wissen ist macht

Von den verschiedenen Wegen menschlicher Erkenntnis ist der wissenschaftliche in den letzten Jahrhunderten nicht zufällig zu seiner Dominanz gekommen. Und unter den wissenschaftlichen Erkenntnismethoden hat sich folgerichtig die logisch-analytische als die mächtigste erwiesen. Denn sie ist als einzige dem kapitalistisch-industriellen Zeitalter angemessen.

Sie ermöglicht große Effizienz beim Erkenntniszuwachs und führt zu einer schnellen Ausdifferenzierung in Spezialdisziplinen, analog der Entwicklung des Wirtschaftssystems. Sie ist in der Lage, Herrschaftswissen für die Mächtigen des Industriezeitalters zu produzieren, d.h. technisch verwertbares Wissen. Den Zwang zur Quantifizierung finden wir im Kapitalismus in Gestalt des Preises, der alles regeln soll, wieder.

Gibt es Argumente aus der Geschichte, die für diese Vermutung sprechen? Im Mittelalter gab es keine strikte Trennung zwischen Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften, und wegen des im wesentlichen nichtempirischen Charakters der damaligen Wissenschaften hatte das Messen, also das Quantifizieren keine zentrale Bedeutung. Die Wissenschaft war Adel und Klerus vorbehalten und brachte Wissen hervor, das ihre Macht legitimieren konnte. Und diese beruhte nicht zuerst auf wirtschaftlichen Bedingungen, sondern auf solchen Konstrukten wie dem Gottesgnadentum. Technisch verwertbares Wissen stand in einem mehr oder weniger theokratischen Staat nicht im Vordergrund.

Der Aufstieg des Bürgertums in den freien Städten, den neuen Handelszentren, seit der Renaissance fällt nicht zufällig mit der Aufklärung und der Entwicklung der modernen Naturwissenschaften zusammen. Die Gründung von Universitäten in den Städten, in denen sich ein reiches, selbstbewußtes Bürgertum formierte, erweist sich als Machtpolitik. Die kommende Elite fördert ein neues Weltbild.

Wie ist dann der Paradigmenwechsel im physikalischen Weltbild im 20. Jh., für den neben der Quantenmechanik auch die Relativitätstheorie und die noch junge Chaostheorie stehen, zu bewerten? Sind diese Theorien mit ihrer noch nicht voll erfaßten Bedeutung Indikatoren einer bevorstehenden Umwälzung von Machtstrukturen? Welche Zivilisation kann ihnen entsprechen?

Bisher läßt sich keine Lobby der neuen Paradigmen ausmachen. Der Paradigmenwechsel hat den kapitalistischen Status Quo nicht angetastet. Die Mächtigen konnten die neuen Theorien sogar machtsteigernd einsetzen, in Form von Kernwaffen und Kernkraft. Aber von der Revolution eines Weltbildes zur Revolution des Machtgefüges ist es ein weiter Weg: Die kopernikanische Revolution 16. Jh. fand lange vor der ersten großen bürgerlichen Revolution 1789 statt.