abschied vom schlachtfeld
Niels Boeing, Hamburg, Oktober 1999/aktualisiert April 2002

Den Krieg der Zukunft werden Terroranschläge, Massenvernichtungswaffen und Info-War prägen - mit unverminderter Brutalität
Nachtrag zum 11. September 2001

Das blutigste Jahrhundert der Geschichte neigt sich dem Ende zu: über 100 Millionen Menschenleben hat eine durch technische Erfindungen und politische Ideologien entfesselte Kriegsführung gekostet. Die Hoffnungen nach dem Zweiten Weltkrieg auf ein Ende aller Kriege sind längst begraben - bis heute geht das weltweite Schlachten weiter, in Tschetschenien, Osttimor und zwei Dutzend anderen Konfliktgebieten.

Und doch markiert der Zweite Weltkrieg einen Wendepunkt: In ihm kündigt sich das Ende des klassischen Krieges an, wie er seit Jahrtausenden geführt wurde. Feldschlachten wie in Stalingrad, El-Alamein oder Okinawa wird es im 21. Jahrhundert nicht mehr geben. Dass Krieg nicht in erster Linie auf dem Schlachtfeld ausgetragen werden muss, zeigte erstmals der Atombombenabwurf auf Hiroshima 1945. Innerhalb von Sekunden starben Hunderttausende von Zivilisten in einem Inferno aus Hitze und Strahlung. Auch der Luftkrieg hählte das Konzept des Schlachtfeldes aus. Geschwader aus Hunderten von Kampfbombern trugen Tod und Vernichtung tief ins Hinterland und zerstärten Brücken, Eisenbahnlinien und Fabriken. Bis dahin war die gegnerische Infrastruktur ohne offene Schlacht nicht zugänglich gewesen.

Verheerend und für den Krieg der Zukunft nicht minder "wegweisend" waren die deutschen V2-Raketen auf London, der Bombenhagel der Wehrmacht auf Sheffield oder der Alliierten auf Dresden. Sie zielten ganz bewusst auf die Zivilbevälkerung und opferten einen Grundsatz, der seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges nicht in Frage gestellt worden war: die strikte Unterscheidung zwischen Militär und Zivilisten, die nicht in den Kampf hineingezogen werden dürfen. Letztere wiederum trieb die Brutalität der deutschen Besatzung in allen Teilen Europas in den bewaffneten Widerstand, der schon viel mit den Terror- und Guerillagruppen der heutigen Zeit gemein hatte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg veränderte vor allem ein Ereignis das westliche Kriegsverständnis nachhaltig: der Vietnam-Krieg. Bis auf einige Pazifisten hatte die breite …ffentlichkeit davor nie in Frage gestellt, wofür junge Männer auf fernen Schlachtfeldern ihr Leben ließen. Anders beim Vietnam-Feldzug der Amerikaner, der nicht nur in den USA Proteststürme auslöste. Die US-Militärs lernten hieraus zwei Lektionen: dass mit demotivierten, Wehrdienst leistenden College-Absolventen kein Krieg zu gewinnen und die Öffentlichkeit angesichts der medialen Begleitung nicht mehr bereit ist, eigene Verluste hinzunehmen.

Im zweiten Golfkrieg 1991 kämpften dementsprechend Berufsarmeen für Amerikaner und Briten. Deren Verluste beliefen sich dank des vo- rangegangenen massiven Bombardements mit ersten "intelligenten Bomben" auf schätzungsweise 100 Soldaten. "Das hat die Vorstellung beflügelt, ein "sauberer" Krieg sei schließlich doch möglich", sagt Taylor Seybold vom Internationalen Friedensforschungs-Institut in Stockholm. Mit entscheidenden Konsequenzen für den jüngsten Kosovo-Krieg: Der Einsatz von Bodentruppen galt erstmals als politisch nicht mehr durchsetzbar. Eine Schlacht fand nicht mehr statt.

Der Kosovo-Krieg rückte auch den jüngsten Trend in der Entwicklung des Krieges ins Rampenlicht: den so genannten Info-War. Zwar ringen die Militärs bislang um die Definition, was der "Informationskrieg" genau sei. Klar ist aber, dass er über die altbekannte Ausforschung und Desinformation des Gegners hinausgeht. Ziel ist die hoch empfindliche Infrastruktur moderner Industriestaaten, in denen Banken, Behärden, Klärwerke, ja selbst Brotfabriken nicht mehr ohne PCs, Netzwerke und Datenbanken auskommen. Spezialisten schleusen hier Spionageprogramme, Computerviren oder so genannte logische Bomben - die man nach A-, B- und C-Waffen als I-Waffen bezeichnen kännte - ein, die Informationen ausspähen, manipulieren oder gar das gesamte System zum Absturz bringen.

Das gilt auch für die heutigen, vor Computern und Elektronik nur so strotzenden Waffensysteme. Ob serbische Militärs die Steuercomputer der US-Raketen oder Amerikaner die serbische Luftabwehr im Kosovo-Krieg bereits auf diese Weise manipuliert haben, ist allerdings umstritten. Sicher ist, dass serbische und chinesische Hacker Websites der US-Regierung knackten. In den USA nimmt man diese Bedrohung schon seit längerem sehr ernst. 1997 ließ das Pentagon mit Hilfe von 35 Hackern ein "elektronisches Pearl Harbour" simulieren. Ergebnis: Stromausfälle in den großen US-Metropolen, Flugzeugabstürze, Raketenabwehrsysteme, die von selbst losgehen, und ein Bärsen-Crash.

Nicht weniger Kopfzerbrechen macht Militärs und Friedensforschern weltweit die Möglichkeit, dass Terroristen Massenvernichtungswaffen einsetzen kännten. Einen Vorgeschmack darauf lieferte der Giftgasanschlag der japanischen Sekte Aum-Shinri-Kyo 1995 in der Tokioter U-Bahn, bei dem 12 Menschen umkamen und über 5000 verletzt wurden. Wie man an waffenfähiges Nuklearmaterial oder den Milzbrand-Erreger Anthrax kommt und daraus Waffen baut, ist im Zeitalter des Internets längst kein Geheimnis mehr. Info-War, intelligente Bomben, Raketen und Terroraktionen mit konventionellen und B- oder C-Waffen haben eine unangenehme Gemeinsamkeit: Der Krieg der Zukunft ist nicht mehr an einen klar umrissenen Ort gebunden, er hat eine unübersichtliche, "fraktale Frontlinie", wie es Götz Neuneck vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (siehe auch Interview zum 11.9.2001 unten) ausdrückt.

Die Amerikaner versuchen den daraus resultierenden Gefahren mit immer ausgeklügelteren Waffensystemen beizukommen. Da wird der Infanterist der Zukunft als Terminator-Maschine entworfen, die mit Computer-Kampfanzug, Datenhelm und modernsten Waffen im kleinen Team in Feindesland operiert. Gegnerische Raketensysteme will man mit Abwehrsystemen aus der Erdumlaufbahn ausschalten, die nach Reagans SDI-Phantasien eigentlich ad acta gelegt schienen.

Diese Pläne haben jedoch eines gemeinsam: Sie gehen von Konflikten zwischen mächtigen Blöcken wie zu Zeiten des Kalten Krieges aus. Keine der derzeit akuten Auseinandersetzungen entspreche diesem Muster, warnt der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld in seinem Buch "Die Zukunft des Krieges". Bei allen handele es sich um so genannte "low intensity conflicts", Konflikte, die auf kleiner Flamme vor sich hin kächeln und trotzdem extrem brutal sein kännen. Dass man die nicht mit Hightech-Waffen gewinnen kann, haben die Amerikaner in Vietnam und die Russen in Afghanistan erleben müssen.

"Ein low intensity conflict ist für die konventionelle Kriegsführung dasselbe wie das Weltbild Einsteins für Newton", charakterisiert van Creveld den Abschied vom Schlachtfeld. Und nimmt uns vorsorglich alle Illusionen, ein low intensity conflict kännte harmlos sein: "Es wird ein Krieg der Abhörgeräte und Autobomben sein, Männer werden sich aus nächster Nähe gegenseitig umbringen und Frauen werden in ihren Handtaschen Sprengstoffe mit sich herumtragen mitsamt den nötigen Drogen, um sie zu bezahlen. Der Krieg wird langwierig, blutig und grauenvoll sein."


nachtrag zum 11. september 2001:
interview mit götz neuneck zu den anschlägen auf das WTC

geführt am 11.9.2001 um 19 h MEZ von Niels Boeing

km 21.0: Es ist unfassbar: Da beschwören Militär und Regierung der USA seit Monaten einen möglichen Krieg der Sterne mit Raketenangriffen aus dem Weltraum, gegen den nur ein Abwehrprogramm wie NMD helfe. Und dann ist das technisch am weitesten entwickelte Land der Welt mit einem lückenlos überwachten Luftraum plötzlich auf derart banale Weise verwundbar. Wie ist das möglich?

Neuneck: Wir haben immer befürchtet, dass die Amerikaner zwar imaginäre Schutzschilde bauen wollen, aber gegen die einfachen Bedrohungen nicht gerüstet sind. Zwar gibt es seit längerer Zeit Anti-Terror-Programme, die beschäftigen sich aber hauptsächlich mit Hightech-Waffen. In Bushs Budget für das Jahr 2002 sind 8 Milliarden Dollar für die Raketenabwehr eingeplant. Eine nutzlose Abwehr, da diese Bedrohung im Augenblick nicht da ist.

km 21.0: Sind die USA denn gegenüber solchen Terroranschlägen ohnmächtig? Am erikanische Thinktanks beschäftigen sich doch seit Jahren mit diesen Terrorszenarien.

Neuneck: Der Anschlag zeigt deutlich, dass es für bestimmte Drohungen keine sichere Handhabe gibt. Wenn sich irgendjemand mit umgeschnalltem Sprengstoff in einen Laster setzt und man nicht die entsprechenden Hightech-Sensoren hat, um den Sprengstoff aufzuspüren, kann man nichts dagegen machen. Dasselbe gilt für Flugzeuge. Es war immer klar, dass dies eine Schwachstelle ist. Wir haben es hier mit so genannter asymmetrischer Kriegsführung zu tun: Hightech-mäßig kann keine Macht der Welt es mit den USA auf nehmen, aber auf anderen Gebieten ist auch eine Supermacht verwundbar. Was mich überrascht, sind die Planung und die Kälte des Anschlags; mit welcher Logik da offenbar vorgegangen wurde.

km 21.0: Haben die USA mit ihren harten Schlägen gegen den Terrorismus bisher falsch reagiert?

Neuneck: Die Friedens- und Konfliktforschung hat immer gesagt, dass militärische Konzepte keine Lösung sind. Das ist zwar trivial, aber wichtig. Denn sie verringern die diplomatischen Möglichkeiten. Angriffe mit Cruisemissiles auf vermeintliche Produktionsstätten von Massenvernichtungswaffen im Sudan, die sich nachher nicht als solche herausstellen, sind keine kluge Antwort auf politische Probleme. Auch die Bombardierung von Kommunikationsanlagen im Irak unmittelbar nach Bushs Amtsantritt nicht. Die amerikanische Außenpolitik befindet sich im Moment ohnehin in einer Sackgasse. Beispiel Nordkorea: Die Amerikaner haben den Dialog unterbrochen, die Europäer haben ihn weitergeführt. Mittlerer Osten: Die Amerikaner werfen dort nicht ihr Gewicht in die Waagschale. Die Bush-Regierung versucht stattdessen aus innenpolitischen Gründen mehr Geld ins Rüstungsbudget zu stecken. Doch man kann nur eine begrenzte Zeit mit Bomben antworten. Man muss mit diesen Ländern reden.

km 21.0: Sie haben einmal gesagt, der Krieg der Zukunft habe eine "fraktale Frontlinie", sei nicht mehr an ein klar umrissenes Schlachtfeld gebunden. Wir wissen jetzt, dass auch eine x-beliebige Straße in Downtown Manhattan Teil dieser Frontlinie sein kann. Muss in der politischen Konfliktbewältigung nach diesen Ereignissen nicht radikal umgedacht werden, weg von der bisherigen militärischen Logik?

Neuneck: Sie können sicher sein, dass die Amerikaner nicht so reagieren. Sie haben in solchen Fällen immer hart zurückgeschlagen. Und wenn nicht klar ist, wer für die jetzigen Anschläge verantwortlich ist, ist das das Beunruhigendste, was der Supermacht USA passieren konnte.

km 21.0: Was bedeutet der Angriff auf das Pentagon, das Hauptquartier des US-Militärs? Entsteht dem Militär nur ein psychologischer Schaden oder ist da mit auch das militärische Informationsnetz getroffen worden?

Neuneck: Zerstörung in der Informations-Infrastruktur anzurichten und medial zu verkaufen, ist technisch einfach. Hier ist das Gegenteil eingetreten, nämlich physische Angriffe auf große, leicht identifizierbare Objekte. Das zeigt deutlich, dass wir es mit asymmetrischer Kriegsführung zu tun haben und dass das Verwundbarkeitsproblem nicht gelöst ist und auch nie gelöst werden wird. Wer sich an den ersten Anschlag auf das World Trade Center erinnert, weiß, wie stark das damals die Amerikaner getroffen hat, weil sie davon ausgingen, dass Terrorismus auf amerikanischem Boden nicht möglich ist. Das ist in Europa anders. Wir haben eine andere Geografie und auch eine andere Gewaltkultur nach einem Jahrhundert mit zwei Weltkriegen. Wir leben mit dieser Art von Bedrohung. Die Amerikaner haben dagegen aus der verbliebenen Bedrohung die Konsequenz gezogen, auch diese noch auszuschalten. Die klügeren Wissenschaftler haben immer gewarnt, dass es noch viele andere Möglichkeiten gibt.

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