohne Unterton. Der improvisierten Strandkultur gibt er, der in einem 5-Sterne-Hotel gearbeitet hat, keine Zukunft. Da fehle doch der Service. Dass die Leute freiwillig 5 Dollar für eine Nacht in den Holzbaracken zahlen, begreift er nicht.

Die Straße vom Sokha zum Independence Beach ist gesäumt mit riesigen, ummauerten Grundstücken. Von den Villen der früheren Reichen keine Spur. Die wurden von den roten Khmer weggesprengt. Auf einem Anwesen am Hang lebt heute eine Khmerfamilie in einem einfachen Holzhaus. Sie und ihre Hühnerschar haben einen Meeresblick, der im Westen Millionen Dollar kosten würde.

Auch der Independence Beach zeigt Spuren aus 15 Jahren Kommunismus. In diesem Fall von den vietnamesischen Besatzern: Die errichteten hier Anfang der Achtziger eine Promenade aus sozialistisch-realistischen Gehwegplatten und Betonplastiken. Heute sind sie vom Monsun angefressen. Die Khmerfamilien, die es sich am Wasser in den allgegenwärtigen hölzernen Strandliegestühlen gemütlich gemacht haben, kümmern sich nicht nicht drum. Auch nicht um den riesigen, schlanken Betonbau, der aus den Baumkronen am Ende des Strands herausragt, als sei der Geist Oscar Niemeyers, des Architekten von Brasilia, auch im Küstendschungel Kambodschas niedergegangen.

Im vorgelagerten Pavillon fehlen Fensterscheiben. Die Pools sind mit trübem, grünem Wasser gefüllt. Zwei Männer ziehen hier Wäsche durch, einige lungern vor dem verrotteten Eingang. Durch die oberen Stockwerke flutet Sonnenlicht, als ob es keine Trennwände zwischen den Zimmern mehr gibt: Das 1963 erbaute Independence Hotel ist nur noch der Geist einer versunkenen Epoche, als Kambodscha wohlhabender war als Thailand und sich hier die Schönen und die Reichen tummeln konnten. Heute ist es ein vertikaler Slum, der sich über 11, 12 Etagen in die Höhe reckt und vom Meer noch weithin als Landmarke sichtbar ist.

Diese unbehagliche Stimmung aus verblichenem Luxus und aufgeplatztem Beton setzt sich auf den beiden letzten Stränden, Hawaii und Victory Beach, fort. Der nahegelegene Hafen, Kambodschas Tor zum weltweiten Seehandel, macht sich nun bemerkbar. Angeschwemmte Abfälle liegen im Sand, der nicht mehr so hell leuchtet wie am Serendipity im Südosten.

Treiben
Morbide Strände, keine Hütten – aber draußen im Meer locken von grünem Pelz überzogene Inseln.

Fast jedes Guest House bietet Tagestouren an. Der "Melting Pot", Zentrum der Traveller-Szene oberhalb des Victory Beach, hat einen alten Fischkutter am Ende des unübersichtlichen Hafenviertels liegen. Mit ihm steuert Michael, ein bärbeißiger junger Engländer mit unglaublich schlechten Zähnen und schütteren Haaren, bei ruhiger See Koh Tas oder Koh Rong Samlem an. Schnorcheln ist hier ganz ok. Ein Landgang eher gefährlich: Im dichten Gehölz lauert noch die eine oder andere Mine. Die roten Khmer verschenkten keinen Zentimeter, und weit draußen auf Koh Tang kidnappten sie 1975 sogar einen amerikanischen Frachter. Bei der gescheiterten Befreiungsaktion starben 18 US-Marines.

Beruhigender ist die Fahrt in einem kleinen Fischerboot zu den Inseln vor dem Ream Nationalpark im Südosten. Unter dem monotonen Knattern des Außenbordmotors gleitet man an der Küste entlang, in der Ferne an Land die hohe, unbewegliche Wand der Bokor-Berge, während sich die Inseln wie eine Kulissenlandschaft langsam verschieben. Gedanken fliegen anfänglich über das Wasser, nach einer Stunde ist der Kopf geleert. Das Sein auf das Wesentliche reduziert: essen, trinken, dösen, im Wasser treiben lassen.

Der Nationalpark ist auch von der Landseite mit dem Motorrad über Waldwege erreichbar. Immer schmaler werden sie, die Reifen schwimmen im Sand. Hinter einer rohen Holzbrücke, an der einmal mehr das rote Minenwarnschild angeschlagen ist, beginnt ein kilometerlanger menschenleerer Strand. Also doch noch ein Beach.

Wer Sihanoukville ohne Eile verlassen will, nimmt den Zug über Kampot nach Phnom Penh. Um halb sieben morgens macht sich eine Schlange von türlosen, leeren Güterwaggons auf den Weg. Ein paar Khmer haben Hängematten von Wand zu Wand gespannt. Im Jogging-Tempo geht es durchs Küstenland auf die Bokor-Berge zu, durch überwucherte, schattige Kurven, die in der Frühe noch nach frischem Grün riechen. Dann steigt die Sonne höher und heizt die Waggons auf, Menschen steigen ein. Alle wollen in die Ferne.

Hören
Der Aufbruch hat ein Symbol: den Dollar. Es leuchtet in vielen Augen, besonders in denen der jugendlichen Motorradchauffeure. Wenn nötig, wird jeder zur Ein-Mann-Agentur, kennt einen Fischer, der ein Boot untervermietet. Oder verleiht sein eigenes Motorrad für einen Tag. War Chuck's Place vor zwei Jahren noch die einzige Bar am Serendipity Beach, sind es jetzt sechs, sieben. Eine einfache Theke wird zusammengezimmert, ein paar strohgedeckte Sonnenschirme aufgestellt, ein CD-Player mit Boxen angeschmissen, Santana, Reggae oder Thai-Pop aufgelegt. Die junge Frau dahinter starrt gedankenverloren in die Ferne. Es zieht sie mindestens nach Phnom Penh, vielleicht noch weiter. Alleinreisende Männer, die nicht gerade wie Kiffertypen aussehen, haben am zweiten Abend, spätestens bei der obligatorischen Full Moon Party den Arm einer Khmer auf ihren Schultern. Manchmal auch die ganze Frau auf dem Schoß.
Noch ist alles drin: Das liebenswerte Lächeln ist den neuen Glücksrittern noch nicht vergangen.

In diesen aufregenden Tagen kommen auch Leute mit Visionen. Fred, Ex-Radio-DJ aus Aspen, Colorado, und gerade von seiner IT-Firma rausgeschmissen, sieht in den Inseln kommende Paradiesgärten des Öko-Tourismus. Die sollen richtig was kosten. Obwohl er von Tourismus noch nichts versteht, hat er schon mal seinen neuen Firmensitz in Sihanoukville aufgeschlagen. Ins Tourismus-Geschäft einzusteigen, hing bisher von der Gnade des Militärs ab, das bislang die Pachtlizenzen für die Strände herausgab - und manchmal auch kurzerhand wieder kassierte. Seine größte Sorge ist, dass die Khmer ihre Küste unter Wert verkaufen.

Manchen lässt die neue Zeit kalt. Lam Sam, der Bahnhofsvorsteher, formuliert seine Vorbehalte in überraschend klarem Deutsch: "Der Kapitalismus ist doch ein Scheiß'." Früher habe es kaum Arbeitslosigkeit gegeben, sagt er. Dass die deutsche Sprache ausgerechnet auf den maroden Bahnsteigen von Sihanoukville gesprochen wird, hat einen Grund: Von 1983 bis 1988 hat Sam eine Ausbildung bei der Reichsbahn in Dessau gemacht. Er wünscht höflich eine "Gute Reise", als sich der Güterzug langsam in Bewegung setzt.

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