der jahrhundert-plan
Oliver Fahrni, Hamburg, April 2003

Der Krieg im Irak ist für die USA nur ein Vorspiel. Ihr Ziel ist der Weltbürgerkrieg einer globalisierten Elite gegen den Rest der Menschheit. Aristokratische Herrschaftsformen des Altertums sind das Modell.

Ist dieses Leoparden-Teil von Malentino? Von Tior? Oder von Tommy Hilflos? Jeder amerikanische Krieg hat seine modischen Kollateralschäden. Nach Vietnam trug man Ray-Ban-Sonnenbrillen. Jetzt haben sie den Ausgeh-Kampfanzug erfunden. Tadellos. So steht er also, adrett gebügelt, jung, schwarz, ("süss!" , schreien Susi und Rodolfo) vor der kasernierten Journalistenschar im "Centcom" von Qatar und sagt: "Today, I have two clips for you." Wahrscheinlich hat ihn irgend eine Casting-Agentur gefunden. Er zeigt uns den ersten Humanitären Krieg. Wir kannten die humanitäre Intervention (Somalia), den Krieg ohne Bilder (Grenada), den Operetten-Krieg (Haiti) und ein paar Spielarten mehr. Die Clips sind die selben wie 1991. Irgend ein Viereck, er sagt "Bunker" oder "Chemiewaffenfabrik". Aha!, sagen wir – Flash. Playstation 4 (die Japaner sind diesmal auch in der Koalition der Genötigten, letztes Mal hat sie ihr Pazifismus hernach 11 Milliarden Dollar gekostet).

Nur die Tonspur ist wie verschoben: "Bunker” sagt er, und während die "Secret Squirrel" anfliegt: "Im Nachbardorf sind irakische Terroristen in Häuser eingedrungen und haben Säuglinge entführt, um ihre Väter zu zwingen, gegen uns zu kämpfen." Das soll den mangelnden Enthusiasmus der irakischen Bevölkerung besser erklären als die Erinnerung der Schiiten und Kurden an die neunziger Jahre, als die Amerikaner sie schon mal zum Aufstand aufstachelten, dann aber den Schlächtern Saddam Husseins überliessen. Flash. "Die Koalition der Willigen wird dies nicht davon abhalten, die Iraker zu befreien, Wir führen einen humanen Krieg."

Ob ihm das jemand glaubt, die Säuglinge oder die humanen Superbomben, kümmert die Texter hinter dem Offiziers-Darsteller nicht. Egal, wenn es nach Propaganda riecht, nach den Lügen des ersten Golfkrieges (wir erinnern uns: die Babies, aus Brutkästen gerissen...), nach den noch dreisteren Lügen und Schiebereien, mit denen dieser längst beschlossene zweite Krieg herbeigeredet wurde. Es geht nicht mehr um Propaganda, Propaganda will überzeugen, Massenverdummunsgwaffen müssen plausibel scheinen. Diesmal lautet die Botschaft nicht, Saddam Hussein sei ein übler Finger (das wissen wir), die Botschaft heisst: "Was immer wir euch erzählen – es ist der Text, den ihr runterzubeten habt. Die Wahrheit ist ein Popanz, die Geschichte zählt nicht. Wir haben die Macht. Basta. Entscheidet euch, ob ihr mit uns seid oder gegen uns."

Der italienische Journalist, der nachfragte, die Generäle, die vom Krieg warnten, die Nahostspezialisten, die ihn für unnötig und gefährlich halten (Saddam wäre zu entwaffnen gewesen, sein Sturz ist in der Entwicklung der irakischen Gesellschaft angelegt), sie alle verstehen nicht, dass dieser Krieg einer anderen Rationalität folgt. Ein paar Forscher und Autoren, die im Thinktank Cargo3 (Hamburg, Marseille) zusammenarbeiten, haben 17 Gründe erörtert, die Präsident George W. Bushs Warlords zum Kriegszug bewegt haben könnten. Geopolitische, geowirtschaftliche, gesellschaftliche und wir haben auch die privaten Interessen, Korruption etc. gewogen. Etliche Motive sind stark. Fraglos ist die Sicherung des Erdöls ein wichtiger Grund, vor allem, weil es den USA eine starke Position gegenüber den Konkurrenten Japan und Europa gibt, die vom nahöstlichen Öl stärker abhängen, als Amerika. Der Krieg als Konjunkturlokomotive (Ronald Reagans alte Strategie). Die Umverteilung des Wassers (unterschätzt). Die politische Neuordnung von Nahost. Die Verbindungen diverser Minister und Berater mit der Regierung Sharon (Perle, Feith, Wolfowitz, Kristol...). Langfristig: Die militärische Besetzung des Nahen und mittleren Ostens, der ganzen Region bis an die Grenze Chinas, um Russland und China einzudämmen. Oder handfeste persönliche Verwicklungen. (so hat etwa der Haliburton-Konzern, dem Vizepräsident Dick Cheney vorstand, und von dem er weiter eine Million Dollar jährlich kassiert, die ersten Wiederaufbau-Verträge bekommen, was die Briten zu lautstarkem Äusserungen des Missfallens trieb).

Umbrüche, Kriege, Revolutionen haben meist mehr als einen Grund. Bündelt man diverse Motive, ergibt sich auch hier ein deutliches Bild. Und schien uns nach einigen Wochen Arbeit klar: Der Kern des Problems liegt nicht in Nahost, das Problem liegt in den USA.

Interessant, wie viel Energie Kriegsminister Donald Rumsfeld, Dick Cheney, Donalds Stellvertreter Paul Wolfowitz darauf verwenden, die reaktionärste Fraktion des Klerus im Iran zu stärken, Europa zu brüskieren, die islamische Welt zu demütigen oder die Nordkoreaner zu reizen, selbst wenn die lokalen Verbündeten darüber in Bedrängnis geraten: Präsident Khatami, der die Öffnung zum Westen betrieb. Tony Blair, der sich nun wieder an Paris und Berlin ranrobben muss. Die Saudis, die den American Jihad im Kaukasus, in Zentralasien und in Afghanistan sponserten. Südkoreas Regierung, die einen Soft-Landing-Plan mit dem Norden vereinbart hatte, bevor Bush die Verhandlungen mit Pyöngyang sabotierte. Es scheint, die Bush-Regierung habe es darauf angelegt, möglichst viele gefährliche Konflikte in der Welt zu schüren, was Anatol Lieven im Urteil fasste, Amerika sei eine Gefahr für sich und die Welt.

Man könnte das mit den brutalen Persönlichkeiten der Lenker erklären. Rumsfeld, der Rabauke, war Navy-Pilot, er hat in Princeton studiert, das dem militärischen Komplex immer stark verbunden war, er hat seine Millionen in der Chemie gemacht. Als Nato-Botschafter sah Rumsfeld im Euro-Kommunismus eine "strategische Gefahr für die Sicherheit der USA". 1981, als François Mitterrand die Wahlen gewann, plädierte er für einen erzwungenen Systemwechsel. Cheney hält einen Atomkrieg für gewinnbar und wollte schon 1991 gegen den Irak Atomwaffen einsetzen. Wolfowitz, der sich rühmt, seit 1977 den Irak besetzen zu wollen, wird von Ex-Mitarbeitern "Velociraptor" genannt, ein besonders schneller, bösartiger Raubdino, der immer auf die Kehle des Gegners zielt. Eine alte Regel des politischen Handwerks aber besagt: Unterstelle einem Akteur nie irrationale Motive. Saddam Hussein handelt rational. Die nordkoreanische Führung handelt rational. Bush handelt rational. Suche die materiellen Gründe.

Der kleinen Mühe sollte man sich unterziehen, wenn eine Politik seit 20 Jahren von einer Reihe rechter Lobby-Gruppen und Denkfabriken konzipiert wird. Das American Entreprise Institute, die Hoover Institution, das Center for Security Policy, das Jewish Institute for Security Affairs, das Hudson Institute, die Heritage Foudation, das Cato-Institut, das Institute for American Values haben sie formuliert.

Die meisten dieser Thinktanks sind einflussreiche, personell stark besetzte Organisationen, meist gegründet und finanziert vom militärisch-industriellen Komplex, von Ölmultis und anderen Konzernen. 1997 führte William Kristol eine Koalition von rechten Revolutionären, Neokonservativen und christlichen Fundamentalisten im Project for The New American Century (PNAC) zusammen. Übrigens auch dabei: Die Bush-Familie, mit Jeb Bush, damals noch Kronprinz, aber er hatte als Gouverneur von Florida eine wichtigere Rolle zu spielen, bei der erzwungenen Wahl George Doubleyous. Jetzt muss er ein wenig warten, bis er ins Weisse Haus einzieht, als Bush III. Gore Vidal (Gore-Clan) hatte uns gewarnt: Amerika wird von Claninteressen regiert.

12 der 25 Erstunterzeichner des PNAC zogen in die Regierung Bush oder beratender Institutionen ein, darunter die Schlüsselfiguren Rumsfeld, Cheney, Wolfowitz, Richard Perle (er musste seinen Posten gerade räumen, wegen allzu offensichtlicher Kollision mit seinen Geschäftsinteressen, oder vielleicht auch nur, weil er im Irak einen Kürzest-Krieg vorausgesagt hatte)... Das möchte man keine Beeinflussung mehr nennen, sondern einen Hold-up: Der PNAC hat die US-Regierung, zumindest in der Aussenpolitik, übernommen. Noch eine Verschwörungstheorie? Nein, die Sache liegt simpler: Die Übernahme wurde in aller Öffentlichkeit betrieben, mit letztem Aufwand und hoher Disziplin. Die Politik der PNAC-Köpfe, das dürfen wir vermuten, ist kohärent. Sie folgt einem Plan.

Die Kritiker der USA und ihr blinder Fleck

Emmanuel Todd hat eine Vermutung. Er baut sein Buch "Weltmacht USA. Ein Nachruf" um die These, nicht die Stärke treibe Amerika zum aggresiven Umbau der Welt, sondern seine militärische und wirtschaftliche Schwäche. Das Empire sei ein Hegemon im Niedergang. Mit der Simulation imperialer Macht durch Kriege gegen schwache Gegner wie den Irak, suchten die USA ihre Plünderungsökonomie zu retten (Todd vergleicht sie mit dem erzwungenen Tribut im Römischen Reich). Dadurch sei Amerika ein Stör- und Krisenfaktor für die friedliche Entwicklung Welt. Das werde Europa zur Einigung um das deutsch-französische Paar und zum Schulterschluss mit Japan und der wiedererweckten Atommacht Russland zwingen. Am Ende sieht er eine multipolare Welt entstehen.

Dieser Blick überrascht vor allem darum, weil ihn ein Mann auf die USA wirft, der in Frankreich im rechten Lager steht und Francis Fukuyamas These von der zwangsläufigen Demokratisierung der Welt anhängt. Da tut sich ein breiter Atlantik-Graben auf. Jacques Chirac wird sich die Sicht zu eigen gemacht haben. Er vertraut Todd, seit ihm dieser mit einem Strategiepapier über die sozialen Gräben im Land in den Neunzigern zum Wahlsieg verhalf.

Wolfowitz, Kristol und ihre Freunde werden dies mit harten Worten als typische französische Polemik abtun. Sie haben sich in den USA und bis nach Europa hinein die Lufthoheit über die Köpfe gesichert mit der These vom "mildtätigen Imperialismus". Knapp: Nur die USA könnten die Welt zu Frieden und Demokratie führen, indem sie ihr das amerikanische Modell aufdrückten – notfalls mit Gewalt. Es ist die Weiterführung des Lehrsatzes aus fordistischen Zeiten: Was gut ist für General Motors, ist gut für Amerika, hiess er damals. Heute heisst er: Was gut ist für Amerika, ist gut für die Welt. Condoleezza Rice schrieb im Januar 2000: "Amerikas Werte sind universell". In religiöser Verklärung machte Bush daraus den "Auftrag Gottes" an den Präsidenten und die amerikanische (auserwählte) Nation, ihr Modell, also Gottes Modell, der Welt aufzudrücken.

Freilich ist die Lufthoheit der Wolfowitz-Kristol-Gang eine mediale Täuschung. Todds Analyse der Plünderungsökonomie ist unter ernsthaften Ökonomen nur noch in Nuancen umstritten. Vor und nach Todd haben verschiedene US-Denker den Niedergang des Empires beschrieben. Immanuel Wallerstein, einer der führenden Historiker (Yale) schrieb in der Zeitschrift Foreign Policy einen langen Aufsatz ("The Eagle has Crash Landed") unter der Frage: "Werden die Vereinigten Staaten lernen, ruhig zu verblassen, oder wird der Widerstand der Konservativen den langsamen Niedergang in einen raschen und gefährlichen (für die ganze Welt gefährlichen) Fall verwandeln?"

Anatol Lieven von der Carnegie-Stiftung fragt, ob wir nicht gerade "das Ende des Westens" erlebten. Charles Kupchan, Professor an der Georgetown-University glaubt, Europa sei die kommende Macht ("The End of the American Era"). Das neueste Buch von Joseph S. Nye, der die Kennedy School of Government in Harvard leitet, heisst: "Das Paradox der amerikanischen Macht. Warum die einzige Supermacht der Welt Verbündete braucht." Nye glaubt, dass die Bush-Leute mit der Vernachlässigung der "Soft-Power" (Zusammenarbeit, Verträge, Überzeugung, positive Anreize, US-Modell etc.) scheitern werden, zum Nachteil Amerikas. Nye und all die anderen haben wenig Chancen, in der Regierung gehört zu werden, wie einem kleinen Billet von Graham Fuller zu entnehmen ist. Im Pariser "Monde" gab Graham Fuller, lange Nummer 2 der CIA, den Europäern den kaum kaschierten Hinweis, auf ihrem Widerstand gegen Bushs Pläne zu beharren; Europa sei ein historisch einmaliges Modell, schrieb er.

Merkwürdig aber ist: Jeder dieser Köpfe hat Ansätze für eine Kritik des Empire – doch keiner wagt sich auf das Terrain der revolutionären Weltsicht von Wolfwitz/Kristol. Wahrscheinlich hemmt Todd und die anderen Kritiker Bushs ein Tabu. Die Regierungsleute haben ihre Schlüsse aus der Entwicklung des Kapitalismus gezogen. In einer Art radikaler Umkehrung der Kritik an der entfesselten Globalisierung, rüsten sie für den Weltbürgerkrieg einer globalisierten Elite gegen den Rest der Menschheit. Sie haben weder die Illusion, noch den Wunsch, die wachsenden sozialen Unterschiede in Amerika oder in der Welt und die Konflikte, die daraus wachsen, zu zähmen. Genau dies aber bleibt bei Todd, aber auch Europas Sozialdemokraten, bei Nye oder den US-Demokraten ungesagt und unwidersprochen. Sie halten sich in einer Zeit, wo sich die grossen Konzerne und das Finanzkapital längst ihren Gesellschaften und den Nationalökonomien entzogen haben, an das alte Bild von der Kokurrenz zwischen Nationen. Sie blenden aus, dass wir mitten in einem historischen Bruch stehen, der eine 500 jährige Epoche beendet.

Kurze Rückblende

Um das Jahr 1990 herum, am Ende des Kalten Krieges, befiel die Sieger Depression. Bisher war die Welt ein harscher Platz, mit der Konkurrenz der Systeme, der gegenseitigen atomaren Bedrohung und Dutzenden von Stellvertreterkriegen in der Dritten Welt (mehr als 20 Millionen Tote), aber die Teilung machte sie für die Amerikaner doch zu einem geordneten Platz. Die Nationen waren nur Fähnchen auf der Generalstabskarte: Entweder gehörten sie zur einen oder anderen Seite, Staatsstreiche, Bürgerkrieg oder Interventionen sorgten für den Wechsel des einen oder anderen Staates auf die richtige Seite. Ein paar konnten sich raushalten. Um die Gesellschaften brauchte man sich nicht zu kümmern – es ist verblüffend, wie wenig die Amerikaner z.B. über Mittelamerika und Vietnam wussten, oder wie sehr sie die islamische Revolution in ihre Protekorat Iran überraschte. Unter der Decke der Blockkonfrontation konnte der globale Klassenkampf weitergehen. Die koloniale Plünderung wurde in nachkolonialen, billigeren Formen weitergeführt. Regte sich irgendwo Widerstand, wirkte da in amerikanischer Wahrnehmung allein die Hand Moskaus, umgekehrt vermutete man in Moskau hinter jeder Revolte eine CIA-Operation.

1990 war der Feind weg und unvermittelt stand Amerika einer zerrissenen, zu zwei Dritteln armen Welt gegenüber. Alle Erklärungsmodelle brachen zusammen. Die eigene Ideologie vom alles fügenden Markt war nackt. Gleichzeitig erfuhr die Globalisierung einen scharfen Schub. Globalisierung wird bei uns gerne schwammig als die Ausdehnung des kapitalistischen Marktes auf die ganze Welt gesehen, als Beschleunigung der Kommunikation, der Kapitalflüsse etc. Tatsächlich ist Globalisierung ein soziales Erdbeben: Die Lösung der entscheidenden Teil des Kapitals von ihren Gesellschaften, also die Emanzipation von jener Form der politischen Organisation der Menschheit, die das Kapital mitgeschaffen hatte. Zwischen 1985 und 1995 entstanden mehr transnationale Konzerne als in den 200 Jahren zuvor. Sie erwirtschaften heute 50 Prozent der Wertschöpfung. Da ist eine Ökonomie entstanden, die sich jedem politischem Zugriff entzieht. Bill Cllinton folgerte: "Big government is over".

In jener Zeit setzte eine rege Tätigkeit in Thinktanks und an Universitäten ein. Ein neue griffige Beschreibung der Welt musste gefunden werden. Huntingtons These von Krieg der Kulturen, später Fukuyamas Buch über das Ende der Geschichte wurden bestimmend für die Diskussion. Inzwischen ist die Unterteilung der Welt in Barbaren (die Armen) und Zivilisierte (wir, die Reichen) ein Muster, das die amerikanische Wissenschaft und die Politik beherrscht und durchdringt, wie Mark B. Salter von der amerikanischen Universität in einer erhellenden Studie zeigt. "Die Behauptung scheint krass", sagt Salter, "aber es ist ein Konzept, das sich in unterschiedlichsten Ausformungen in alle möglichen Denkmuster drängt." Das binäre Weltbild hat sich längst auch in europäische Köpfe geschlichen. Es hat einen bestechenden Vorteil: Es öffnet die barbarische Welt (die armen Länder) für die Gewalt der "Zivilisierten". Salters Buch schmückt ein Bild der Gefangenen von Guantanamo. Darüber der Titel: Barbaren & Zivilisierte.

Die Vision von Wolfowitz & Co

Darin liegt das Entscheidende. Die rechten Revolutionäre um Wolfowitz & Kristol glauben, dass die Menschheit vor der Alternative steht, entweder mit dem Kapitalismus zu brechen – was sie nicht wollen –, oder mit zunehmenden sozialen Differerenzen, zunehmender Gewalt, dem molekularen Bürgerkrieg zu leben. Dafür rüsten sie. Die Burg zieht die Zugbrücke hoch.

Gated Communities sind das künftige Lebensmodell für die Eliten. Amerika sucht keine territoriale Ausdehnung. Ihr Imperialismus-Konzept ist nicht mehr amerikanisch – es ist das Unterfangen, sich den globalisierten Eliten als Gewaltmonopolist anzubieten. Um das durchzusetzen, werden Feinde geschaffen. Wieder hat Huntington mit "Muslim Wars" für das notwendige Konstrukt gesorgt. "Was wir jetzt brauchen", sagte Paul Wolfowitz im März 2001, ein paar Monate vor dem 11.9., "ist ein Pearl Harbour".

Ähnlich stand es auch in einer PNAC-Studie, die zur Vorlage für die Nationale Sicherheitsstrategie wurde. Sie haben den 11.9. ersehnt. Der 11.9. ist ihr Mantra. Der 11.9. ist der Hammer, der auf jede Schraube passt. Früher harsch und konfliktuell, aber geordnet, ist die Welt nun nur noch "gefährlich", ein Niemandsland aller Gefahren (ausserhalb der Gated Communities). Bush sagt es in jeder Rede dreimal.

Was nicht nur Todd die Tragweite des Vorgangs verschleiert, ist ein typisches Phänomen historischer Umbrüche: Wir stehen mit einem Bein in der alten geschichtlichen Sequenz (Konkurrenz und Bündnisse zwischen Nationalstaaten) und mit dem anderen Bein schon in einer neuen Sequenz: Einer Welt, in der die Staaten nicht mehr die Funktion haben, zwischen Kapital und Arbeit zu vermitteln, unterschiedliche Interessen auszugleichen, Konflikte zu zivilisieren, sondern nur noch für die Sicherheit der Eliten und die Unterdrückung der Bewohner (die dann keine Bürger im eigentlichen Sinne mehr sind) zu sorgen. Dafür, und das übersieht man über dem Krieg in Mesopotamien auch, bauen der christliche Fundamentalist John Ashcroft (Justiz) und das Ministerium für "Homeland-Security" unter Tom Ridge den Überwachungsstaat und zersetzen den Rechtsstaat. Ashcrofts Vorstellung von einer guten Ordnung ist die Theokratie.

Wolfowitz und Kristol sind Atheisten. Ihr Leitphilosoph ist Léo Strauss, der in Chicago lehrte, dem Hort der rechten Revolution. Die Straussianer werden unterschätzt. Sie haben die Politikwissenschaften an fast allen grösseren Universitäten unterwandert. Fukuyama ist einer von ihnen. Strauss machte eine radikale Kritik der bürgerlichen Ideologie und griff auf aristokratische Herrschaftsformen des Altertums zurück: Sein Idealstaat wird von einer kleinen Elite von Denkern verwaltet, die Demokratie ist nur noch eine Form.

Straussianer wie Wolfowitz halten ihre Intentionen bedeckt: Machiavelli, den sie alle hoch halten, gilt ihnen zugleich als der Sündenfall, weil er die Geheimnisse der Herrschaft ausgeplaudert hat. Ihr Denkvater formulierte in einem Brief an Carl Schmitt, den anderen Vordenker der Vierten Rechten: " Der Mensch ist ist böse. Die Herrschaft über die Menschen "ist nur herzustellen, indem man die Menschen einigt gegen andere Menschen". Wolfowitz’ Konzept vom permanenten Krieg. Oder wie Perle sagte: "Wenn wir unserer Vision freien Lauf lassen, und wir sie uns völlig zu eigen machen, und wenn wir nicht versuchen, eine clevere Diplomatie zusammenzustückeln, sondern einfach den totalen Krieg führen... werden unsere Kinder in einigen Jahren Loblieder auf uns singen." Demokratie, hat Robert Kaplan, ein anderer Lieblingsautor der Washingtoner Gesellschaft geschrieben, "wird nur eine kurze Klammer in der Geschichte gewesen sein".

Was die Bush-Leute da in Szene setzen, ist ein antizivilisatorisches Projekt. Der Westen wird liquidiert, internationale Öffentlichkeit wird liquidiert, "Weltzivilgesellschaft" und "Weltinnenpolitik" werden liquidiert. Besser: Sollen liquidiert werden. Es ist eben – nur ein Projekt. Umbruchszeiten sind auch Zeiten, die Chancen für Veränderung, demokratische Organisation, Widerstand bieten. Vorausgesetzt, wir können auf beiden Beinen, in beiden Sequenzen stehen und handeln. Und: Das Zeitfenster ist klein.

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