morgens in varanasi...

Miloš Boniek

Kaum aus dem Guest House getreten, steigt beißender Rauch in meine Augen, ein Mädchen brennt Essen an, eine Stimme fragt: ”Boat?” Ich stammele ”No, thank you” und stolpere den Schuttberg am Ghat hinunter, auf dem sich zwei Inder entleeren. Auf einer steinernen Plattform zu meiner Linken am Wasser lassen sich Männer die Köpfe kahl scheren, ein geschniegelter Inder im weißen, kurzen Lungi hat mich gesehen und drängt mir ”chocolate” auf, ich entweiche, doch schon hat mich die Meute der Ruderer entdeckt: ”Going boat, Sir?”, schau sie nicht an, sage ich mir und passiere den kleinen Platz, der in die Gasse mündet, Holzscheite stapeln sich meterhoch an einer Mauer, die Gasse verengt sich, ich werde erwartet: Ein Getränkeverkäufer wispert mir entgegen, Bettler haben Aufstellung genommen und recken mir ihre Blechschalen entgegen, Männer stehen herum, ich haste vorwärts und doch scheint alles um mich zu kreisen, aus einer Box dringt ohrenbetäubender Hindipop, eine Tschaiküche, die die Luft zum Ersticken bringt, gewürz- und ziegenmilchgeschwängert, Blicke werfen Enterhaken nach mir aus in der Hoffnung auf ein Geschäft, hinten hackt jemand Holz für einen Scheiterhaufen, Farben bestürmen mich, Unruhe entsteht, da - eine Leiche, in goldenes Tuch eingeschlagen, wird hoch über den Köpfen auf einer Bahre vorbeigetragen, ich habe noch nichts gefrühstückt.Fassungslos starre ich der Leiche nach und beschleunige dann meinen Schritt, die Treppen hinauf, an weiteren Bettlern vorbei, rechts ein Schrein, aus dem mich Ganesh angluckst, ”Cool drink, Sir? Okay”, ein Blick nach links, nein geradeaus, an fröhlich lachenden Jungen vorbei, ein Alter pißt hockend in den Rinnstein der zwei Meter breiten Gasse, die unendlich hoch scheint, nur nicht in die Kuhfladen treten, dazwischen eine lepröse Töle, die mir einen Schauer über den Rücken jagt, ich möchte mich kratzen, aber bleibe nicht stehen, ich könnte kleben bleiben in dieser Gasse, also vorwärts, jetzt links runter, die Gasse wird voller, überall köchelt undefinierbares Zeug in fliegenverseuchten Nischen, trinken Männer Tschai, ein Junge schält Kartoffeln in dreckigem Dunkel, der Gestank aus Weihrauch, Tschai und Scheiße verdichtet sich, perlt auf der Haut, immer mehr Menschen, immer weniger Luft, ein Motorrad zwängt sich knatternd durch die Gasse, ich mache mich dünn, weiche Kühen aus, Souvenirverkäufer erscheinen plötzlich vor ihren Läden und winken mich heran, schneller durch diese Gasse, alles brodelt und nimmt mir den Atem, die Gasse ein Strom, der plötzlich in die Hauptstraße einmündet.Schweißgebadet bleibe ich stehen: Fahrräder, Rikschas, Menschen, ein Farbenmeer, es klingelt, schreit und schallt, ich blicke in die brüllend heiße Sonne - lacht sie nicht dröhnend? - und wieder nach unten - zehn Rikshafahrer umringen mich: ”Where you going?”, ”Cheap hotel, Sir?”, ”You wanna see handicraft? Come here!”Was wollte ich hier?

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