trainingslager für philanthropen
niels böing, auf dem malawi-see, februar 2005

An Afrika prallt jeder Goodwill ab. Notizen vom Scheitern eines Europäers

Zwei Monate fahren wir nun schon durch Ostafrika, und mit jedem Kilometer verstehen wir weniger. Die Oberfläche ist phantastisch, Rift Valley, Savannen mit Zigtausenden von Tieren, tropische Palmenstrände, überbordende Märkte, Menschen in bunten Gewändern, Moscheen und Kirchen selbst in der hintersten Halbwüste. Das Auge schlingt und schlingt, bis mir flau wird von all den Eindrücken. Aber afrika selbst scheint mir dabei zu entgleiten, ja mich zurückzuweisen, je näher ich mich herantaste. Keine spirituelle Faszination schlägt mich in ihren Bann wie in asien.

Stattdessen fühle ich den Kolonialismus von einst wie einen Bumerang auf mich niedersausen, mich den Mzungu, den Faranji, weiss wie ein Leuchtturm, der sich nicht verstecken kann. Ich will nur Beobachter sein und werde überall auf meinen vermuteten geldsack hin abgescannt. Jedes Gespräch, jede hilfsbereite Geste endet in einer ausgestreckten Hand.

Ostafrika am Anfang des 21. Jahrhunderts ist mir ein unentwirrbares Knäuel aus Träumen von einem besseren Leben, latenter Gewalt, Enttäuschung und Ausbeutung. Mir brennt sich ein Bild ein, wieder und wieder: von Menschen - eigentlich sind es fast immer junge Männer -, die am Strassenrand warten und nicht wissen, worauf. Alte Menschen sind eine Rarität, die jungen dafür allgegenwärtig mit ihrer Gier nach Leben, ihrer Rohheit, ihrem Machismo und ihrem Nicht-wissen-wohin-mit-sich. Nicht anders als bei uns, nur in einem Ausmass, das ich von zuhause nicht kenne. Ostafrika, das sind künstliche Nationen in einer kollektiven Pubertät.

Der Westen leuchtet und ist doch verhasst, weil zu mächtig, so erwachsen, brutal und gütig zugleich, eine unerträgliche Anmassung, die auch allzu oft wahr ist. Und gerade deshalb eine allzu billige Entschuldigung. "But what can we do?" und "This is Africa" sind die ewigen letzten Worte, wenn wieder etwas irreparabel im Eimer ist, wenn eine neue einheimische Elite zur nächsten Bereicherungswelle ansetzt und der Geldstrom des Westens verdunstet, bevor er ein Pflänzchen in der Provinz benetzen konnte, wenn man seinen Arsch nach 24 Stunden "Ass working" wieder nicht hochbekommen hat.

Afrika, ja gerade Ostafrika, war die Wiege der Menschheit, und hier liegt auch die Zukunft. Denn irgendwo zwischen Baobabs und Akazien und Grashütten muss die Frage beantwortet werden, ob und wie Hass und Gewalt überwunden und ein Gutes leben auch für die Dreiviertel der Menschheit möglich sein kann, die nicht im Westen geboren wurden.

Wir Westler haben keine überzeugenden Antworten mehr, haben auch lange genug den Klugscheisser gespielt. Uns bleibt nur eins: nicht auch noch in Nihilismus zu verfallen, mit dem unser kanadischer Freund Curry-Kalle seine Afrikaerfahrung resümiert, und gleichzeitig mit diesem philanthropischen Flanieren und Posieren auf dem Laufsteg intellektuellen Goodwills zuhause aufzuhören. Kümmern wir uns lieber um unseren eigenen Mist, der sich im Westen hoch genug auftürmt.

Ich für meinen Teil werde mich bis auf Weiteres der konsequenten "Lokalisierung" verschreiben. No sleep till pauli.

[zurück zum Anfang]



© 2005 km 21.0 - diese Seite ist Bestandteil von www.km21.org