IRAK - welcome to the empire
Oliver Fahrni, Zürich, September 2004

Dass die Demokratisierung des Irak in einem mörderischen Desaster stecken geblieben ist, hat sich inzwischen herumgesprochen. Analysiert man jedoch das Regime, das die US-Verwaltung unter Paul Bremer dort errichtet hat, erkennt man Umrissung einer Ordnung, die mit Demokratie wenig, der Brutalität des Negri'schen Empire dafür um so mehr zu tun hat.

Noch ein flagranter Bruch des Völkerrechts durch die Regierung von George W. Bush? Na und?, mag da einer denken: Die USA haben in den vergangenen Jahren schon wesentliche Teile dessen ausgesetzt, was dem blutigen 20. Jahrhundert an Regeln zwischen den Nationen und zum Schutz des Einzelnen abgerungen wurde. Wir nannten es, beschwörend, Internationale Gemeinschaft. Hier aber ist von einem Rechtsbruch zu berichten, der uns einen Blick auf die künftige Ordnung der Welt erhaschen lässt.

Am 28. Juni schlich L. Paul Bremer aus Bagdad davon, eine Stunde kaum, nachdem er die Geschäfte formlos einer Interimsregierung übergeben hatte – und seinem Nachfolger John Negroponte. Die IrakerInnen erfuhren erst auf dem Umweg über einen Nato-Gipfel in der Türkei, dass die amerikanisch-britische „Besatzung zu Ende war“ und sie wieder in Besitz ihrer „vollen Souveränität“ standen, wie Resolution 1546 des UN-Sicherheitsrates behauptet.

Zu feiern sahen sie keinen Anlass. Der heimliche Abgang des Statthalters illustrierte, wie der Irak künftig regiert wird.
138 000 US-Soldaten bleiben in Mesopotamien, plus einige Zehntausend Söldner, Geheimdienstler, „Berater“. Interims-Regierungschef Iyad Allawi, nach drei Jahrzehnten aus dem Exil zurückgekehrt, ist ein Mann der Amerikaner – in den 90er Jahren organisierte er für die CIA Anschläge und Putschversuche in Bagdad. Obschon er im Lande verhasst ist, wie eine Pentagon-eigene Umfrage ergab, zog ihn Washington den weit beliebteren Persönlichkeiten Ibrahim al-Jaffari und und Abel Abdel Mehdi, Favoriten der Vereinten Nationen, vor.

Allawi bezieht seine Weisungen aus der „Festung“ in der „Grünen Zone“. Dort gebietet Negroponte über 2700 Beamte; die grösste „diplomatische Vertretung“ der Geschichte. Der Statthalter-Botschafter ist ein Mann mit einschlägiger Erfahrung: Er führte den schmutzigen Krieg der Contras gegen Nicaraguas Regierung, später log er vor den UN den Irak-Krieg herbei.

Bremer hat Negroponte das Terrain mit 141 Dekreten bereitet. Seine Übergangsverwaltung (CPA) sorgte zwar nicht, wie das Kriegsrecht dem Besatzer abverlangt, für Grundversorgung und Sicherheit der IrakerInnen – weshalb die CPA in Bagdad „Cannot Provide Anything“ hiess. Aber in 12 „Regulations“, 100 „Orders“, 17 „Memoranda“ und 12 „Public Notices“ schrieb Bremer die amerikanische Kontrolle über den Irak auf Jahre fest, organisierte die Plünderung und zwängte die IrakerInnen, absurdes Vorhaben, in ein neoliberales Korsett. (Bremers Dekrete sind nachzulesen auf www.iraqcoalition.org/regulations)

„Ein kapitalistischer Traum“ frohlockte „The Economist“ und meinte damit, was die Kritikerin Naomi Klein „eine ökonomische Kolonialisierung unter dem betrügerischen Titel Wiederaufbau“ nennt. Mit Order Number 39 („Foreign Investment“) verfügte Bremer den Ausverkauf. Ziel: „Iraks transition from a (...) centrally planned economy to a market economy.“ Ausländische Konzerne können irakische Unternehmen zu 100 Prozent übernehmen, 180 Staatskonzerne sind zur Privatisierung freigegeben. Den Investoren dürfen keine gesetzliche Auflagen gemacht werden. Gewinne können ungehindert aus dem Land geschafft werden („...transfer abroad without delay all funds“). Es besteht keine Pflicht, Arbeitsplätze zu schaffen oder IrakerInnen einzustellen. „Ein fundamental besseres Land“ sei der Irak nun, sagte Bremer – und Beispiel für künftige US-Vorhaben.

Order 12 und 54 liquidieren Zölle und Importkontrolle. Folge: Der Irak wird für billige Weltmarktprodukte geöffnet, die lokale Wirtschaft serbelt. Dreissig Seiten stark, reguliert Order 74 die Börse. Nummer 40 erlaubt sechs ausländischen Banken, die Kontrolle über das irakische Bankwesen zu übernehmen. Steuern für Unternehmen werden (Order 49) von maximal 40 auf höchstens 15 Prozent gesenkt – wie die Einkommenssteuer. Der Ölkonsum wird rationert, Order 36, um möglichst viel zu exportieren; die Einkünfte fliessen in den „Aufbaufonds“, den die Amerikaner verwalten. Von schätzungsweise 25 Milliarden Dollar in diesem Fonds sind erst einige Hundert Millionen ausgegeben – mit ein Grund für die Bitterkeit der Bevölkerung.

Dass dieses Paradies andauere, dass Konzerne wie Bechtel oder Vizepräsident Dick Cheneys Halliburton lange ungestört marodieren können, dafür hat Bremer gesorgt. Wäre Interimspremier Allawi nicht der Mann, der er ist, könnte er versucht sein, Bremers Erlasse durch Gesetze ablösen, die dem Irak freundlicher gesinnt sind. Dagegen steht die faktische Macht von Militär und Finanzen. Zudem haben die USA den Geheimdienstchef und einen Sicherheitsberater auf fünf Jahre fest ernannt. Order 57 gibt jedem Minister einen Generalinspekteur mit allen Befugnissen bei, ebenfalls auf fünf Jahre. Zweihundert US-Berater , der Regierung zugeordnet, sorgen für das richtige Klima.

Sollte im Januar oder irgendwann gewählt werden, behalten die Amerikaner den Irak im Griff. Eine „unabhängige Wahlkommission“ (Order 92) kann alle Kandidaten und Parteien von der Wahl ausschliessen, die bewaffnete Kräfte unterhalten (haben), (Order 97 vom 7. Juni: „No political entity may have or be associated with an armed force, militia or residual element...“). Ein Willkür-Dekret: Gleichsam alle politischen Gruppen fallen darunter; auch Allawi brüstet sich gerne mit der Miliz seiner Bewegung Iraqi National Accord (INA). Nur den USA genehme, handverlesene Köpfe werden also das erste Parlament und die erste rechtmässige Regierung des Irak zieren. Eine Medienkommission soll verhindern, dass diese Umstände ruchbar werden.

Da freut sich das „Wall Street Journal“: Bremer habe „in aller Stille mächtige Hebel“ geschaffen, die noch lange nach der Übergangszeit „den USA erlauben, jede wichtige Entscheidung der Interimsregierung zu beeinflussen“.

Über dieser Lektion in Demokratie fällt ein fundamentaler Fakt aus dem Blick: Bremers Nachkriegsordnung ist, im gültigen Völkerrecht, rundum illegal. Sie verstösst, hübsches Paradox, sogar gegen die U.S. Army’s Law of Land Warfare.

Was ein Besatzer tun darf und was er unterlassen muss, ist in der Haager Landkriegsordnung von 1907 und in der Vierten Genfer Konvention geregelt. Die Interpretation der Regeln ist für den Völkerrechtler Professor Daniel Thürer und die relevante Literatur eindeutig: Eine Besatzungsmacht darf Massnahmen ergreifen, die der Sicherheit dienen, wie etwa Dekrete zur Entwaffnung, zur Schaffung von Polizeikräften, zur öffentlichen Ordnung oder Bremers bizarre „Public Notice“ über das Verbot getönter Autoscheiben. Mag sein, sogar sein Importverbot für Filme „contrary to public norms“ fiele darunter.

Keinesfalls aber darf die Besatzungsmacht das Grundgesetz des Landes umstürzen oder Gesetze erlassen, die seine Wirtschaftsstruktur verändern und massiv in gesellschaftliche Verhältnisse eingreifen. Eigentum ist durch Artikel 46 des Haager Übereinkommens geschützt, öffentlicher Besitz wie Staatsunternehmen sind dem Privateigentum gleichgesetzt (Art. 56). Ganz abgesehen vom allgemeinen Plünderungsverbot, ist der Besatzer nur „Nutzniesser“ des öffentlichen Besitzes – er muss „den Bestand dieser Güter erhalten“ (Art.55). „In dieser Regelungen spiegelt sich der Kompromiss zwischen dem Faktum der Besatzung und dem Grundsatz, das überkommene Recht zu schützen“, sagt Thürer.

So flagrant schien ihm der Rechtsbruch, dass Britanniens Kronanwalt Lord Goldsmith Premierminister Tony Blair warnte, „die Durchsetzung grosser wirtschaftlicher Strukturreformen“ sei „nach Internationalem Recht nicht zulässig.“

Strittig möchte allenfalls sein, ob der UN-Sicherheitsrat das Kriegsrecht teilweise ausgesetzt habe. Doch Resolution 1483, auf die Bremer sein Regime baute, behaftet die Koalition „to comply fully with their obligations under international law includig in particular the Geneva Conventions of 1949 an the Hague Resolutions...“

Doch ein ganz anderer Knackpunkt treibt Völkerrechtler und Internationale Organisationen wie das IKRK um: Ist die Besetzung der Irak überhaupt beendet? Die Sicherheitsrat-Resolution 1546 vom 8. Juni behauptet es. Aber Artikel 42 der Haager Landkriegsordnung definiert: „Ein Gebiet gilt als besetzt, wenn es sich tatsächlich in der Gewalt des feindlichen Heeres befindet.“ Der Status ist kein Paragraphen-Geplänkel. Er hat Folgen. Gilt Resolution 1546, darf etwa das IKRK kein automatisches Besuchsrecht der Gefangenen mehr einfordern...

Kann der Sicherheitsrat gegen Internationales Recht verstossen? Im Prinzip jein. Unter Völkerrechtlern, erläutert Professor Thürer, stehen sich zwei Schulen gegenüber. Die UN treten immer öfter als globaler Gesetzgeber auf, mit einer Übergangsverfassung im Kosovo etwa, oder mit Beschlüssen zu Ost-Timor und Kambodscha. Das begrüsst die eine Schule: Der Sicherheitsrat als Keimzelle einer Weltregierung habe ohnehin einen schweren Stand, man solle ihn nicht handlungsfähig machen. Nein, widersprechen andere Völkerrechtler, auch die Organe der UN sollten vom Recht in Schranken gehalten werden.

Arbitrieren könnte die Frage der Internationale Gerichtshof in Den Haag. Aber der muss hier passen: Die USA haben seine Kompetenz nie anerkannt. So ist die Internationale Ordnung mit der Laküne fehlender Justitiabilität geschlagen, mithin den Machtverhältnissen ausgesetzt. Recht, das nicht durchgesetzt werden kann, ist nichtig.

Dennoch hält sich in der Öffentlichkeit und bei vielen Denkern die Hoffnung, der historische Trend zur Weltinnenpolitik mit global gültigen Regeln setze sich fort, aus den Vereinten Nationen werde, nach diversen Häutungen, eine Weltregierung. Für den nötigen Druck sorge die erwachende globale Zivilgesellschaft, der Kampf um Menschenrechte, Demokratie, Entwicklung. Am Ende steht, gleichsam als freundliches Erbe des blutigen 20. Jahrhunderts und menschliches Ur-Projekt, eine Transnationale Demokratie.

Dagegen steht, was US-Strategen, Juristen und Denker als „Empire“ oder „Soft-Imperialism“ formulieren, etwa der Thinktank PNAC, der mit 17 Ministern, Staatssekretären und führenden Beamten die Bush-Regierung kaperte: In Ahnlehnung an Hobbes nehmen sie für sich in Anspruch, der neue Hegemon zu sein. Einzig eine transzendente Macht („tertium inter pares“), eine globale Aristokratie und ihre Kriegerkaste sei in der Lage, ein sicheres internationales System zu bilden. Paul Wolfowitz, Nummer 2 des Pentagon, Bremers Chef und Vordenker der Vierten Rechten hat das zur Bush-Doktrin verdichtet. Inzwischen hängen auch immer mehr europäische Denker, selbst im vermeintlich liberalen Lager, diesem autoritären Projekt an.

Völkerrecht regelte zuerst nur die Koexistenz der Nationen. Dann neigte es zum Kooperationsrecht. Professor Thürer, dem man keine Blauäugigkeit unterstellen kann, möchte danach fragen, wie dieses Potential ausgeschöpft werden könne, „wie die Grundwerte des Rechts bestmöglich realisiert werden, statt fatalistisch zu fragen, was auf uns zukomme.“ Das Entstehen des Internationalen Strafgerichts gegen den US-Widerstand etwa scheint ihm bemerkenswerter als Washingtons Ausscheren.

Wir stehen, noch blind, in einem Epochenbruch. Am Fall Irak lässt sich bemessen, wie es um das Ringen Weltgewaltordnung (Karl Otto Hondrich) gegen Weltgesellschaft steht.

Die USA haben in den letzten Jahren Völkerrecht nicht nur verletzt, sondern für nichtig erklärt. Der „gerechte Krieg“ war mit Bann belegt – bis George W. Bush ihn rehabilitierte. Verbot von Angriffskrieg, Präventivschlag, atomarem Erstschlag, Atomkrieg gegen eine Nicht-Atom-Macht... Der Präsident dekretiert, derlei gelte nicht für die USA. UN, Klimaschutz, Strafgericht, Anti-Personen-Minen etc.: Washington sabotiert. Menschenrechte? Im Namen von Demokratie und Menschenrechten lässt Bush foltern, illegal einkerkern, liquidieren. Die Liste wird jeden Tag länger. Darüber zerfällt rasch, was sich hoffnungsvoll als Internationale Rechtsordnung zur Zähmung des Krieges und des Unrechts abzeichnete.

Naiv, wer glaubte, Bushs Warlords hätten im Irak gefoltert oder die afghanischen Gefangenen in Guantanamo aus jedem Menschenrecht fallen lassen, weil sie nur auf diesem Wege zu Erkenntnissen über islamische Gruppen zu kommen glaubten. Männer wie Wolfowitz wissen, dass sie für ihr Projekt Laboratorien brauchen, dass der Kampf um die Köpfe nur zu gewinnen ist, wenn sie Verletzung des errungenen Rechts durch die Macht immer wieder inszenieren.

Im Labor Irak offenbart sich diese Ambivalenz: Das Empire kann seine Gewalt (und sein Gewaltmonopol) als legitim darstellen, wenn sie für höhere Ziele wie Sicherheit, Demokratie, Menschenrechte und „ewigen Frieden“ ausgeübt werden. Zum anderen gedeiht das Projekt Empire nur im permanenten Krieg, in der massenhaften Produktion von Feinden, Barbaren, Monstern. Die Folterbilder von Abu Ghraib wurden nicht klandestin geschossen – Offiziere für psychologische Kriegsführung hatten sie angeordnet.

Der Hebel zu Bushs „unbegrenztem Krieg“ ist die Inszenierung eines Kampfs der Kulturen. Kaum ein Kommentator fragt, warum Bremers Verwaltung, die mit immensen Mitteln, militärischer Herrschaft und dem Befreier-Bonus ausgestattet war, alle Regeln Internationalen Rechts verletzt hat, die zur Kollaboration bereite shiitische Mehrheit brüskierte, jede erdenkliche Spannung anheizte, die Grundversorgung nicht sicherstellte, keine Arbeitsplätze schuf, kein Geld unter die Leute brachte, den unpopulärsten Mann an die Spitze der Interimsregierung setzte, die von Bremer selbst gegebene Interimsverfassung, die Demokraten, Kurden, Frauen gewisse Rechte gab, wortlos fallen liess... und Bremer doch jeder Order die Formel voranstellte: „In Übereinstimmung mit dem Internationalen Recht und in Anerkennung der vollen Souveränität des irakischen Volkes...“.

Milde Seelen billigen Bremers Unfähigkeit zu. Sie könnten die Blaupausen der Thinktanks lesen. Heritage-Foundation, American Enterprise Institute oder PNAC setzen im Kampf der beiden Weltordnungen auf die „kreative Zerstörung“, sie postulieren die Zerschlagung der Rechtsnormen als Voraussetzung für Hegemonie. Die UN beziehen sie nur in den Prozess ein, um sie besser zu liquidieren. Recht schaffen sie, um es zu desavouieren. So beschleunigt jede Krise des Empires seine Errichtung.

Anders als das Römische Reich, suchen die Empire-Erbauer Dominanz nicht durch globale Rechtslegung, sondern durch die Schleifung universellen Rechts. Warum sollten Kapital und globalisierte Eliten, die gerade glücklich die Fesseln nationaler Gesellschaften abgeschüttelt haben, sich heute unter das Joch einer neuen Rechtsordnung begeben?

Das Empire herrscht nicht durch das Gesetz, sondern durch den permanenten Ausnahmezustand. Der erweist sich, wie Giorgio Agamben schreibt, „immer mehr als das herrschende Paradigma des Regierens.“ Was zumindest den Vorteil hat, unser Verständnis von Recht und Contrat social und Ordnung vom Kopf wieder auf die Füsse zu stellen.

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