"kampf um werte und zukunft"
Interview mit Sergio Cofferati, von Oliver Fahrni, Bologna, Juni 2004

Sergio Cofferati, bekannter italienischer Gewerkschaftler, ist bei der Kommunalwahl in Bologna im Juni als Kandidat eines Bürgerbündnisses ins Rathaus eingezogen. Zur Entstehung des Bündnisses, seinem Politikverständnis und der Strategie gegen Berlusconi äußerte er sich wenige Tage vor der Wahl.

km 21.0 Sie sind der Mann, der Millionen BürgerInnen auf die Strasse gebracht hat, gegen den Sozialabbau und für die Bürgerrechte. Die linken Parteien waren wie gelähmt vor Berlusconi, sprachlos und zerstritten. Aber Sie haben sich dem Premier in den Weg gestellt, mit ihrer Gewerkschaft CGIL und den Girotondi und den anderen Bewegungen. Viele ItalienerInnen hätten Sie sich nun als Kandidaten des linken Bündnisses gegen Berlusconi gewünscht.

Cofferati Wir haben den richtigen Kandidaten: Romano Prodi.

km 21.0 Also Bologna. Warum Bologna?

Cofferati Als mein Mandat bei der CGIL ablief, dachte ich ans Publizieren, vielleicht ans Europaparlament. Einer der entscheidenden Gründe, die Kandidatur anzunehmen, war der Prozess, den die Bologneser erfunden haben, um ihren Kandidaten auszuwählen: Quartierversammlungen, die Wahl von Delegierten, schliesslich die Vollversammlung im vergangenen Januar.

km 21.0 Dieser lange Prozess war eine Reaktion der Girotondi und anderer Teile der Zivilgesellschaft auf die Unfähigkeit der linken Parteien, eine alternative Politik gegen Bürgermeister Guazzaloca hier, gegen Berlusconi im Land zu entwerfen. DS, Margherita und Rifondazione communista sind in den vergangenen zwei Jahren von ihren unzufriedenen Wählern hart durchgeschüttelt worden. Ohne die Girotondi gäbe es wohl keinen Kandidaten Cofferati in Bologna?

Cofferati Ich bin überzeugt davon, dass unsere Kraft davon abhängt, dass wir eine enge Beziehung zwischen den traditionellen Formen der Politik und den neuen Bewegungen schaffen, ob diese nun einen weiteres Feld haben (etwa das Soziale, die Immigranten...) oder ob sie gegen einen bestimmten Misstand kämpfen (Schulreform, Elektrosmog...). Von diesem Bewegungen kommen die Impulse und sehr viele Lösungen.

km 21.0 Wie wollen Sie das tun, einmal gewählt?

Cofferati Diese bisher informelle Beziehung muss eine Kontiuität bekommen. Voraussetzung ist, dass die Parteien in diesen Bewegungen keine Bedrohung sehen, umgekehrt müssen die Bewegungen verstehen, dass die politische Durchsetzung ihrer Ziele die Parteien braucht.

km 21.0 800 Delegierte haben Sie zum Kandidaten gekürt. Werden Sie diese Versammlung regelmässig konsultieren?

Cofferati Wir arbeiten daran, eine Form zu finden. Ich werde die Delegierten in wichtigen Fragen konsultieren. Einige von ihnen sind auf meiner Liste. Eine andere, partizipative Politik ist das Ziel. So etwas gibt es noch nicht. Wir müssen es also entwickeln. Das kann nicht darauf hinauslaufen, dass die Regierung ihre Verantwortung abgibt. Es gibt eine Ethik des Entscheides. Die Regierung muss entscheiden. Aber zuerst werden die wichtigen Fragen ausgelegt, die Einwände diskutiert, ein Konsens gesucht. Finden wir ihn, ist es gut. Ich erhoffe mir sehr viel davon. Stellt sich die Übereinstimmung am Ende nicht ein, haben wir unterwegs immerhin das Vorhaben verbessert und gegenseitigen Respekt gewonnen.

km 21.0 Die Wiedererweckung der Linken durch die Bürgerbewegungen und Gewerkschaften... Frankreichs Sozialisten sind auch gerade auferstanden. Bei den letzten Regionalwahlen haben sie Städte und Regionen gewonnen und sie haben daraus ein Konzept gemacht: Linke lokale Macht gegen rechte Zentralregierung.

Cofferati Gewinnen wir Bologna, wird dies sicher ein Signal für den Niedergang der Berlusconi-Regierung. Doch die Idee lokaler Gegenmacht ist ambivalent. Uns geht es hier zuerst um eine andere Form des Regierens, um eine neue Qualität. Wir wollen nicht zurück in die Zeit vor 1999, wir wollen ein neues Bologna erfinden. Gelingt mir die Gute Regierung, würde dies allerdings die Kräfteverhältnisse im Land verändern.

km 21.0 Gute Regierung?

Cofferati Die Dinge an die Hand nehmen. Mit der Vorstellung brechen, in Bologna laufe alles wie von selbst. Hier liegen hervorragende Chancen brach und der Wille und die Energie Vieler, die Stadt zu verändern. Wir müssen gute Bedingungen schaffen für jene, die etwas bewegen, und wir müssen die Schwächeren schützen. Bologna braucht ein Projekt, eine Vision. Seine Öffnung: Wir werden unsere Stadt wieder ins Zentrum Europas stellen. Wir werden sie solidarischer und empfänglicher machen. Eine Stadt für den Frieden. Eine Stadt, die produziert, Güter und neue Ideen, Kultur und gutes Leben. Eine Stadt der neuen Politik. Partizipativ handeln und klar entscheiden.

km 21.0 Sie wollen gegen die alten Familien, gegen die Stiftungen, gegen das neue Finanzkapital und das Immobilienkapital ankommen? Die Vorstellung, Politik könne was ausrichten, hatten die linken Parteien, die Sie unterstützen, doch gerade liquidiert?

Cofferati (macht eine unwirsche Handbewegung) Politik ist vielleicht schwierig, aber sie ist möglich und notwendig. Politik, die gestaltet, ist zentral für jede Gesellschaft.

km 21.0 Ich habe von Ihnen sogar das Wort Dienen gehört?

Cofferati Politik ist Dienst im höchsten Sinne des Wortes: Dienen an der Gemeinschaft, Kampf um Werte und Zukunft.


Mehr über Bologna: "Europas neues Demokratie-Labor"

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