International APO:
"We're back in the 60s"

Niels Boeing, Hamburg, April 2003

Nach 9/11 kommt 19/3: Der Beginn des Irak-Kriegs ist zugleich die Geburt einer neuen weltweiten Opposition, die über die Globalisierungskritik hinausgehen wird. US-Amerikaner aller Milieus gehören dazu.
US-APO der Straße
US-APO der Bürger
International APO

Als der Irak-Krieg am Mittwoch, den 19. März, beginnt, sitze ich mit einem Kaffee in der Hand auf dem Bürgersteig des Ex-Hippieviertels von San Francisco, Haight-Ashbury, und blinzel in die kalifornische Sonne. Ein Zufall: Ich will eigentlich nur zu einer Konferenz am Nasa Ames Research Center, wo über Aliens und Astrobiologie nachgedacht wird. California at its best erleben. Aber auf dem Tresen des Cafes klebt ein Handzettel, der zur Spontandemo aufruft: "When the war starts - protest at 5 PM at Powell & Market".

Ja, der Krieg, denke ich. Wie unwirklich. Alles ist gelassen, Hiphop dröhnt aus einem geparkten SUV gegenüber, während auf der anderen Seite des Globus der unvermeidbare Krieg beginnt. Kann das sein? Ich fahre Richtung Market Street, auf der Suche nach der Demo. Nichts zu sehen. Alle hasten über San Franciscos Hauptstraße wie immer. Keine Polizeisirenen. Ich fahre aus der Stadt, es fängt an zu regnen. Im Radio höre ich, dass sich dann doch ein paar tausend Leute versammelt haben. Mehr nicht?

Am nächsten Tag ist auf den "Straßen von San Francisco" die Hölle los. Aber ganz anders als zu den Zeiten von Karl Maldens und Michael Douglas' Verbrecherjagd. Zahlreiche Grüppchen ziehen, per Handy koordiniert von den Aktivisten von Direct Action oder International A.N.S.W.E.R., durch die Hauptstadt des verblichenen Internet-Hypes am Business as usual und blockieren Kreuzungen, zerstreuen sich, ziehen weiter. Der Verkehr im Financial District bricht streckenweise zusammen. BUSINESS as usual ist unmöglich geworden. Und die Demonstranten haben ihr erstes Ziel erreicht: Die im wesentlichen Bush-treuen Medien müssen konstatieren, dass es doch eine Opposition im Lande gibt - eine außerparlamentarische US-Opposition, denn im Kongress regt sich schon lange kein ernsthafter Widerstand gegen die Empire-Politik.

US-APO der Straße

Es ist eine wilde Mischung aus Studenten, Anti-Globalisierungsaktivisten, Punks, Alt- und Neo-Hippies, die täglich um 17 Uhr San Franciscos Verkehrsader, die Market Street, lahmlegt. "Impeach Bush", "preemptive war = terrorism with a western face", "carpet bombing is not the answer", "down with the american military junta" steht auf den Plakaten, und dazwischen flattert provokativ eine französische Flagge. Eine Gruppe, die aus einer Seitenstraße hinzustößt, wird mit begeistertem Pfeifen und Johlen empfangen. Über den Hochhäusern kreisen Hubschrauber, und schwarzgewandete Polizisten drohen Passanten, die die Straße überqueren wollen, eine Verhaftung an.

Das sind keine leeren Drohungen: Rund 2500 Demonstranten sind in den ersten Tagen des Protests verhaftet worden - und nicht wenige für das Verlassen des Bürgersteiges. So viel wie nie zuvor in der an Protesten wahrlich nicht armen Geschichte der Stadt, wie ein Sprecher des Radiosenders Pacifica ärgerlich feststellt. Wer sich über die Abgründe des US-Feldzugs ein Bild machen will, wird dort bestens informiert. Rund um die Uhr liefert Pacifica Interviews mit Wissenschaftlern, Politexperten oder kritischen Militärs, lädt Hörer dazu ein, ihren Protest als Poetry Slams in den Äther zu rappen, und kündigt die aktuellen Demotermine und -orte in der Bay Area an.

Die diskutiert inzwischen heftig, wieviel ziviler Ungehorsam der guten Sache wohl dienlich ist, ob damit nicht gar die Rechte unbescholtener Bürger angetastet würden. Während sich ein Teil der Demonstrantenszene von Sitzblockaden und zertrümmerten Papierkörben distanziert, verteidigen andere das radikale Vorgehen. "Die USA sind aus zivilem Ungehorsam entstanden", klärt eine Demonstrantin im Fernsehen einen verständnislos dreinblickenden Reporter auf. Und ihr Begleiter, um die Sache klarer zu machen, fügt hinzu: "We're back in the 60s."

US-APO der Bürger

Zurück in den 60ern? Für die einen ein Alptraum, für andere die große Hoffnung. Selbst auf der Konferenz im Nasa Ames Research Center südlich von San Francisco landet jedes zweite Gespräch beim Krieg und dem "Idioten, den wir jetzt als Präsidenten haben". Kaum einer, der nicht zumindest Unbehagen äußert. Selbst im drögen Silicon Valley, dass den Charme eines gigantischen Gewerbeparks hat, stößt man an der einen oder anderen Kreuzung auf versprengte Kriegsgegner, die den Autofahrern enthusiastisch ihre Plakate entgegenstrecken.

Etwas sei anders als beim Vietnamkrieg, und das stimme ihn optimistisch, sagt Nasa-Mann Don Scott. "Damals dauerte es Jahre, bis der Protest ins Rollen kam. Diesmal haben wir ihn direkt von Beginn des Krieges an." Das ist die positive Nachricht der vergangenen 14 Tage: Es gibt einen Widerstand gegen diesen Krieg, er geht quer durch alle Milieus, er findet ebenso in New York oder im Mittleren Westen statt. Das Amerika des George W. ist nicht DAS Amerika. Aber die anderen USA sind politisch nicht mehr vertreten. Sie wurden ausmanövriert von Jeb Bush in Florida im Januar 2001.

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Doch selbst da, wo nicht getrickst wurde bei den letzten Parlamentswahlen, stellt die Bevölkerung verwundert fest, dass ihre Regierung andere Interessen vertritt. In Großbritannien versteht kaum einer, was Blair umtreibt, und die Spanier stehen mitnichten einmütig hinter Aznar. Die Holländer, die Musterliberalen Europas, ärgern sich über das Rumgeeiere ihrer Regierung, die versucht, diese Tage zu überstehen, indem sie weder für Frieden noch für Krieg explizit das Wort ergreift. "Herr Verhofstad, kann ich Belgier werden?" schrieb ein Demonstrant kürzlich auf ein Plakat. Welch inneren Kampf muss er da ausgefochten haben, wo in Holland Belgier eigentlich nur für Witze taugen?

Dass sich so viele hierzulande von der Regierung in dieser Frage vertreten fühlen, ist sicher eine Kuriosität. Wir sollten aber nicht vergessen, dass Schröder die Ablehnung aus einem wahltaktischen Instinkt startete und Fischer keineswegs immer so radikal gegen Bushs Angriff wetterte wie etwa im Februar im UN-Sicherheitsrat. Die Lektüre des Kanzler-"Tagebuchs" im Spiegel vom 24. März ist da recht aufschlussreich. Als mir eine Demonstrantin in San Francisco sagt: "Tell Schröder that we really appreciate his policy" ist das wirklich zu viel des Guten.

Negri und Hardt sprechen in ihrem kontrovers aufgenommenen, aber dennoch epochalen Werk "Empire" von der Multitude, der Menge, die allein das Empire überwinden muss. Das ist sehr schwammig und deshalb zurecht kritisiert worden. Doch in diesen Tagen des Protestes auf den Straßen der Weltstädte bekommt diese Multitude ein Gesicht. Und siehe da, es ist - mindestens im Westen - vor allem das der Globalisierungskritiker, die kurz nach dem Genua-Gipfel durch 9/11 hart getroffen und bewegungs-unfähig wurden. Diese Lähmung ist endgültig vorbei: Der Irak-Krieg hat den Mythos von 9/11 schon wieder zerstört.

Aber, und das ist das entscheidende, über die breite Ablehnung des Neo-Imperialismus erweitert sich diese Opposition über die bisherige Globalisierungskritik hinaus. Es geht nicht mehr "nur" um die Interpretation weltumspannender ökonomischer Prozesse: Der Angriff auf den Irak bedroht das Fundament der modernen Zivilisation, das Völkerrecht, die prinzipielle Zurechnungsfähigkeit von Politik. Zugleich wird erstmals ganz offen durch die westliche Führungsmacht USA die uneingeschränkte Geltung der Menschenrechte in Frage gestellt. Das mobilisiert auch Menschen, die den Stories von der Brutalität internationaler Konzerne bisher misstraut haben.

9/11 war ein historisches Datum. 19/3 könnte sich als ebensolches erweisen: als die Geburtsstunde der Internatinal APO. We're back in the 60s.

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