mit sozialismus gegen
gras und koks?

Sebastian Scheerer, Hamburg, März 2002

Nein - denn Drogenpolitik ist die letzte Bastion der Planwirtschaft: Den Bürgern wird vorgeschrieben, was gut für sie ist und was nicht. Doch der Konsum von Rauschmitteln ist längst Alltagsgenuss. Höchste Zeit, durch Legalisierung eine zivilisierte Drogenkultur aufzubauen

Wenn man das heutige System der Drogenpolitik zu charakterisieren versucht, spricht man normalerweise von einem "legal approach" (einem juristischen Ansatz), einem "medical approach" (einem medizinischen Ansatz) und von Mischformen. Und vergisst dabei das Wichtigste. Denn die Besonderheit der Drogenpolitik ist, dass sie eine Gruppe von Substanzen dem Marktgeschehen und dem autonomen Zugriff der Bürger entzieht. Das ist bemerkenswert, denn in einer offenen Gesellschaft wird Freiheit nicht zuletzt über den Anspruch definiert, in eigener Verantwortung Dinge zu produzieren, als Waren feilbieten oder erwerben zu dürfen.

Ausnahmen gibt es auch in offenen Gesellschaften (keine vernünftiger Mensch verfiele auf den Gedanken, den Erwerb von Plutonium-Brennstäben und deren Lagerung im häuslichen Aquarium zum Prüfstein seiner persönlichen Freiheit zu machen), aber diese wollen gut begründet sein.

Ein ZK wacht über den Gegner

Ausgehend von einer amerikanischen Initiative, die Opiumplage auf den Philippinen (seit 1898 von den USA besetzt) auch im Hinblick auf Gesundheit und Moral der dort stationierten Marines zu bekämpfen, entwickelte sich Anfang des 20. Jahrhunderts in Regierungskreisen die Überzeugung, dass das Problem ein in ganz Südostasien verbreitetes sei, dem man nur unter Einbeziehung aller betroffenen Mächte beikommen könne. Das Haager Opiumabkommen von 1912 war nicht nur das erste verbindliche Resultat dieser globalisierten Bekämpfungsstrategie, sondern auch die "Mutter" aller staatlichen Betäubungsmittelgesetze weltweit. 1931 verpflichtete das Abkommen zur Begrenzung der Erzeugung von Rauschgiften alle Staaten zur Anmeldung ihres Drogenbedarfs beim Ständigen Opium-Zentralkomitee des Völkerbunds in Genf. Dessen Aufgabe war, wie es wörtlich hieß, die "Weltbuchführung" über Herstellung und Handel der Drogen. Für einen ganzen wirtschaftlichen Sektor hatte man ein System entwickelt, dessen Wert man ansonsten in der freien Welt gering schätzte, nämlich - in den Worten Völkerbunds von 1934 - ein System, das man "gewöhnlich Planwirtschaft" nennt.

Der Völkerbund heißt heute UN und aus dem Opium-Zentralkomitee ist das International Narcotics Control Board geworden, das in Wien sitzt. Man begrüßt Andorra als 153. Mitglied der Anti-Drogen-Konvention von 1988. Das Wort Planwirtschaft ist aus den amtlichen Drucksachen inzwischen gestrichen, das System ist immer noch dasselbe. Kleine Bürokratien melden den Bedarf an die große Bürokratie, wo die Bücher geführt werden, wo verglichen, geprüft, genehmigt, angeordnet und zugeteilt wird. So hatte Deutschland für das Jahr 2001 eine Bedarf von 10.000 Gramm Kokain angemeldet (für medizinische Zwecke). Die Weltplanungsbehörde sorgt dafür, dass pünktlich und vollständig in guter Qualität geliefert wird.

Aus den Erfahrungen ehemaliger sozialistischer Staaten wissen wir, dass jede Planwirtschaft über einen kleinen Bruder verfügt, der sie rasch in den Schatten stellt. Sein Name ist Schwarzmarkt. Die Vorstellung, DDR-Bürger bräuchten keine Jeans, keine West-Musik, keine 20 Sorten Käse und keine 15 Arten von Strumpfhosen, um ihr Lebensglück zu finden, führte bekanntlich zu erheblichen Problemen bei der Sortimentsbreite und geschmacklichen Differenzierung. Und zu einem florierenden Schwarzmarkt, auf dem alles zu Wahnsinnspreisen zu haben war.

Was die Kluft zwischen Bürokratie und Bevölkerung angeht, so kann sich die Drogenplanwirtschaft mit der sozialistischen Planwirtschaft der jüngsten Vergangenheit durchaus messen. Der gemeldete Cannabis-Bedarf der deutschen Bevölkerung ist gleich null. Die gesellschaftlichen Bedürfnisse sehen anders aus. Jährlich werden rund sechs Tonnen Marihuana beschlagnahmt. Was Polizei und Grenzschutz nicht abfangen, reicht immer noch für den Bedarf von schätzungsweise 2 Millionen Cannabis-Konsumenten.

Die Gesellschaft besorgt sich ihre Drogen sowieso

Das Problem liegt im Widerspruch zwischen den Grundannahmen planwirtschaftlicher Drogenkontrolle und der Realität. Nach herrschender Meinung dürfen auch die gravierenden Nebenfolgen der Drogenprohibition nicht dazu führen, das Verbotsprinzip selbst in Frage zu stellen, weil jede Lockerung des Verbots noch verheerendere Auswirkungen auf die Bevölkerung hätte. Diese Überzeugung beruht auf dem konventionellen Wissen über die generell persönlichkeitszerstörende Wirkung des Konsums der "Suchtgifte". Die Wissenschaft sah das über Jahrzehnte ebenso. Da sie sich in Hunderten von Studien fast ausschließlich mit den Extremformen der Sucht befasste, bekam sie von der Realität nur diesen Ausschnitt mit.

Als man (in den 30ern) von Gefährlichkeit von Cannabis als "killer weed" überzeugt war, konzentrierte man sich auf die Schilderung und Analyse entsprechender Einzelfälle. Nirgendwo wurde erforscht, was denn im Normalfall mit den Konsumenten der Droge passierte (der Bericht der indischen Hanf-Kommission von 1984 hatte sich damit noch befasst; aber der war knapp vier Jahrzehnte später schon dem Vergessen anheim gefallen).

Heute zeichnet sich ein radikal anderes Bild ab. Die Resultate neuerer Forschung lassen sich auch auf einen Begriff, eine These bringen. Und die lautet, dass alle bekannten Drogen von der Mehrheit der Konsumenten beherrscht werden können. Das gilt für Cannabis und Heroin, aber auch für Kokain und vermutlich sogar für Crack.

Auch das Wissen über die Motive und Bedingungen des Drogenkonsums hat sich verändert. Im überwiegenden Regelfall sind es "normale" Menschen, die aus "normalen" Motiven zu Drogen greifen. Meist handelt es sich um eine bewusste Entscheidung zur Freizeitgestaltung. Nicht Dealer, sondern Konsumenten verantworten diese Entscheidung. Man weiß: Die Mehrheit der Konsumenten hat sich von Lebens- und Karriereplänen keineswegs verabschiedet. Wenn sie Drogen nehmen, feiern sie mit anderen, was es zu feiern gibt: das Ende einer anstrengenden Arbeitswoche, die Möglichkeit, unter Freunden neue Erfahrungen zu machen. Man verfolgt alte legitime Ziele mit neuen Mitteln.

Die Idee der offenen Gesellschaft zuende denken

Es ist nicht die Pathologie, sondern die sich verändernde Normalität der Gesellschaft, die es Bürgern nahe legt, sich mehr als früher für psychoaktive Substanzen zu interessieren. Um den Drogenkonsum in der Gegenwartsgesellschaft zu erklären, reichen die herkömmlichen Theorien über individuelle und soziale Defizite nicht mehr aus. Zwei wichtige Begriffe in diesem Zusammenhang sind Wertewandel und Konsumkultur. In dem Maße, in dem heutige Gesellschaften sich von den traditionellen Werten der Autorität, des Gehorsams, der Disziplin oder des Fleißes verabschiedet oder sie doch zumindest durch die Betonung anderer Werte relativiert haben, werden Spannung, Abenteuer, Aufregung und Unterhaltung - Gefühlszustände, für die man auch Drogen einsetzen kann - erheblich aufgewertet.

Machtvoll getrieben von Massenmedien, Werbung und Jugendkultur applaudiert der Konsumismus der neuen Werteordnung. Und die neuen Subjekte der Erlebnisgesellschaft versuchen - im Gegensatz zu früheren romantischen Revolten - ihre Identität und ihre Abenteuer nicht in schroffer Ablehnung der Warenwelt, sondern durch die geschickte und kombinatorische Nutzung von Events dieser Warenwelt zu finden.

In einem solchen Kontext ist Drogengenuss nur eine von vielen Möglichkeiten der mit der Konsumsphäre versöhnten Suche nach "excitement", "pleasure" und "entertainment". Wie sollte man heute einem Freizeitkonsumenten psychoaktiver Substanzen erklären, dass er zwar auf jedne Alpengipfel kraxeln und jede schwarze Piste hinunterbrausen, nicht aber beim Après-Ski eine Linie Koks schnupfen darf? Der Drogengenuss ist bei weitem nicht die riskanteste unter den Freizeitaktivitäten. Warum sollten wir ausgerechnet ihn so martialisch bekämpfen? Ließen wir es sein, könnte der Drogengebrauch risikoärmer, kundiger und geselliger werden.

Konsequent wäre also die Formulierung einer einheitlichen Politik, die alle Drogen im Prinzip jedem Erwachsenen legal zugänglich macht, die aber nicht daran gehindert ist, durch Aufklärung und Steuerung das Verhalten zu beeinflussen. Eine künftige Drogenpolitik müsste vor allem die Legitimität der Nachfrage nach psychoaktiven Substanzen anerkennen. So wie das Recht heute die Legitimität einer homosexuellen Orientierung anerkennt.

Drogenhandel müsste nicht mehr in einem Klima der Heimlichtuerei, der Heuchelei und der Gewalt stattfinden. Großhändler müssten nicht mehr fürchten, von Konkurrenten erschossen oder verraten, mit langjährigen Gefängnisstrafen belegt oder gar zum Tode durch den Strang (wie in Südostasien) oder durch Genickschuss (wie in China) verurteilt zu werden.

Es geht aber nicht nur um die Abstellung dieser Barbarei und um die Abschaffung Planwirtschaft mit ihren destruktiven Nebenwirkungen. Es geht auch um die Durchsetzung der Grundrechte in einem wichtigen Bereich unserer Existenz, in dem die Idee der offenen Gesellschaft bisher noch nicht so recht angekommen ist.

Einzelne Staaten wie Deutschland können ihre Politik nicht grundlegend ändern, solange sie zur Planwirtschaft auf Grund der zwei wichtigsten internationalen Verträge verpflichtet sind. Die sind aber kündbar. Single Convention bis zum 1. Juli eines jeden Jahres. Die Wiener Konvention jederzeit.

Eine künftige Drogengesetzgebung sollte sich wie die alte am bestmöglichen Kennisstand über den Normalfall des Konsums orientieren. Dieses Wissen hat sich radikal geändert. Drogen sind - neben anderen Verwendungsweisen, die sie dann auch zu etwas anderem werden lassen - vor allem eins: Genussmittel.


Eine lange Fassung dieses Textes kann als PDF-Datei heruntergeladen werden: bossong-scheerer.pdf

Sebastian Scheerer ist Professor für Kriminologie an der Uni Hamburg

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