er holt die feinde
ins eigene bett

Sven Boedecker, Zürich, Juli 2002

Der Verleger Gerhard Riemann gibt der Globalisierungskritik eine Stimme. Das Verblüffende: Er tut das im Bertelsmann-Konzern

Auch Kulturjournalisten haben eiserne Überzeugungen. Auf ihrer Ewigen Bestenliste rangieren zwei ganz weit oben. Erstens: Der Bertelsmann-Konzern ist der Totengräber der Hochkultur. Zweitens: In seinen Verlagen (C. Bertelsmann, Goldmann, Blanvalet etc.) ist praktisch noch nie ein gescheites Buch erschienen.

Wenn man den Verleger Gerhard Riemann mit diesem Umstand konfrontiert, muss er lächeln. Weil er ein friedfertiger Mensch ist. Und weil er weiss, er könnte jetzt aufstehen, ins Regal greifen und sagen: Hier ist meine Naomi Klein, mein Eric Schlosser, mein «Schwarzbuch Globalisierung». Schon wäre wieder ein Journalistenmaul gestopft. Aber das würde der zurückhaltende 53-Jährige nie tun.

Der Riemann-Verlag gehört zu Random House Deutschland, wie die Bertelsmann-Buchhäuser neuerdings heissen. Er ist einer von 26 Verlagen, deren Plexiglasschildchen vor dem Eingang zur trutzburgähnlichen Bertelsmann-Zentrale in München-Ost in die Wand geschraubt sind. Je 13 Namen in zwei imposanten Kolonnen. Riemann steht auf der linken Seite. Ein Zufall kann das kaum sein.

In keinem andern deutschsprachigen Verlag ist radikale Globalisierungskritik zurzeit so breit vertreten wie bei Riemann. Bücher, die man bei Ammann, Hanser, Kiepenheuer & Witsch, Pendo, Wagenbach oder Kunstmann erwarten würde - hier werden sie verlegt.

Riemann will die Zeitkrankheiten der Epoche zeigen

Naomi Klein etwa. In ihrem Weltbestseller «No Logo» hat die Kanadierin den Markenwahn unserer Gegenwart attackiert: Firmen wie Nike, Disney oder H & M verkaufen heutzutage vor allem Lebenseinstellungen, die durch ein Markenlogo symbolisiert werden. Um dieses Image aufzubauen, müssen Milliarden ins Marketing gesteckt und auf der Produktionsseite wieder eingespart werden. Klein hat auch bei den Verlierern dieser Entwicklung recherchiert, in den Freihandelszonen der Dritten Welt. Und beispielsweise herausgefunden, dass ein haitianischer Arbeiter, der für Disney Schlafanzüge zusammennäht, 16,8 Jahre arbeiten muss, um die 9783 Dollar zu erreichen, die Disney-Chef Michael Eisner pro Stunde verdient.

Naomi Klein ist so etwas wie die Ikone der weltweiten Antiglobalisierungsbewegung, die bei den Wirtschaftsgipfeln in Seattle oder Genua aufbegehrte. Sie gilt heute als «einflussreichste Person unter 35 Jahren» («The Times»). Der französische Schriftsteller Frédéric Beigbeder («Neununddreissigneunzig») zählt zu ihren grössten Fans. Der Sonntagszeitung sagte er: «Naomi Klein ist der Karl Marx meiner Generation - allerdings ist sie viel schöner, denn sie hat keinen Bart.»

Neben «No Logo» funkeln im Riemann-Programm weitere Edelsteine. Im «Schwarzbuch Globalisierung» schreiben renommierte Autoren wie Hermann Scheer, Edward Goldsmith (beide alternative Nobelpreisträger), Wirtschaftswissenschaftler und Finanzexperten über die destruktiven Einflüsse von multinationalen Grosskonzernen, von Internationalem Währungsfonds und Weltbank auf Arbeitsmärkte, Menschenrechte und Klima. Der Band «Affluenza» wiederum diagnostiziert den Konsumwahn als eine Triebfeder dieser Entwicklungen, als Zeitkrankheit unserer Epoche, die dringend zu behandeln sei. David McTaggart, Gründer von Greenpeace International, erzählt in seiner Autobiografie «Rainbow Warrior» vom Kampf gegen Atomwaffenversuche oder vom kommerziellen Walfang. Und in «Fast Food Gesellschaft», einer brillanten Mischung aus Reportage und Analyse, untersucht der Amerikaner Eric Schlosser die Auswirkungen der industrialisierten Nahrungsversorgung. Diese Industrie zerstört unterschiedlichste soziale Traditionen, macht die Bevölkerung krank, fördert Billiglohnarbeit und Tierquälerei und ist sogar lebensgefährlich: «1998 kamen in den USA mehr Fastfood-Mitarbeiter bei der Arbeit ums Leben als Polizisten.»

Eine beeindruckende Ansammlung von Kulturkritik, die unseren Zivilisationsstand radikal in Frage stellt. Und Bücher, die Leser klüger, mündiger machen. Wie, um Himmels Willen, kommt ein ehemaliger Esoterik-Lektor denn dazu? «Ich versuche Themen zu finden, die gesellschaftliche Relevanz haben und die uns als Kollektiv voranbringen», sagt Riemann in seinem Büro, das - vermutlich als Strafe für das renitente Buchprogramm - bloss geschätzte 16 Quadratmeter misst.

Die Vorzeigeautorin Naomi Klein will trotzdem weg von Bertelsmann

Einmal im Jahr fliegt er nach New York. Dort fallen ihm neben den riesigen Wolkenkratzern immer wieder die kleinen Kirchen auf. «In dieser Stadt wird das Grösser! Schneller! Mehr!, dieses Machtstreben besonders deutlich, gegenüber dem das Reflektierende ins Hintertreffen geraten ist. In meinem Buchprogramm will ich andere Schwerpunkte setzen.»

Wie das wohl der Vorstandsvorsitzende Thomas Middelhoff findet, der gerne aus seinem New Yorker Büro im 24. Stockwerk des Bertelsmann-Gebäudes auf den Times Square blickt? «Vermutlich ist mein Programm wirtschaftlich viel zu klein, um in der Chefetage überhaupt bemerkt zu werden.» Riemann schweigt für einen Moment, er weiss, wir sind bei der zentralen Frage angelangt: Bertelsmann als Heimstatt von Globalisierungskritik. Eigentlich unbegreiflich. «Die Ideen, die in diesen Büchern verbreitet werden, laufen einer Konzernideologie, die auf ein Wachstum ad infinitum gerichtet ist, klar zuwider. Das ist in der Tat ein Widerspruch.»

Im eigenen Haus mache ihm das so lange keine Schwierigkeiten, wie die Bücher schwarze Zahlen schreiben. Und Gewinn - wie gross auch immer - werde erzielt. Aber damit ist das Problem nicht erledigt. Da sind noch die Autoren. Die meisten stört die Verbindung nicht, erhoffen sie sich doch vom starken Bertelsmann-Vertrieb eine bestmögliche Verbreitung ihrer Bücher.

Aber damit ist das Problem immer noch nicht erledigt. «Es gibt auch Fälle, wo sich die Bertelsmann-Anbindung als Nachteil herausgestellt hat», räumt Riemann ein. Und jetzt kommt die böse Überraschung: «Naomi Klein hat grosse Schwierigkeiten damit, ihr nächstes Buch bei uns zu publizieren, da sie heftige Kritik an der Politik von Konzernen übt.» Deutschsprachige Reporter haben sie ständig auf die Verbindung angesprochen. Offenbar hat dies jetzt Konsequenzen. Der Verleger will zwar noch nicht glauben, dass die Sache entschieden ist, doch der Mail-Kontakt zwischen ihm und der Autorin ist fürs Erste abgerissen. Gerhard Riemann könnte also Opfer seines eigenen Wagemuts werden.

Schon in diesem Frühjahr ist eine weitere profunde Kritik am Internationalen Währungsfonds nicht bei Riemann erschienen: «Die Schatten der Globalisierung», geschrieben von dem ehemaligen Chefökonomen der Weltbank und Nobelpreisträger für Ökonomie, Joseph Stiglitz. Die Kulturjournalisten dürfen jedoch nicht aufatmen. Stiglitz kam im Siedler-Verlag heraus - auch der gehört zu Bertelsmann.

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Bei Riemann: Die Kosten von Fast Food und die globale Ausbeutung der Welt

Eric Schlosser:
«Fast Food Gesellschaft»
Eine Sozialreportage aus der Welt des industriell gefertigten Essens. Schlosser recherchiert in Burger-Buden und Schlachthöfen, bei Aromawissenschaftlern und einfachen Arbeitern. Er zeigt, dass Fastfood weit mehr kostet, als der Kassenbon sagt.

Naomi Klein:
«No Logo»
Die Bibel der Antiglobalisierungsbewegung. Klein zeigt, wie Konzerne heutzutage alles vermarkten, immer stärker den öffentlichen Raum besetzen und die Dritte Welt ausbeuten. Zugleich dokumentiert sie den weltweiten Widerstand gegen die Multis. (siehe Zusammenfassung von Naomi Klein)

David McTaggart:
«Rainbow Warrior»
Die Autobiografie des Gründers von Greenpeace International. McTaggart erzählt, wie er aus einem versprengten Häuflein kanadischer Protestler ab 1979 eine schlagkräftige und international tätige Truppe im Kampf gegen ökologische Verbrechen machte...

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